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Kampf der Frommen

18. Juni 2010

Rund 120.000 ultra-orthodoxe Juden sind in Israel auf die Straße gegangen, um gegen ein Urteil des Obersten Gerichts zu protestieren. Sie erkennen die Rechtsprechung nicht an und ihre Macht im Land wächst stetig.

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Proteste in Jerusalem, Foto: ap
Proteste: Die Gruppe der Ultra-orthodoxen in Israel wächstBild: AP

Aus Protest gegen ein Urteil des Obersten Gerichtshofs sind am Donnerstag (17.06.2010) nach Angaben der Polizei etwa 120.000 ultra-orthodoxe Juden in Israel auf die Straße gegangen. Es waren die größten religiösen Proteste seit mehr als zehn Jahren, die liberale Zeitung "Haaretz" bezeichnete sie als den bisher "dramatischsten Zusammenstoß zwischen Staat und Religion". Tausende Polizisten waren in erhöhter Alarmbereitschaft.

Hintergrund des Streits ist die Weigerung aschkenasischer (europäischstämmiger) Juden, ihre Kinder gemeinsam mit denen von sephardischen (aus Südeuropa und dem Orient) jüdischen Familien unterrichten zu lassen. In einer Mädchenschule der israelischen Siedlung Emmanuel im Westjordanland ließen sie eine Trennwand einziehen und führten einen getrennten Unterricht ein.



Rassistische Trennung

Der Oberste Gerichtshof Israels bezeichnete die Maßnahme als rassistisch und forderte die Abschaffung der "Segregation": Die Trennung erfolge offensichtlich aufgrund von Vorurteilen gegenüber der südländischen Herkunft der Kinder. Die Angeklagten jedoch wiesen den Vorwurf zurück: Sie argumentieren, als aus Osteuropa eingewanderte Juden hätten sie andere religiöse Bräuche. Tatsächlich begreifen sie sich als Vertreter einer "reineren" Lehre: Ihre religiösen Gesetze seien strenger und ihr Glaube deshalb "besser" als das orientalisch geprägte Judentum.

Proteste in Jerusalem, Foto: ap
Die Ultra-orthodoxen in Israel nehmen zu und seit einigen Monaten haben sie die Straßen als Schauplatz ihres Protests entdeckt.Bild: AP

Aus Protest gegen die Gerichtsentscheidung schickten mehrere Eltern ihre Kinder nicht mehr auf die Schule, woraufhin Israels höchstes Gericht die 86 Väter und Mütter wegen der Verletzung der allgemeinen Schulpflicht zu zwei Wochen Haft verurteilte. Die verurteilten aschkenasischen Eltern sollten die Strafe am Donnerstag antreten, erschienen aber bis zum Nachmittag nicht bei der Polizei. Die Rabbiner hatten den Frauen verboten, ins Gefängnis zu gehen.


Die Thora regiert

Stattdessen nahmen die Eltern nach Medienberichten an den Kundgebungen teil, bei denen paradoxerweise Vertreter von beiden ultra-orthodoxen Gemeinschaften gemeinsam auf die Straße gingen. Nach Angaben der Polizei beteiligten sich mindestens 100.000 Menschen an der Kundgebung in West-Jerusalem, 20.000 demonstrierten zudem in dem mehrheitlich ultra-orthodoxen Ort Bnei Brak bei Tel Aviv.

Beide Gemeinschaften erkennen die Autorität des Obersten Gerichts nicht an. Auf Spruchbändern stand "Die Thora regiert", Redner bekräftigten immer wieder: "Die Thora steht über den bürgerlichen Gesetzen" und bezeichneten die Richter als "Nazi-Richter". 1999 hatte eine halbe Million ultra-religiöser Juden in Jerusalem bereits gegen die "Diktatur" der Obersten Richter demonstriert. Auch Vertreter der sephardisch geprägten Schass-Partei wie Innenminister Eli Yishai kritisierten das Gerichtsurteil. Moderne orthodoxe Rabbiner wie Yuval Sherlo distanzierten sich von den Protesten. Sie seien Ausdruck von "Rassismus und Diskriminierung" und stellten nur die Spitze eines Eisbergs dar, sagte Sherlo der Zeitung "Haaretz".




Gesellschaftlicher Konflikt

Die Proteste fachen den Konflikt zwischen weltlich orientierten und ultra-orthodoxen Israelis weiter an. Die gemäßigt religiösen Israelis werfen den Ultra-Orthodoxen vor, das ganze Land ihren Regeln zu unterwerfen. Zudem arbeitet ein großer Teil der rund 600.000 streng Religiösen nicht, sondern widmet sich dem Thora-Studium und wird vom Staat finanziell unterstützt. Außerdem müssen sie nicht zur Armee - Aspekte, die den innergesellschaftlichen Konflikt in Israel immer weiter anheizen. Der Einfluss der Ultra-Orthodoxen auf die Politik wächst. So bestand Staatspräsident Shimon Peres zwar darauf, dass es in Israel "nur ein Gesetz" gebe, er zeigte dennoch Verständnis für ihre Anliegen. Der Oberste Gerichtshof verschob den Haftbeginn nach Medienberichten für die 22 Frauen am Freitag zunächst bis zu einem ungenannten Termin. Das Thema werde bei einer weiteren Sitzung am Sonntag diskutiert.

Autorin: Ina Rottscheidt (ap/kna/dpa)
Redaktion: Thomas Kohlmann

Ultra-orthodoxe Schülerinnen auf dem Dach einer Schule, Foto: ap
Die Ultra-orthodoxen fordern sreng getrennten Unterricht für ihre Kinder. Urteile des Obersten Gerichts erkennen sie nicht an, für gilt allein, was in der Thora steht.Bild: AP