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Mittelmeerunion

13. Juli 2009

In München wurde das Konsortium desertec für Solarstrom aus Afrika gegründet. Der Strom aus der Sahara sollte besser vor Ort für die Eigenversorgung eingesetzt werden, meinen die Autoren der d.i.e. Gastkolumne.

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Bild: DW

Am 13. Juli vergangenen Jahres wurde mit großem diplomatischen Aufgebot die „Union für das Mittelmeer“ („Union for the Mediterranean“) aus der Taufe gehoben. Insgesamt 43 Staatsoberhäupter und Regierungschefs aus der Europäischen Union (EU) und den Anrainerstaaten waren der Einladung des französischen Staatschefs Nikolas Sarkozy nach Paris gefolgt, um der Mittelmeerzusammenarbeit neue Impulse zu geben. Die Mittelmeerunion knüpft an den seit 1995 bestehenden Barcelona-Prozess an, der auch eine ausgeprägte sicherheitspolitische Dimension beinhaltete. Ursprünglich hatte Sarkozy geplant, nur die südeuropäischen EU- und Nicht-EU-Mitglieder einzuladen. Um eine politische Fragmentierung der EU zu verhindern, wurde dieses Ansinnen jedoch auf Betreiben anderer Mitgliedstaaten, insbesondere Deutschlands, zurückgenommen.

(Foto: d.i.e.)
Matthias RuchserBild: DIE

Letztendlich hat sich die Mittelmeerunion sechs Schwerpunktthemen gesetzt, darunter auch einen „Mediterranean Solar Energy Plan“. Der Gaza-Krieg machte vor einigen Monaten einen Strich durch die Rechnung. Seit Dezember 2008 haben keine hochrangigen ministeriellen Treffen der Teilnehmerstaaten mehr stattgefunden und wichtige Fragen der weiteren institutionellen Ausgestaltung der Union wurden auf Eis gelegt.

Ähnlich wie bereits die Ostseekooperation der 1970er Jahre sollte die Mittelmeerunion sich zum jetzigen Zeitpunkt vor allem um die klima- und umweltpolitischen sowie wirtschaftlichen Themen bemühen und sicherheitspolitische Themen ausklammern. Ist es vor diesem Hintergrund Zufall, dass die Münchner Rück ausgerechnet für den heutigen 13. Juli zu einem Gründungstreffen für die Initiative „Desertec“ nach München eingeladen hat?

Energiesicherheit durch solarthermische Kraftwerke?

Die Projektidee von Desertec ist nicht neu, aber trotzdem faszinierend: solarthermische Kraftwerke in Nordafrika tragen zur sauberen Energieversorgung Europas bei. Investitionen von 400 Milliarden Euro bis zum Jahr 2050 wären notwendig, um 15 Prozent des europäischen Strombedarfs zu decken. Kommt also das privatwirtschaftliche Desertec-Konsortium dem europäischen „Mediterranean Solar Energy Plan“ zuvor oder ersetzt diesen gar?

Zunächst einmal die positive Nachricht, die Techniken für die solarthermische Stromerzeugung, Concentrated Solar Power (CSP) genannt, sowie den Stromtransport per Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsnetze stehen schon heute zur Verfügung. Die ersten Parabolrinnen-Kraftwerke sind seit Mitte der 1980er im kalifornischen Kramer Junction am Netz. Weiterentwickelte CSP-Kraftwerke werden seit einigen Jahren in den USA und Spanien gebaut. Im ägyptischen Kuraymat entsteht derzeit ein kombiniertes CSP- und Gas- und Dampfkraftwerk. In weiteren Ländern haben die Planungen für Parabolrinnen-Kraftwerke bereits begonnen. Eine weitere gute Nachricht – zumindest aus deutscher Sicht – ist, dass hiesige Unternehmen CSP-Technologieführer sind. Die Parabolspiegel kommen von Flabeg, die Receiver von Schott Solar, die Turbinen, Generatoren und die Leittechnik von Siemens und als Generalunternehmer sind Solar Millennium und MAN Ferrostaal tätig.

(Foto: d.i.e.)
Dr. Stefan GänzleBild: DIE

Bliebe also nur noch die Aufgabe, die Finanzierung der Desertec-Initiative zu sichern und politisch in die Mittelmeerunion einzubinden? Doch so einfach ist es nicht, die Mittelmeeranrainer-Staaten als potenzielle Kraftwerksstandorte zu gewinnen. In vielen Ländern herrschen – in unterschiedlicher Ausprägung – autoritäre Regime und besteht die Gefahr terroristischer Anschläge. Das Bevölkerungswachstum sowie die Arbeitslosenzahlen sind sehr hoch. Verstärkt werden die sozialen Probleme durch den Migrationsdruck aus Afrika südlich der Sahara. Ein insgesamt explosives Gemisch mit Auswirkungen auch auf unsere Sicherheit.

Auch Schwellenländer brauchen erneuerbare Energie

Die meisten nicht-EU-Mittelmeeranrainer haben einen hohen Entwicklungsbedarf. Eine Voraussetzung für Entwicklung ist Energie. Jedoch decken derzeit vor allem konventionelle Kraftwerke die Energieversorgung ab. In Zeiten eines beschleunigenden Klimawandels, von dem vor allem die Schwellen- und Entwicklungsländer betroffen sind, müssen auch diese ihre Energieversorgung frühzeitig auf einen nicht-konventionellen, also erneuerbaren Energiepfad lenken. Große solarthermische Kraftwerke können eine Lösung des Problems sein.

Derzeit liegen die Stromentstehungskosten zwar mit 15 bis 23 Cent pro Kilowattstunde noch über den meisten konventionellen Kraftwerken. Doch hier kann – nach Vorbild des deutschen Erneuerbare-Energien-Gesetzes – entweder ein erhöhter Stromeinspeisetarif für erneuerbaren Strom (vom Endkunden bezahlt) die Lücke zum wirtschaftlichen Betrieb schließen; oder aber vom Staat festgelegte ambitionierte Quoten für den Anteil von erneuerbar-erzeugtem Strom bewirken Investitionen in CSP-Kraftwerke – ähnlich wie in den USA. Worauf es ankommt sind klare Rahmenbedingungen für den Stromabsatz in den potenziellen Betreiberländern, so dass sich die Milliarden-Investitionen für private Investoren langfristig lohnen.

Netzausbau als europäische Aufgabe

Im Kontext der euro-mediterranen Partnerschaft sind bereits Erfolge bei der wirtschaftlichen Transformation, z. B. in Tunesien, jedoch weniger im Hinblick auf einen politischen Wandel zu verzeichnen. Nichtsdestotrotz bietet die Union für das Mittelmeer einen dynamischen normativen Bezugsrahmen für die südlichen Anrainer.

Es sollte jedoch nicht Aufgabe der EU im Rahmen der Mittelmeerunion sein, das finanzielle Risiko für privatwirtschaftliche Projekte wie die Desertec-Initiative aufzufangen. Anders sieht es bei der Förderung des Netzausbaus im gesamten Mittelmeerraum aus. Der Netzausbau ist unter dem Gesichtspunkt der öffentlichen Daseinsvorsorge zu sehen und deshalb könnte die EU einen wichtigen Beitrag zur kollektiven Energieversorgungssicherheit im Mittelmeerraum leisten und damit langfristig für eine Sicherheitsdividende sorgen. Um es auf den Punkt zu bringen: erneuerbare Energien fördern Entwicklung und Entwicklung fördert Sicherheit. Insofern sollte das sich konstituierende Desertec-Konsortium der Mittelmeerunion einen neuen Schub geben.

Autoren: Matthias Ruchser, Consultant in der Energiewirtschaft und Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) und
Dr. Stefan Gänzle, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Abteilung „Bi- und multilaterale Entwicklungspolitik“, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE).

Das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) zählt weltweit zu den führenden Forschungsinstituten und Think Tanks zu Fragen globaler Entwicklung und internationaler Entwicklungspolitik. Das DIE berät auf der Grundlage unabhängiger Forschung öffentliche Institutionen in Deutschland und weltweit zu aktuellen Fragen der Zusammenarbeit zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Das einzigartige wissenschaftliche Profil des DIE ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Forschung, Beratung und Ausbildung. Dadurch baut das DIE Brücken zwischen Theorie und Praxis der Entwicklungspolitik.