1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Die Masse macht's - "crowd funding" im Netz

25. Januar 2011

Kleinvieh macht auch Mist - das ist ein Sprichwort, das auch im Internetzeitalter gültig ist. Mit Hilfe von kleinen Geldbeträgen werden hier Projekte finanziert, die sonst wahrscheinlich nicht umgesetzt werden könnten.

https://p.dw.com/p/QuxI
Screenshot von Tobias Becker alias nnoiz Papp in Second Life (Foto: Tobias Becker)
Tobias Beckers KunstfigurBild: Tobias Becker

In der Regel findet man sie in der Fußgängerzone: Straßenmusiker, die singen oder ein Instrument spielen, vor sich einen Hut oder Koffer, in den die Vorbeigehenden hoffentlich ein paar Münzen werfen. Doch es gibt Straßenmusiker, die ihren Hut nicht im wirklichen Leben aufstellen, sondern im Internet.

Tobias Becker beispielsweise. Er ist studierter Filmkomponist und Sounddesigner, spielt Oboe, Gitarre und Synthesizer. Vor drei Jahren hat er sich ein kleines Stück virtuelles Land in Second Life gekauft. "Dort habe ich mir eine Bühne gebaut und da gebe ich online Live-Konzerte", sagt der 52-Jährige. Und damit verdient er sogar ein bisschen Geld – nach dem Prinzip des "crowd fundings". Sprich: Menschen, denen seine Musik gefällt, können ihre Begeisterung ausdrücken, indem sie ihm online Geld spenden.

Virtuelle Klangkonzerte

Screenshot von Tobias Beckers Kunstfigur in Second Life (Foto: Tobias Becker)
Tobias Beckers digitaler Musiker beim Konzert im NetzBild: Tobias Becker

"Second Life" ist eine Art Parallelwelt, in der man mit einem selbst gestalteten Avatar, also einer grafischen Kunstfigur, durch virtuelle Welten laufen kann. Tobias Becker aber nutzt "Second Life" professionell für seine Musik. Bei ihm kann man virtuelle Konzerte buchen, zu denen die Avatare dann hingehen. Ihn selbst faszinieren an der virtuellen Soundwelt vor allem die technischen Möglichkeiten. "Ich kann zum Beispiel einen Ball auf den Boden legen und wenn jemand den Ball berührt, macht der einen bestimmten Ton", erklärt er. Und das ist nicht irgendein Ton, sondern ein Geräusch, das er selbst in seinem Tonstudio kreiert. Eine Spielerei, klar, aber eine, die ihm Spaß macht.

Als Applaus gibt es dann manchmal Lob im Chat oder auch eine kleine Geldspende. "Die können mich anklicken und dann öffnet sich ein Fenster, da steht dann 'pay' und dann können die sagen: Ich will dem Mann 100 Lindendollar geben." Lindendollar heißt die Währung in Second Life – 305 Linden-Dollar sind ungefähr ein Euro. Für Becker ist sein digitales Musikerleben eine Art Zubrot, leben kann er davon nicht. "Aber das Sprichwort sagt ja: Kleinvieh macht auch Mist", meint der Musiker optimistisch.

Tobias Becker mit Oboe (Cora Theobalt)
Tobias Becker mit seiner OboeBild: DW

Neue Chancen für Journalisten und Künstler

Auch andere Künstler machen sich "crowd funding" zunutze. Die Künstlerin Daphne Arthur zum Beispiel ruft per Video über die Plattform "kickstarter.com" zum Spenden auf. Sie ist zur Biennale nach Florenz eingeladen, kann die Reisekosten allerdings allein nicht aufbringen. Die anonyme Fangemeinde im Internet soll nun die Reise und den Transport ihrer Kunstwerke bezahlen.

Wer online Projekte unterstützen möchte, aber sein Geld nicht nur einem Projekt zugute kommen lassen möchte, kann die Summe auch splitten: Die schwedische crowd funding-Plattform "Flattr" etwa bietet an, ein monatliches Spendenbudget in mehrere Beträge gleichmäßig aufzuteilen. "Flattr" stellt dafür einen virtuellen Knopf zur Verfügung, den Betreiber von Internetseiten auf ihrer Homepage platzieren können. Sprich: der Nutzer entscheidet Anfang des Monats, wieviel er ausgeben will und das wird dann auf die Seiten verteilt, die ihm gefallen.

Geldbeträge derzeit noch gering

Thema crowd funding: Die Wissenschaftlerin Annika Sehl (Foto: DW / Cora Theobalt)
Forscht über crowd funding: Annika Sehl aus DortmundBild: DW / Cora Theobalt

Wie gut das Prinzip letztlich funktioniert, darüber gibt es bisher kaum Erfahrungswerte. Im Journalismus hat sich "crowd funding" aber schon bewährt. Ein Beispiel dafür ist die Plattform "spot.us", über die sich Journalisten etwa eine Recherchereise finanzieren lassen können. "Für Journalisten ist es eine neue Art zu arbeiten oder mit ihren Themen umzugehen. Bisher mussten sie ihre Themen ja an Redaktionen verkaufen oder vielleicht an ihren Chefredakteur. Jetzt präsentieren sie sie quasi direkt ihrem Publikum", sagt die Dortmunder Journalistik-Absolventin Annika Sehl, die über das Thema promoviert. Allerdings dürfe durch diese Mitbestimmung die journalistische Unabhängigkeit nicht gefährdet werden, "ein wichtiges Qualitätskriterium im Journalismus".

Ist das journalistische Produkt durch die Spendensammlung dann erst einmal realisiert, gelingt es im besten Falle noch, den Beitrag auch an die traditionellen Medien zu verkaufen. Ansonsten findet man sie in Blogs oder auf den jeweiligen "crowd funding"-Plattformen.

Auch Tageszeitungen versuchen sich dieses Prinzip zu Nutze zu machen, indem sie dem User ihrer Onlineauftritte die Möglichkeit geben, Geld zu spenden, wenn ihnen ein Artikel besonders gefallen hat. Die "taz" habe monatlich im letzen Jahr ca. 1500 Euro damit eingenommen, sagt Annika Sehl. Für ein Unternehmen sicherlich kein nennenswerter Betrag, Musiker wie Tobias Becker aber können auch davon bislang nur träumen. Aber er nimmt es mit Humor: "Ich hab schon ein paar mal 40 Dollar verdient und wenn ich mir überlege, ich sitze da schön bei mir zu Hause im Wohnzimmer und spiele eine Stunde, dann finde ich das schon ganz gut."

Autor: Cora Theobalt
Redaktion: Petra Lambeck