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Die Lage in Nahost kann jederzeit explodieren

4. August 2010

Die tödlichen Schusswechsel an der libanesisch-israelischen Grenze lenken den Blick auf die wachsende Kriegsgefahr im Nahen Osten. Ein Kommentar von Rainer Sollich.

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Der bislang schwerste Gewaltausbruch an der libanesisch-israelischen Grenze seit Ende des Kriegs vor vier Jahren ist ein deutliches Warnsignal: Die internationale Gemeinschaft muss sich weitaus entschiedener um eine Eindämmung der Konflikte im Nahen Osten kümmern. Die Lage zwischen Israel und Libanon - aber auch zwischen Israel und Gaza - ist so angespannt, dass offenbar selbst ein scheinbar harmloser Streit um einen Baum im Grenzgebiet zum Auslöser für tödliche Gefechte werden kann.

Verhärtete Positionen

Gefährlich ist vor allem, dass eines immer einkalkuliert werden muss: Auf allen beteiligten Seiten gibt es Kräfte, die sich bis zu einem gewissen Grad durchaus Vorteile von militärischen Abenteuern oder einer versuchsweise kontrollierten Eskalation versprechen könnten. Radikal-islamische Milizen wie Hamas und Hisbollah haben aus dem gewaltsamen Vorgehen gegen Israel schon mehrfach Legitimität und Popularität schöpfen können. Sie können damit einen öffentlichen Druck aufbauen, der automatisch zur Verhärtung der Position fast aller arabischen Akteure führt. Kein arabischer Führer kann es sich in Krisensituationen leisten, sich mangende Solidarität mit den "Brüdern" in Gaza oder Libanon vorhalten zu lassen.

Auch in Israel besteht ein erhöhtes Risiko, dass Hardliner versucht sein könnten, politische Ziele durch Gewalteinsatz zu erreichen: Mit einem Vorgehen gegen offen Israel-feindliche Kräfte lässt sich nicht nur innenpolitisch punkten. Militärische Aktionen gegen Hisbollah oder Hamas könnten in den Augen bestimmter Strategen auch eine geeignete Symbolhandlung sein, um dem Iran zu verdeutlichen, dass Israel sich schon jetzt aktiv gegen Teherans Verbündete zur Wehr setzt. Und niemals iranische Atomwaffen zulassen wird.

Fehlendes Engagement der USA

Strategische Überlegungen dieser Art sind gefährlich: Vermeintlich kontrollierbare Militäraktionen geraten in dieser Region schnell außer Kontrolle und könnten in der jetzigen Situation sogar einen größeren Krieg auslösen.

EU, USA und andere rufen die Konfliktparteien jetzt zu größtmöglicher Zurückhaltung auf. Das ist das richtige Signal - und zugleich viel zu wenig. Nicht nur Appelle und Vermittlungsversuche, auch mehr aktive Einmischung ist notwendig. Wer den Nahen Osten befrieden oder zumindest stabilisieren will, muss Israelis ebenso glaubwürdig Kompromisse abverlangen können wie Libanesen und Palästinensern. Er muss einen klar erkennbaren Plan haben und Konsequenz unter Beweis stellen. Das könnten derzeit nur die USA leisten. Der jetzige amerikanische Präsident bemüht sich mehr als sein Vorgänger. Aber er tut immer noch viel zu wenig.

Autor: Rainer Sollich

Redaktion: Stephanie Gebert