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Die Zukunft der EU

3. August 2008

Die EU muss demokratischer werden und die politische Vertiefung wagen, die sie nach der Osterweiterung versäumt hat, fordert Martin Schulz. Dabei spielt die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik eine wichtige Rolle.

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"Der Friede der Welt kann nicht gewahrt werden ohne schöpferische Anstrengungen, die der Größe der Bedrohung entsprechen", mit diesen Worten stellte Robert Schuman seine Vision einer Vereinigung der europäischen Nationen vor. Nach Jahrhunderten prekärer Machtgleichgewichte, verheerender Kriege und der Katastrophe der beiden Weltkriege begann damit vor 58 Jahren eine neue Ära in der europäischen Geschichte. Die Idee, durch die Integration der Staaten Frieden zwischen den Völkern zu schaffen, ist Realität geworden.

Atemberaubende Erfolge

Wenn wir einmal innehalten, ist der Erfolg wirklich atemberaubend: aus den tiefen Wunden der beiden Weltkriege ist das Friedensprojekt Europa gewachsen. Durch den Souveränitätsverzicht von Ländern zugunsten einer supranationalen Institution wurde ein sich immer weiter beschleunigender Integrationsprozess in Gang gesetzt. Ein Krieg zwischen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ist heute unvorstellbar. Paradoxerweise ist es das Gelingen des innereuropäischen Friedensprojekts, das zu einer Legitimationskrise der EU führt. Denn der zwischenstaatliche Frieden in Europa wird gerade von der jungen Generation als selbstverständlich angesehen. Für sie stellt sich die Frage nach dem Sinn der EU nicht im Rückblick auf unsere konfliktreiche Vergangenheit, sondern als Ausblick in die Zukunft. Es ist Zeit, die Wertefrage um eine Nutzwertefrage zu ergänzen. Was bringt uns die EU?

Die Umkehr des Klimawandels, eine gerechte Verteilung der Ressourcen, die Kontrolle der internationalen Finanzmärkte, die Aufrechterhaltung der Sozialstandards gegen den Druck der Weltmärkte, die Stärkung der Vereinten Nationen und des Völkerrechts, das sind die Aufgaben für das 21. Jahrhundert. Die Globalisierung schürt Ängste und weckt die nostalgische Sehnsucht nach dem protektionistischen Nationalstaat samt Handelsbarrieren und dem Ausschluss alles Fremden. Doch die Rückkehr in die Vergangenheit ist ein Holzweg. Mit den Ideologien des 19. Jahrhunderts und im Alleingang kann kein Land Herausforderungen dieser Größenordnung meistern.

Die Ohnmacht des zersplitterten Europas

Der Ohnmacht eines in protektionistische Nationalstaaten zersplitterten Europas steht die Macht eines geeinten Weltakteurs gegenüber. Denn aus dem staatlichen Souveränitätsverzicht entsteht ein politischer Souveränitätsgewinn auf der supranationalen Ebene. Die wachsende Kluft von Arm und Reich, der expandierende Niedriglohnsektor und die prekären Arbeitsverhältnisse lassen sich im europäischen Binnenmarkt effektiver bekämpfen als in der nationalen Arena.

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Martin Schulz ist Vorsitzender der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE) im EU-ParlamentBild: AP

Durch die Einigung auf Sozialstandards und Steuersätze, durch Investitionen in Forschung und Entwicklung kann die EU wettbewerbsfähig bleiben und dem Druck der hochmobilen Weltwirtschaft zum Sozialdumping widerstehen. Nach außen hat die EU als weltpolitischer Akteur die Aufgabe eine transnationale Umweltpolitik und eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung voranzutreiben. Mit einer multilateralen, auf Dialog basierenden Friedenspolitik kann sie eine Alternative zum ungeliebten Unilateralismus der Bush-Regierung anbieten.

Nötige Vertiefung ausgeblieben

All das müsste die EU leisten, leistet sie aber nicht, weil ihr die Instrumente fehlen. Das Nein der Iren zum Lissabonner Vertrag ist ein herber Rückschlag für die Reformbemühungen, die Union demokratischer, effizienter und nach außen handlungsfähiger zu gestalten. Nach dem "Big Bang" der Osterweiterung ist die notwendige Phase der Vertiefung ausgeblieben. Das rächt sich jetzt bitter. Gerade die für die Zukunftsgestaltung wesentlichen Politikbereiche sind von Handlungslähmung befallen. Dabei sprechen sich im aktuellen Eurobarometer mehr als Zweidrittel der Europäer für eine europäische Außen- und Sicherheitspolitik und eben so viele für eine Umweltpolitik auf EU-Ebene aus.

Gleichzeitig hat jedoch jeder Zweite das Gefühl, dass seine Stimme nicht gehört wird. Damit haben die Bürgerinnen und Bürger ein gutes Gespür für die Achillesverse der EU, das demokratische Defizit. Denn während staatliche Souveränität auf die supranationale Ebene übertragen wurde, hat man es versäumt, das in unserem Demokratieverständnis fest verankerte Gewaltenteilungsprinzip zu institutionalisieren und Volkssouveränität zu gewährleisten. Würde sich die EU heute bei der EU als Mitglied bewerben, sie würde wegen demokratischer Defizite abgelehnt.

Zeit für die Außendimension

Die Botschaft ist klar: die Menschen wollen nicht weniger Europa; sie wollen ein anderes Europa. Ein demokratischeres und handlungsfähigeres Europa. Die langjährig erprobten europäischen Methoden der Friedenssicherung, geteilte Souveränität, wirtschaftliche Verflechtung, eine Solidaritätsgemeinschaft jenseits nationalstaatlicher Grenzen und ein klar artikulierter Multilateralismus sind die Strategien mit der aus der Globalisierung resultierende Herausforderungen zu bewältigen sind. Es wird Zeit, das innereuropäische Friedensprojekt um eine Außendimension zu ergänzen, dann ist Europa wieder das Zukunftsmodell.


Martin Schulz ist Europa-Abgeordneter der SPD und Vorsitzender der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE) im Europäischen Parlament.