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Die globale Feuerwehr?

Christina Bergmann18. Mai 2012

Dass die NATO sich verändern muss, steht außer Frage. Aber welche Aufgaben soll sie in Zukunft übernehmen? Die USA haben ihre eigenen Vorstellungen.

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Das NATO-Logo im NATO-Pressezentrum in Straßburg (Foto: picture-alliance/dpa)
THEMENPAKET G8- und Nato-Gipfel in den USABild: picture-alliance/dpa

Piratenjagd vor der Küste Somalias, Luftangriffe gegen Gaddafis Truppen in Libyen, Ausbildung der Armee in Afghanistan: Die NATO übernimmt zunehmend Aufgaben außerhalb ihres eigentlichen Aufgabengebietes. Das ist ganz im Sinne der USA. Nicholas Burns, von 2001 bis 2005 US-NATO-Botschafter, erklärte in einer Rede im März vor dem Chicago Council on Global Affairs: "Die NATO muss der kompetenteste Ersthelfer der Welt sein." Zumindest zu den Ländern der arabischen Welt soll die nordatlantische Allianz künftig verstärkt Beziehungen aufnehmen: zu Tunesien, Ägypten, dem gesamten Nahen Osten.

US-Außenministerin Hillary Clinton stieß in ihrer Rede auf einer NATO-Konferenz des World Affairs Council in Norfolk, Virginia, im April ins gleiche Horn: "Die NATO ist und bleibt eine transatlantische Organisation, aber die Probleme, denen wir uns heute gegenüber sehen, beschränken sich nicht auf einen Ozean - und unsere Arbeit kann das auch nicht tun", sagte sie.

US-Außenministerin Hilllary Clinton (Foto: AP/Steve Helber)
Komplementäre Aufgabenteilung: US-Außenministerin ClintonBild: dapd

Europäer und Amerikaner uneins

Doch bei den Europäern stoßen solche Forderungen auf Skepsis. Für eine groß angelegte globale Einsatzbereitschaft seien ihre Armeen auch gar nicht ausgelegt, erklärt Dr. Gordon Adams, Professor für internationale Beziehungen an der American University in Washington und zwischen 1993 und 1997 im Weißen Haus zuständig für die Überwachung des amerikanischen Verteidigungshaushaltes. "Die Europäer beschränken ihre sicherheitspolitischen Überlegungen eher auf Europa und die nähere Umgebung, während die Amerikaner global denken." Außerdem hat sich gezeigt: Bei Anti-Terroreinsätzen betonen die Europäer die Polizeiaufgaben, während die USA den Schwerpunkt eher auf das Militärische legen. Vor allem die Deutschen sehen darüber hinaus bei internationalen Einsätzen die Vereinten Nationen als die zuständige Organisation. Die NATO soll dabei nach Ansicht der Deutschen nicht zur Konkurrenz werden oder gar den Ausputzer spielen, wenn in den Vereinten Nationen keine Einigung erzielt werden kann.

Auch bei der Überlegung, wie es nach 2014 in Afghanistan weitergehen soll, wenn der Kampfeinsatz offiziell beendet wird, herrsche Unklarheit, sagt Adams: "Was ist die künftige Rolle der NATO in Afghanistan - wollen die Europäer tatsächlich eine Rolle dort spielen?" Insbesondere über Afghanistan wird auf dem Gipfel in Chicago geredet werden; denn fest steht, dass das Land mindestens ein weiteres Jahrzehnt auf internationale Unterstützung angewiesen sein wird.

NATO-Soldaten beim Einsatz in Kabul, Afghanistan (Foto: AP/Musadeq Sadeq)
2014 will die NATO ihre Soldaten aus Afghanistan abziehen - doch was kommt danach?Bild: dapd

Zeit der Landkriege ist vorbei

Die USA haben unterdessen bereits Fakten geschaffen. Zum ersten Mal in der Geschichte der NATO beriefen sie 2009 mit Admiral James G. Stavridis einen Marineoffizier zum Oberkommandierenden der Truppen. Für Gordon Adams ein Ausdruck dafür, dass "der zentrale Fokus der NATO nicht länger im 'Fulda Gap' [das Gebiet zwischen der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze und Frankfurt am Main, Anm. d. Red.] liegt", dass man also die größte Bedrohung nicht mehr in einem Landkrieg im Herzen Europas zwischen Ost und West sieht. "Die Art der Einsätze der USA in den vergangenen zehn bis 15 Jahren machten zwar auch einige Landtruppen erforderlich - aber vor allem ging es um Fähigkeiten in der Luft, Drohnenangriffe, Cruise-Missile-Attacken, Bombenangriffe, die von Schiffen durchgeführt wurden", erklärt Adams. Dabei hat ein Offizier des Heeres keinen Vorteil gegenüber den anderen Waffengattungen mehr.

Noch einen weiteren Wunsch haben die USA an ihre europäischen Verbündeten: Diese sollen künftig eine größere Rolle spielen. Der ehemalige NATO-Botschafter Burns denkt hier vor allem an Deutschland. Als größtes europäisches Land mit der stärksten Wirtschaftskraft verfüge es zwar über erheblichen Einfluss, "in der NATO aber sehen wir diesen Einfluss nicht, weder im militärischen noch im politischen Sinne", kritisiert Burns.

Nicholas Burns, ehemaliger NATO-Botschafter der USA (Foto: ddp/AP/Gerald Herbert)
Will mehr Beteiligung Europas: Nicholas BurnsBild: dapd

Doch auch dafür, dass die Deutschen nicht gewillt sein könnten, ihre Kultur der militärischen Zurückhaltung aufzugeben, gibt es in den USA durchaus Verständnis. So verweist etwa Gordon Adams darauf, dass jedes Land seine Interessen anders definiere: "Die USA müssen lernen, dass die europäischen Alliierten nicht einfach so die amerikanische Definition von Sicherheitspolitik übernehmen."

Wie mit den knappen Kassen umgehen?

Dazu gehört auch, dass die Europäer bei Weitem nicht so viel Geld für Verteidigung aufwenden, wie die USA das gerne hätten. Die NATO-Regeln fordern von den Mitgliedsländern, zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Verteidigung auszugeben. Die allermeisten Staaten verfehlen diese Zielmarke deutlich. Deutschlands Verteidigungsausgaben lagen 2011 bei lediglich 1,4 Prozent.

Immerhin sind die USA gewillt, angesichts der knappen Kassen kreative Lösungen zu akzeptieren - und zwar in Form einer komplementären Aufgabenverteilung. Außenministerin Clinton nannte in ihrer Rede in Norfolk die Zusammenarbeit bei dem neuen luftgestützten Überwachungssystem AGS (Alliance Ground Surveillance System) als Beispiel: "Wenn jedes NATO-Land dieses System einzeln kaufen müsste, wäre es außerordentlich teuer. Aber indem wir unsere Ressourcen bündeln und die Last teilen, erhalten wir für jeden der Alliierten bessere Sicherheit zu geringeren Kosten." 13 Länder, darunter Deutschland und die USA, beteiligen sich an dem System.

Auf die Armee des Nachbarn vertrauen?

Doch wie weit soll dieses Bündeln der Ressourcen gehen? Natürlich wäre es sinnvoll, wenn die einzelnen NATO-Mitglieder kritisch hinterfragten, ob tatsächlich jedes Land heutzutage noch eine eigene Luftwaffe brauche, meint Steven Pifer, der frühere US-Botschafter in der Ukraine und ehemaliges Mitglied im Nationalen Sicherheitsrat der US-Regierung. Aber es sei schwierig, ein Land davon zu überzeugen, dass es sich im Ernstfall auf die Soldaten des Nachbarn verlassen könne: "Die NATO muss also sehr genau überlegen, wie man diese Aufteilung vornimmt, damit - wenn ein Land beschließt, auf eine bestimmte militärische Fähigkeit zu verzichten - es Zugriff auf die entsprechende Ressource im Nachbarstaat hat."

Die Flaggen der NATO-Mitgliedsstaaten (Foto: ddp/AP/Czarek Sokolowski)
Im Bündnis vieler Länder soll einer für den anderen einspringenBild: AP

Trotz aller bestehenden Meinungsunterschiede können auch die USA auf die NATO nicht verzichten. "Wir brauchen die NATO, um Frieden, Einheit und Demokratie in Europa zu bewahren", betonte Nicolas Burns in seiner Rede vor dem Chicago Council on Global Affairs. Auch hier denken die Amerikaner in erster Linie an eine komplementäre Aufgabenverteilung. Denn wenn die europäischen NATO-Staaten auf ihrem Kontinent selbst für Ordnung sorgen, ermöglicht dies den USA, Truppen abzuziehen, die im Rahmen der neuen US-Verteidigungsdoktrin anderswo dringender benötigt werden. Zum Beispiel in Asien.