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Die neue Lust am Paartanz

Antje Binder 13. Januar 2016

Lange Zeit galt Paartanz als gestrig und verstaubt. Nun ist er wieder da. Ob Walzer, Rumba oder Swing, auf den Tanzflächen wird wieder Arm in Arm geschwoft. In Freiburg hat nun Europas größte Tanzschule eröffnet.

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Ein junges Paar tanzt
Bild: picture-alliance/dpa

Auf heißen Sohlen: der Paartanz ist zurück

Heiko Kleibrink leitet einen Schnupperkurs in der neuen Tanzschule "Ballhaus" in Freiburg: anderthalb Stunden langsamer Walzer. Das Ballhaus ist mit über 2000 Quadratmetern Tanzfläche und 8000 Schülern jährlich die größte Tanzschule ihrer Art in Europa. Kleibrink, achtfacher deutscher Meister im Standardtanz, kann den Walzer natürlich im Schlaf. Doch bis seine Schüler mit einer Leichtigkeit wie er über das Parkett fegen, braucht es jahrelanges Training. "Am Anfang ist es immer ein wenig Stress, man muss die Schritte lernen, man muss führen lernen. Aber wenn man über diesen Punkt hinaus ist und es aus einem heraus fließt, dann ist Tanzen einfach das Schönste", schwärmt er.

Bei Singles beliebt: Tanzschule statt Disco

Lange Zeit waren Hip Hop oder Breakdance an den Tanzschulen die beliebtesten Kurse bei jungen Schülern. Inzwischen sind auch die Standard- und Lateintänze wieder im Kommen. Tanzschulen sind eine Anlaufstelle nicht nur für Paare, sondern auch für Singles. Denn in den Kursen tanzen die Teilnehmer nicht nur mit dem eigenen Partner. Nach ein paar Liedern wird getauscht. "Immer mehr Menschen arbeiten extrem viel und kommen kaum aus dem Büro raus", sagt Matthias Blattmann, Mitinhaber des neuen Ballhaus in Freiburg. "Für die Disco fühlen sich manche Singles zu alt. Sie suchen dann in einer Tanzschule neue Kontakte." Ein bisschen wie Speed Dating mit Musik und Tanz. "Wir hatten schon einige Hochzeitspaare in unseren Reihen", betont Matthias Blattmann.

Sexuelle Revolution statt Etikette im Tanzkurs

Vor allem im deutschsprachigen Raum sind Tanzschulen eine feste Institution. Man findet sie im ganzen Land, ausgestattet mit oft nur einem Tanzsaal und meistens schon Jahrzehnte lang in Familienbesitz. Generationen von Schulklassen wurden dort nicht nur Standardtänze, sondern auch Etikette beigebracht. Die Dame muss zum Tanz aufgefordert und am Ende wieder zurück an den Tisch gebracht werden. Einen Tanz ablehnen darf die Frau, nicht aber der Mann. Benimmregeln wie diese gehörten früher zum guten Ton. Klingt bieder, aber so ein Tanzkurs hatte bei den Schülern noch einen anderen Reiz. In den 1950er Jahren, als viele Schüler noch getrennten Unterricht hatten, eröffnete sich hier die Möglichkeit zum ersten Kontakt mit dem anderen Geschlecht.

Doch mit der sexuellen Revolution der 1960er Jahre kamen Tanzkurse aus der Mode. Der alte Mief musste weg, bei vielen war es regelrecht verpönt, einen Tanzkurs zu besuchen. Dann kamen die Discos und die Tanzflächen gehörten den Individualisten und Selbstdarstellern. Ob Metalheads, Punks, Raver, Popper oder Rocker: Getanzt wurde weiter und überall - aber meistens für sich. "Erst mit Tanzfilmen wie "Dirty Dancing" oder "Saturday Night Fever" kam wieder etwas Leidenschaft für den Paartanz auf", sagt Heiko Kleibrink.

Tanzlehrer Heiko Kleibrink
Aller Anfang ist schwer, weiß Tanzlehrer Heiko KleibrinkBild: DW/A. Binder

Erfolgsformat "Let's dance"

Heute findet man Paartanz sogar wieder in vielen Clubs. Bei Tango Fusion und Elektro Swing werden klassische Rhythmen mit minimalistischen Technobeats gepaart. Kurse im Lindy Hop, eine besondere Form des Swings, sind der Renner in den Schulen. Und auch Walzer wird heute längst nicht mehr nur zu klassischen Tönen getanzt. "Was früher ganz klassisch war, das gibt es heute gar nicht mehr“, sagt Matthias Blattmann, "heute lernt man in den Tanzschulen die Tänze auch bei Rock oder Popmusik. Manchmal auch Heavy Metal, wenn's lustig ist."

Auch das Fernsehen hat einiges zur neuen Popularität des Paartanzes beigetragen. "Let's Dance“ ist eine der erfolgreichsten Shows im deutschen Privatfernsehen. Allein in der letzten Staffel erreichte die Sendung Traumquoten von fast 20 Prozent in der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen. Das Format gibt es inzwischen in vielen Ländern der Welt, die Idee aber stammt aus Großbritannien. Das Konzept ist überall das Gleiche: Prominente studieren im Schweiße ihres Angesichts zusammen mit Profitänzern Standard- und Lateintänze ein, am Ende wird das Resultat präsentiert. Es ist eine erfolgversprechende Mischung aus Musik, Glamour und einer ordentlichen Portion Schadenfreude. "Das sind Formate, die gab es früher gar nicht. Man sieht, dass auch Laien tanzen lernen können, dass jeder Mensch tanzen lernen kann", so Heiko Kleibrink.

Schulen wie das Ballhaus in Freiburg profitieren von der neuen Tanzbegeisterung. In acht Sälen werden hier jeden Tag parallel Kurse angeboten. "Die muss man erst einmal füllen", sagt Matthias Blattmann. Doch er ist zuversichtlich. Schließlich hat er allein die Eröffnung des Hauses auf fünf Tage und Nächte verteilt, "damit auch jeder Schüler die Möglichkeit hat, einmal an einem Tanzball teilzunehmen." Die Schule ist zwar groß, die Nachfrage vielleicht aber noch größer.