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Agieren statt reagieren

Christine Elsaeßer11. Mai 2007

Auf unzähligen Gipfelprotesten haben die Globalisierungskritiker ihre Einwände öffentlich gemacht. Doch nach acht Jahren gibt es unter ihnen immer mehr Stimmen, die eine stärkere inhaltliche Auseinandersetzung fordern.

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Demonstranten fliehen vor der Polizei (Foto: AP)
Bei den Protesten gegen den G8-Gipfel in Genua gab es einen TotenBild: AP

Als Carlo Giuliani starb, stand der Streit über die Globalisierung für kurze Zeit still. Eigentlich sollten hohe Zäune und 18.000 Polizisten eine Eskalation beim G8-Gipfel in Genua im Sommer 2001 verhindern. Italien hatte das Schengener Abkommen außer Kraft gesetzt und kontrollierte seine Grenzen massiv. Trotzdem geriet die Situation nach zwei Tagen außer Kontrolle. Hunderte Gasgranaten gingen auf die Demonstranten nieder. Dann schoss der Polizist Mario Placanica auf Carlo Giuliani und überfuhr den 23-jährigen Globalisierungskritiker. 900 Demonstranten wurden festgenommen. Viele sagten später, sie seien im Bolzaneto Gefängnis gefoltert worden. "Dieses Szenario", schrieb der Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar später, "nahm mehr und mehr Züge eines Bürgerkriegs an".

Proteste legten ganze Gipfel lahm

Demonstranten werden mit Gas zurückgedrängt (Foto: AP)
Bei der WTO-Konferenz in Seattle setzte die Polizei Tränengas und Schlagstöcke einBild: AP

Vorausgegangen waren dem Eklat zwei Jahre voller immer gewalttätiger werdender Proteste. Schon 1999 in Seattle, auf der ersten großen Demonstration, hatten sich Demonstranten und Sicherheitskräfte Straßenschlachten geliefert. Bei der "Battle of Seattle" waren 50.000 Globalisierungsgegner zusammengekommen, um gegen die Milleniumsrunde der Welthandelsorganisation (WTO) zu protestieren. Und das mit Erfolg: Die Eröffnungsveranstaltung musste vor einem leeren Saal stattfinden. Neben tausenden Gewerkschaftlern aus den USA und Kanada kamen hier auch Frauen-, Bürger- und Menschenrechtsorganisationen, sowie Umweltschützer, Anarchisten und Christen zusammen. Nach Meinung des Politikwissenschaftlers und Attac-Mitglieds Elmar Altvater hatte der große Zustrom der unterschiedlichsten Menschen einen einfachen Grund: "Es hat sich zwar eine Koalition aus ganz unterschiedlichen Interessen gebildet, die aber alle von den Freihandelsregeln der WTO negativ betroffen gewesen wären."

Nach den Protesten von Seattle ließen die Globalisierungskritiker keine Gelegenheit aus, ihre Kritik bei Treffen von WTO, NATO, dem Weltwirtschaftsforum und dem Internationalen Währungsfond (IWF) öffentlich zu machen und zu versuchen, diese zu verhindern. Die Jahrestagung von IWF und Weltbank in Prag 2000 musste wegen Protesten abgebrochen werden, nachdem Demonstranten das Kongresszentrum belagerten. Die Delegierten wurden per U-Bahn evakuiert.

Kritiker und Befürworter wechselten ihre Strategie

Der Treffpunkt der G8 in Kananaskis, Kanada (Foto: AP)
Die G8-Gipfel zogen sich in schwer erreichbare Orte, wie ins kanadische Kananaskis, zurückBild: AP

Nach den Eskalationen in Genua änderte sich die Strategie auf beiden Seiten. Die Gipfelveranstaltungen wurden aus den größeren Städten in die Provinz verlegt. Schwer erreichbare kleine Orte im Gebirge wie das französische Evian oder in der Wildnis wie das kanadische Kananaskis wurden großen Städten mit guter Infrastruktur vorgezogen. So sollten Proteste verhindert, die Gipfel aus der Öffentlichkeit genommen und die Polizeikosten gesenkt werden. Die Zahl der Demonstranten verringerte sich tatsächlich. Beim WTO-Ministertreffen in Katar konnten fast keine Proteste stattfinden. Doch auch die Strategie der Globalisierungskritiker änderte sich. Hatten sie vor Genua noch das Ziel, die Gipfel zu erstürmen, versuchten sie nun, die wenigen Zufahrtswege zu blockieren, die es zu den meist abgeschiedenen kleinen Orten gab. Gewalttätige Zusammenstöße gab es aber weiterhin.

"Die Bewegung muss selbst die Initiative übernehmen"

Die friedlichen Aktivisten bemühten sich, dafür zu sorgen, dass die militanten Demonstranten, die ihre Kritik in Straßenschlachten und Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften artikulieren, in der Minderheit blieben. Besonders linke Intellektuelle versuchten, die Proteste zu entschärfen und die Kritik auf eine andere Ebene zu ziehen. Mit Konzerten und Aktionstagen schafften sie ein deeskalierendes und für viele nicht gewaltbereite Kritiker alternatives Programm.

Demonstranten mit Fahnen in Porto Alegre (Foto: dpa)
Ein Friedensmarsch von 200.000 Menschen eröffnete das fünfte Weltsozialforum im Januar 2005Bild: dpa

2001 organisierten sie im brasilianischen Porto Alegre das erste Weltsozialforum als Gegenveranstaltungen zu den Treffen der Globalisierungsbefürworter. Unter dem Motto "Eine andere Welt ist möglich" setzen sie sich zum Ziel, Organisationen und Bewegungen zu verknüpfen, "die durch konkrete Aktionen von der lokalen bis zur internationalen Ebene dabei mitwirken, eine andere Welt aufzubauen", so die Charta. Seit 2001 findet das Weltsozialforum jährlich statt. Es soll jedoch nicht auf diese Treffen beschränkt bleiben, sondern "ein permanenter Prozess des Suchens und des Aufbauens von Alternativen" sein.

Elmar Altvater sieht es als Schwäche, dass sich die globalisierungskritische Bewegung in der Vergangenheit immer an den Großereignissen der Globalisierungsbefürworter orientiert hat und das auch heute nach tut: "Sie muss jetzt versuchen, selbst die Initiative zu übernehmen, zu agieren und nicht nur zu reagieren." Für den G8-Gipfel im deutschen Heiligendamm an der Ostsee im Juni haben die Kritiker schon Proteste angekündigt. Neben einer Großdemonstration in Rostock soll es jedoch auch Aktionstage zu Themen wie Militarismus und Landwirtschaft, Konzerte und einen Alternativkongress geben. Denn man müsse, so Altvater, "die Leute immer wieder neu überzeugen".