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"Die Mauer ist das einzige effektive Mittel, Terrorismus zu verhindern"

Das Interview führte Steffen Leidel19. April 2006

Wie sollte Israel auf das jüngste Selbstmordattentat in Tel Aviv reagieren? Wie gerechtfertigt sind gezielte Schläge auf Terroristen? Antworten vom Militärhistoriker Martin van Creveld.

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Umstrittene Schutzmaßnahme: die Mauer zwischen Israel und den PalästinensergebietenBild: AP

DW-WORLD.DE: In Tel Aviv gab es am Montag (17.4.) einen Selbstmordanschlag. Die Regierung schloss zwar einen umfassenden Militäreinsatz aus, entschied sich jedoch zu mehreren Vergeltungsmaßnahmen. Ist Vergeltung aus Sicht Israels nun gerechtfertigt?

Martin van Creveld: Es hängt davon ab, was man unter Vergeltung versteht. Maßnahmen gegen Zivilisten oder Kollektivstrafen sind nie gerechtfertigt. Sie sind schlicht blöd.

Und wie gerechtfertigt sind gezielte Anschläge gegen Ziele der Hamas oder gegen terroristische Vereinigungen?

Das ist eine ganz andere Frage. Nach internationalem Recht sind Schläge gegen Terroristen gerechtfertigt. Da gibt es kein Problem. Die Frage ist nur, wer ist ein Terrorist.

In Israel hat der Infrastrukturminister Ronni Rar-On gefordert, die von der radikalen Hamas geführte Palästinenserregierung als "terroristisch" einzustufen. Kann man denn eine demokratisch gewählte Regierung als terroristische Organisation einstufen?

Nicht alle Regierenden sind Mitglieder in der Hamas und nicht alle Mitglieder von Hamas sind in der Regierung. In der Hamas gibt es eine größere Anzahl von Leuten, die Terroristen sind. Und diese Leute sind legitime Ziele für Kontermaßnahmen. Dieses Vorgehen hat sich als effektiv erwiesen.

Ist auch der neue Ministerpräsident Ismail Hanija ein legitimes Ziel?

Nein, das glaube ich nicht. Es wäre sinnlos. Man macht so nur einen Märtyrer aus ihm. Es wäre ein Fehler gegen ihn persönlich vorzugehen. Aber es gibt in der Hamas viele Leute, die mit dem Terrorismus in Verbindung stehen und diese Leute sind meiner Ansicht nach legitime Ziele.

Wo ziehen Sie die Grenze zwischen einem Terroristen und einem Nicht-Terroristen?

Das ist sehr schwer zu verallgemeinern. Man muss da jeden einzelnen Fall untersuchen. Wir müssen genau sehen, was die Leute tun und auf dem Gewissen haben. Und das prüft die israelische Armee auch. Wir versuchen immer die Terroristen zu lokalisieren und kalt zustellen.

Was würden Sie denn nun der israelischen Regierung empfehlen?

Wir bekämpfen diesen Terrorismus bereits seit 20 Jahren. Wir haben fast alles versucht und nichts hat wirklich funktioniert. Es geht nicht darum, nach individuellen Maßnahmen zu fragen - mit einer Ausnahme: Der Bau der Mauer zwischen uns und den Palästinensern sollte so schnell wie möglich beendet werden. Die einzige Maßnahme, die hilft Terrorismus zu verhindern, ist der Bau der Mauer. Jedes Mal wenn ich die Mauer sehe oder Bilder der Mauer sehe wird mein Herz froh.

Aber ist diese Mauer nicht eher friedensverhindernd?

Wir haben in Israel 20 Jahre lang versucht, mit den Palästinensern zu einem Abkommen zu kommen. Es ist nicht gelungen. Ich bin da nicht an der Frage interessiert, wer Schuld hat. Wir müssen vielmehr unsere eigene Sicherheit gewährleisten. Die einzige Maßnahme, die in meinen Augen nützlich ist, ist die Mauer.

Bedeutet der Bau der Mauer nicht, dass man es aufgegeben hat, auf eine friedliche Lösung hinzuwirken?

Um eine friedliche Lösung zu erreichen, braucht man eine Regierung auf der anderen Seite. Aber die gibt es nicht. Die gab es nicht unter Arafat, die gibt es jetzt nicht. Die, die jetzt regieren wollen, haben erneut erklärt, dass sie uns nie anerkennen werden. Mit diesen Leuten ist es leider nicht möglich zu verhandeln. Sie haben auch ihre eigenen Leute nicht im Griff. Schauen Sie nach Gaza, in das Westjordanland. Jedes Mal wenn wir ein Abkommen schließen, gibt es immer eine Gruppe, die sagt, wir erkennen dieses Abkommen nicht an.

Das heißt also: Man wird mit Hamas definitiv nicht und nie verhandeln können?

Es ist unwichtig, ob man mit ihr verhandelt oder nicht. Sie ist nicht in der Lage ihren Verpflichtungen nachzukommen.

Welche Rolle sollten die USA oder sollte die EU in dem Konflikt spielen?

Im Grunde ist es ein Konflikt zwischen uns, den Israelis, und den Palästinensern. Was die anderen tun oder nicht tun, ist nicht so wichtig. Ich habe einen Augenarzt. Dessen sechsjährige Tochter ist bei einer Bombenexplosion umgekommen. Das einzige, das für mich zählt, ist, dass das nicht wieder passiert. Das einzige effektive Mittel dafür ist eine Mauer. Alles andere ist Quatsch.

Glauben Sie, dass Hamas nun die Nähe des Iran sucht und der wiederum versucht, die Hamas für seine Zwecke zu nutzen?

Das interessiert mich nicht. Ich bin Israeli und ich möchte mich verteidigen. Ich glaube, dass die Unterstützung, die der Iran der Hamas bieten kann, im Grunde genommen sehr begrenzt ist. Es geht nicht um deb Iran, nicht um Syrien. Es geht um uns und die Palästinenser. Leider gibt es auf palästinensischer Seite keine Regierung, mit der man verhandeln kann.

Kommen wir noch einmal auf den Iran zurück. Im Rahmen des Atomstreits wird auch über einen militärischen Schlag diskutiert, der den Iran in die Knie zwingen soll. Wie gerechtfertigt wäre solch ein Vorgehen?

Der größte Schriftsteller der je über Krieg geschrieben hat, ist ein Deutscher, nämlich Carl von Clausewitz. Eine der wichtigsten Sätze, die er gesagt hat, ist: Moral und Kriegführung sollte man niemals vermischen. Das ist immer ein Fehler. Die Frage ist nicht, ob ein Schlag gerechtfertigt ist oder nicht, sondern ob er nötig und effektiv ist.

Ist er nötig?

Meiner Ansicht nach nicht. Ich glaube nicht, dass ein Nuklearstaat Iran eine Gefahr für die Welt darstellen würde.

Martin Van Creveld
Bild: picture-alliance/ ZB

Martin van Creveld ist Professor für Militärstrategie an der Jerusalemer Hebräischen Universität. Creveld wurde 1946 in Holland geboren. Seit 1950 lebt er in Israel. Er studierte an der London School of Economics und an der Hebrew University in Jerusalem, wo er seit 1971 als Professor für Geschichte lehrt. Creveld ist Autor des Standardwerkes "Die Zukunft des Krieges" (The Transformation of War). Der israelische Militärhistoriker hat schon seit den 1980er Jahren einen Grenzzaun zwischen Israel und den besetzten Gebieten gefordert. Er gilt als einer der wichtigsten Militärexperten weltweit.