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Die missratene Revolution

Arne Lichtenberg27. Juni 2012

In Tunesien wurden zwei Internetaktivisten zu Haftstrafen verurteilt, da sie Karikaturen des Propheten Mohammed veröffentlicht hatten. Tunesische Blogger zeigen sich desillusioniert. Ist ihre Revolution gescheitert?

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Tunesische Flagge mit Händen als Facebook-Profilfoto (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Nervös tippt Souhaib Zammel auf seinem iPad herum. Sein Blick schweift unruhig umher, immer wieder greift er zu seinem Mobiltelefon. Der Exil-Tunesier ist Blogger und derzeit zu Besuch beim Global Media Forum der DW in Bonn, wo er Gleichgesinnte aus aller Welt trifft. Seit 2003 studiert Zammel schon in Deutschland. Sein Deutsch ist geschliffen, ein minimaler französischer Akzent ist zu hören. Als die ersten Funken der Revolution in Tunesien aufflammten, veröffentlichte er den ersten Blog: "Alles, was sich in den letzten 20 Jahren angestaut hatte, konnte ich endlich in Worte fassen." Zammel veröffentlichte Texte über brennende Häuser auf Facebook und diversen Blogs, leitete die Informationen an seine Landsleute weiter, um sie aufzuklären. "Bei uns läuft der Informationsfluss nicht wie in Deutschland. Die Leute auf dem Land bleiben oft uninformiert."

Kurze Zeit später ergriff er selbst die Initiative und flog in sein Heimatland. "Ich habe versucht zu dokumentieren, was bei uns zuhause passiert", erzählt er erregt. Zammel fotografierte brennende Polizeistationen und Hotels. "Die wurden selbst in Tunesien noch nicht veröffentlicht", berichtet er. Zammel hat ein kleines bisschen mitgeholfen, die Revolution in Tunesien auf die Beine zu stellen, darauf ist er stolz. Denn als der Protest am 14. Januar 2011 in der Hauptstadt Tunis die Massen mobilisierte, ergriff Präsident Zine el-Abidine Ben Ali die Flucht. Er sah keinen Ausweg mehr, der Widerstand war zu groß geworden.

Willkür der Behörden

Ausschreitungen von Salafisten in Tunis (Foto: Reuters)
Immer mehr Salafisten schüren Unruhe im LandBild: Reuters
Souhaib Zammel und Anis Ayadi (Foto: DW)
Souhaib Zammel (l.) und Anis Ayadi: Besorgt um ihre HeimatBild: DW/Lichtenberg

Heute ist Zammel ernüchtert. Zwei junge Männer sind in seiner Heimat zu langen Haftstrafen verurteilt worden, weil sie auf Facebook den Propheten Mohamed verunglimpft haben. Sie sollen ihn nackt gezeichnet haben. "Dieser Vorfall zeigt mir, wie selektiv Regierung und Staatsanwaltschaft sind." Tausendfach seien Morddrohungen, Bombenanleitungen und Gewaltaufrufe auf Facebook veröffentlicht worden, berichtet Zammel. "Es ist aber nichts passiert. Keine Klage, man hat nichts unternommen." Während Karikaturzeichner Jabeur Mejri seit Ende März in Haft sitzt, konnte sein Freund Ghazi Béji nach Europa fliehen, nachdem die Klage eingereicht wurde. Zammel ärgert am meisten die Selektivität der Behörden. Auch wenn er persönlich mit den Äußerungen der jungen Männer nicht einverstanden sei, "das Recht dazu haben sie". Es können nur ideologische und politische Motive hinter dem Urteil stecken, sagt er.

Auch Anis Ayadi ist schockiert: "Die Revolution wurde gemacht, um mehr Freiheit zu bekommen, damit du deine Meinung sagen kannst." Ayadi lebt ebenfalls in Deutschland, auch er ist zu Gast beim Global Media Forum. Tunesien hat er 2007 den Rücken gekehrt, die Bildungsmöglichkeiten waren ihm zu schlecht. Heute studiert er in Köln. Über die Lage in seiner Heimat ist auch er frustriert. Das alles könne doch nicht sein, sagt er und schüttelt den Kopf. Der Kampf der vergangenen Monate hat ihn müde gemacht. Die aktuelle Situation in seinem Heimatland macht ihn traurig. "Früher hat uns die Regierung kontrolliert, jetzt kontrolliert uns der Staat durch Leute, die als Blogger verkleidet sind". Er erzählt von Blogs, die unterwandert seien, von Facebook-Profilen von Regierungskritikern, die so mit Spam überschüttet werden, dass Facebook sie automatisch schließt. So funktioniert Zensur im Jahr 2012.

Zine El Abidine Ben Ali (Foto: ddp)
Der ehemalige tunesische Diktator Zine El Abidine Ben AliBild: AP

Prozesse nehmen zu

2011 haben in Tunesien Islamisten die Macht übernommen, nachdem der frühere Staatschef Ben Ali gestürzt wurde. Seitdem kommt es häufiger zu Prozessen wegen angeblicher Verletzungen von Moral und Werten. Im Februar hatte das Vorgehen gegen den Geschäftsführer einer Zeitung weltweit für Schlagzeilen gesorgt: Die Zeitschrift hatte ein Aktfoto des deutschen Models Lena Gercke mit ihrem Freund, dem deutschen Fußballnationalspieler mit tunesischen Wurzeln, Sami Khedira, veröffentlicht. Der Herausgeber der Zeitung soll nun umgerechnet rund 500 Euro  Strafe zahlen, verfügte das Gericht in Tunis im März.

Sami Khedira und Model Lena Gercke (Foto: dpa)
Sorgten in Tunesien für einen Skandal: Fußballstar Sami Khedira und seine FreundinBild: Picture-Alliance/dpa

Auch der Blogger und Exil-Tunesier Anis Ayadi ist schon Opfer von persönlichen Angriffen geworden. Bei einem Besuch in Tunesien hätten Salafisten seine Schwester und ihn bedroht, weil seine Schwester kein Kopftuch getragen habe. "Sie haben mich beschimpft, weil ich meine Meinung gesagt habe", berichtet er entrüstet. Auch Zammel geht es nicht besser, er wird bedroht, seine Blogs kritisiert. "Ich bin verbittert, auch das, was ich von meinen Freunden in Tunesien höre, gefällt mir nicht." Er müsse seine Aktivitäten jetzt etwas einschränken, zu sehr habe sein Studium in letzter Zeit gelitten.

Regierung macht Stimmung im Internet

Fatma Riahi gesellt sich zu den beiden jungen Männern. Sie war die erste arabische Bloggerin, die ins Gefängnis musste. 2009 schrieb sie gegen die Regierung, deckte die Vetternwirtschaft auf und machte sie öffentlich. Riahi war der Regierung ein Dorn im Auge. Eine Woche blieb sie in Haft. Währenddessen erlebte sie eine Welle der Solidarität ihrer Landsleute. Trotz Revolution und Meinungsfreiheit hat auch Riahi immer noch keine Ruhe. "Heute werde ich auf vielen Seiten als Ben Ali-Treue dargestellt. Dabei ist das völliger Quatsch, ich war nie auf seiner Seite." Ihre These: Die Regierung beauftragt eigene Blogger, Stimmung gegen Kritiker zu machen.

Die tunesische Bloggerin Fatma Riahi (Foto: DW)
Fatma Riahi (l.): Die Revolution ist eine MissgeburtBild: DW/Lichtenberg

Riahi ist desillusioniert. "Die Revolution ist eine Missgeburt. Es reicht nicht, dem Ungeheuer den Kopf abzuschlagen. Man muss den ganzen Körper zum Zusammenbruch bringen und neu wiederaufbauen." Anis Ayadi blickt ernst, er macht sich Sorgen um sein Land. Das Bildungssystem sei zu schlecht, die Salafisten wollten jetzt nur noch islamische und religiöse Schulen bauen. "Ich habe Angst um Tunesien", sagt er. "Aber die Hoffnung liegt immer noch bei der Jugend. Was wir jetzt brauchen, ist eine neue Revolution."