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"Die Moral ist intakt"

Abdul Bari Hakim17. September 2012

In Afghanistan steigt die Zahl der "Insiderattacken" - also der Angriffe auf NATO-Soldaten durch selbst ausgebildete Sicherheitskräfte. Darüber sprach die DW mit dem deutschen General und ISAF-Sprecher Günter Katz.

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epa03301568 International Security Assistance Forces (ISAF), German Brigadier General Guenter Katz spokesman, talks with journalists during a press conference in Kabul, Afghanistan, 09 July 2012. Six NATO soldiers were killed in a bomb attack in Afghanistan on 08 July as the international community has met in Tokyo to pledge development aid to the country for after the withdrawal of foreign troops. EPA/S. SABAWOON +++(c) dpa - Bildfunk+++
ISAF Günter KatzBild: picture-alliance/dpa

DW: Herr General, dieses Wochenende war für Afghanistan und die ISAF-Truppen erneut ein sehr blutiges. Allein sechs NATO-Soldaten sind Medienberichten zufolge durch sogenannte "Insider-Attacken" ums Leben gekommen. Was wissen Sie über den Hintergrund dieser Angriffe?

Günter Katz: Wir schauen sehr genau auf diese Zwischenfälle und nehmen jeden einzelnen davon sehr ernst. Wenn man alle Angriffe auf ISAF-Soldaten betrachtet, dann waren etwa zehn Prozent Infiltrationen, rund 15 Prozent waren im weitesten Sinne im Zusammenhang mit Angriffen Aufständischer zu sehen. Ein großer Teil sind diejenigen, die persönliche Dispute oder irgendwelche Streitigkeiten mit der Waffe gelöst haben, weil jemand sich aus deren Sicht vielleicht falsch verhalten oder sie beleidigt hat. Aber bei einem Großteil der Attentäter wissen wir überhaupt nichts über ihre Beweggründe. Wir wissen es nicht, weil sie entweder während des Zwischenfalls erschossen wurden oder fliehen konnten.

Afghanische Sicherheitskräfte patroullieren am Ort eines Selbstmordattentats (Foto:Reuters)
Anschläge auf ISAF-Soldaten durch afghanische Sicherheitskräfte werden zunehmend zu einer Gefahr.Bild: Reuters

Aber Tatsache ist, dass diese "Insiderattacken" in letzter Zeit zugenommen haben, oder?

Ja. Wir hatten bis jetzt 37 Zwischenfälle in diesem Jahr mit 51 Toten. Allerdings dürfen wir auch nicht vergessen, dass im Vergleich zum letzten Jahr 60.000 afghanische Soldaten mehr an der Seite unserer Soldaten kämpfen. Insgesamt haben wir noch immer fast 500.000 Soldaten und Polizisten sowohl von den Afghanen als auch von der ISAF, die zusammen Seite an Seite jeden Tag kämpfen und jeden Tag ihren Beitrag leisten für eine bessere Zukunft dieses Landes.

Dennoch ist das Vertrauen zwischen beiden Seiten beschädigt. Vor einigen Wochen hat die NATO die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte vorläufig eingestellt. Ist damit die Mission der Ausbildung gescheitert?

Diese Aussage muss ich erst einmal relativieren. In der Tat wurde die Ausbildung für 1000 Mann der afghanischen Lokalpolizei erst einmal außer Kraft gesetzt. Aber das ist ein Aufgabenbereich, der ausschließlich von den amerikanischen Streitkräften durchgeführt wird. Die Amerikaner haben diese Entscheidung getroffen. Unsere ISAF-Ausbildung wurde zu keinem Zeitpunkt eingestellt und ist sehr erfolgreich - gerade mit Blick auf die Qualität unserer afghanischen Partner. Also, was Sie ansprechen, war nur ein kleiner Teil und auch eine rein bilaterale Sache der Amerikaner.

Können Sie Ihren afghanischen Partnern vertrauen?

Wissen Sie, das mit dem Misstrauen ist so eine Sache. Sie werden sicherlich Soldaten finden, die sehr besorgt sind. Das ist überhaupt keine Frage. Aber Sie werden noch mehr Soldaten finden, die sagen: "Wir wissen, warum wir hier sind. Wir kennen unsere afghanischen Partner. Wir arbeiten mit denen seit Monaten zusammen. Wir schlafen mit denen im gleichen Zelt, essen das gleiche Essen, kämpfen mit denen zusammen. Warum sollen wir denen jetzt misstrauen?" Ich sehe nicht, dass aufgrund dieser 37 bedauernswerten Zwischenfälle die Moral der Truppe insgesamt beeinträchtigt ist. 

Zwei NATO-Helikopter bei einem Luftangriff in Afghanistan (Foto:afp)
Bei NATO-Luftangriffen in Afghanistan sterben immer wieder auch Zivilisten.Bild: AFP/Getty Images

Am Wochenende sind in der Provinz Laghman im Osten Afghanistans erneut eine Reihe von Zivilisten durch NATO-Luftangriffe getötet worden. Glauben Sie nicht, dass solche Ereignisse noch mehr "Insider-Attacken" provozieren? 

Ich gehe nicht davon aus. Wir sagen immer wieder - und die Afghanen wissen das auch -, dass wir landesweit zwar für immer noch sechs Prozent aller zivilen Toten oder Verletzten verantwortlich sind, die meisten jedoch durch die Aufständischen verursacht werden. Wir gehen sehr verantwortungsbewusst damit um, wir nehmen die Sache sehr ernst, wir haben viele Verfahren erlassen, um diese Zwischenfälle zu minimieren. Wir haben auch im Vergleich zum letzten Jahr die Zahl der zivilen Verletzten oder Toten um 53 Prozent reduzieren können. Wir sind auf einem guten Weg, aber jeder Tote und jeder Verletzte ist einer zuviel, und wir werden weiter intensiv daran arbeiten, dass so etwas möglichst nicht mehr vorkommt.

Die Taliban behaupten immer wieder, dass sie ihre Anhänger in die Reihen der afghanischen Sicherheitskräfte einschleusen können. Wie können Sie das verhindern?

Die Afghanen sind selbst verantwortlich für die Rekrutierung ihrer Leute. Sie haben - was die reinen Zahlen anbelangt - überhaupt kein Problem. Es gibt da einen großen Zulauf. Auch die Qualität ist auf einem guten Weg nach oben. Die Afghanen selbst haben die Hürden für den Zugang zu den Streitkräften recht hoch gelegt, indem sie einen umfangreichen Rekrutierungsprozess eingeführt haben, um möglichst sicherzustellen, dass niemand zur Schutztruppe kommt, der morgen vielleicht unsere eigenen Leute erschießt.

Eine Spezialeinheit der afghanischen Armee steht in Reih und Glied (Foto:dapd)
2014 soll die Sicherheit für Afghanistan in die Hände der afghanischen Armee übergeben werden.Bild: dapd

Nun gibt es wegen eines Anti-Islam-Filmes in der islamischen Welt eine Reihe von Protesten - auch in Afghanistan. Hat diese neue Entwicklung Auswirkungen auf ihre Mission, und befürchten Sie eine Zunahme der "Insider-Attacken"?

Wir können von Glück reden, dass wir solche Ausschreitungen, wie wir sie beispielsweise in Bengasi gesehen haben, hier nicht angetroffen haben. Wir haben auch den Eindruck, dass sowohl die Regierung als auch viele Verantwortliche hier im Land sehr verantwortungsbewusst mit diesem Video und mit dem Einfluss auf die Bevölkerung umgegangen sind. Man war doch sehr stark bemüht, die Proteste friedlich zu halten. Bis jetzt ist auch alles relativ friedlich verlaufen, und wir hoffen, dass dies auch so bleibt.

Das Interview führte Abdul Bari Hakim.