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Die Lage der Christen im Libanon

12. Oktober 2010

Ein Drittel der Einwohner des Libanon sind Christen. Sie stellen den Präsidenten und den Armeechef und werden auch ansonsten nicht benachteiligt. Trotzdem haben sie mit einigen Problemen zu kämpfen.

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Eine Person schaut hoch zu einem großen beleuchteten Kreuz (Foto: DW)
Mit großen Symbolen zementieren die Christen im Libanon ihren Anspruch auf eine SonderrolleBild: DW/Birgit Kaspar

In Beirut stehen christliche Kirchen direkt neben Moscheen. Glockengeläut wechselt mitunter nahtlos mit dem Gebetsruf des Muezzins. Die christliche Minderheit im Libanon lebt heute nahezu reibungslos in dem überwiegend muslimischen Land – rund ein Drittel der etwa 4,5 Millionen Libanesen sind christlichen Glaubens. Damit ist der Zedernstaat das Land mit dem größten christlichen Bevölkerungsanteil im Nahen Osten.

1983 mussten Christen um ihr Leben fürchten

Sami Abi Daher gehört zu der christlichen Minderheit. Der 54-jährige, weißhaarige Mann scherzt mit einer Kundin, deren Frisur er in seinem einfachen, mit altmodischen Stühlen und altmodischen Haartrockenhauben ausgestatteten Salon im christlichen Stadtteil Ashrafieh in Form bringt. Nachdenklich erinnert er sich an die düstere Zeit im Jahr 1983, als zehntausende Christen aus ihren Dörfern um Aley und die Schouf-Berge fliehen mussten. Es herrschte Panik. Fünfzig seiner Familienangehörigen machten sich zu Fuß oder mit dem Auto nach Deir el-Qamar auf den Weg. "Los, los, sonst bringen sie uns noch alle um, riefen sie durcheinander. Alle rannten, manche ließen sogar ihre Kinder zurück", beschreibt Abi Daher die Szenen der Verzweiflung. Sie seien vor Drusen und Syrern geflohen.

Blick von unten auf eine große Statue auf einem Sockel (Foto: DW)
Christliche Statue: Notre Dame de Harrissa oberhalb von JouniehBild: DW/Birgit Kaspar

Das war nach der israelischen Invasion 1982, in deren Folge der Bürgerkrieg sich in den Bergen nahe Beirut gegen die Christen richtete. Abi Daher gehörte damals selbst der anti-syrischen Christenmiliz "Forces Libanaises" an. Sein Heimatort Rischmaya wurde von Drusen geplündert, einige Häuser niedergebrannt. Der Vater von drei Kindern kehrte nie mehr dorthin zurück. Er räumt ein, dass konfessioneller Hass während des Bürgerkrieges eine Rolle gespielt habe. Er sei aber nicht das Kernproblem gewesen. "Ich muss dir sagen," erklärt der joviale Friseur mit erhobenem Zeigefinger, "wenn du die Drusen nicht verletzt, dann tun sie dir auch nichts. Aber die Christen, wann immer sie sich in Beirut stark fühlen, erheben sie Ansprüche in den Bergen." Und die normalen Leute zahlten den Preis.

Heute werden Christen weder bedroht noch unterdrückt

Für die Aggression gegen die Christen seien die damaligen christlichen Warlords verantwortlich gewesen. Doch heute, zwanzig Jahre nach dem Bürgerkrieg seien die Christen im Libanon weder bedroht noch unterdrückt, sagt Abi Daher. "Es gibt keine Probleme zwischen uns, den Schiiten und den Sunniten. Nur die Politiker machen die Schwierigkeiten." Die normalen Leute säßen zusammen, äßen und tränken zusammen, alles sei harmonisch. Dann plötzlich falle der eine dem anderen in den Rücken - weil die Politiker sie instrumentalisiert hätten.

Versteckte Diskriminierung?

Es sind heute vor allem die Kirchenväter, die über eine Benachteiligung sowie über eine hohe Auswanderungstendenz klagen. Pater Antoine Salameh aus dem Kloster Tamisch nördlich von Beirut betont, die Diskriminierung sei eher versteckt. "Sie wollen die Christen aus der Macht drängen, was ihnen nicht ganz gelingt. Aber die Muslime versuchen immer mehr Posten mit ihren eigenen Leuten zu besetzen."

Porträt von Abdallah Bouhabib (Foto: IF-CL/ Bouhabib)
Abdallah BouhabibBild: IF-CL/ Bouhabib

Solche Klagen werden immer auch mit einem Blick auf den Westen geäußert - von den Glaubensbrüdern erhofft man sich Schützenhilfe, um die eigene Position zu verbessern. Zwar haben die Christen nach dem Bürgerkrieg etwas an politischem Einfluss eingebüßt. Aber der Vertrag von Taif räumt ihnen immer noch überproportionale Rechte ein. So stellen sie den libanesischen Präsidenten sowie den Armeechef. Im Parlament und in der Verwaltung sind sie ebenfalls mit 50 Prozent vertreten, obwohl sie nur ein Drittel der Bevölkerung ausmachen. Studien über Auswanderungsraten belegen zudem, dass Christen, Sunniten und Schiiten in ähnlichem Umfang das Land verlassen - überwiegend aus ökonomischen Gründen. Abdallah Bouhabib, Direktor des Issam Fares Instituts für den Libanon, das vor kurzem eine Konferenz zur Lage der Christen im Nahen Osten abhielt, ist sich sicher, dass diese muslimisch-christliche Balance nicht in Gefahr ist: "Beide, Sunniten und Schiiten, wollen, dass es so bleibt. Es gibt hier diese Übereinkunft, im Gegensatz zu anderen arabischen Staaten."

Kinder stehen vor einem Altar (Foto: DW/Birgit Kaspar)
Der christliche Nachwuchs in Notre Dame de Harrissa bei der 350.000-Einwohner-Stadt Jounieh im LibanonBild: DW/Birgit Kaspar

Mangelnde Soldidarität unter Christen

Immer wieder hört man indessen von Christen die Sorge, dass eine zunehmende Radikalisierung der Muslime in der Region zur Gefahr werden könnte. Doch Sami Abi Daher ist überzeugt, dass dies die moderaten Muslime nicht zulassen würden. Es sei eine ganz persönliche Entscheidung, ob man sein Land verlassen wolle. Mit Religion habe das nichts zu tun. "Die Christen hier halten ja noch nicht einmal zusammen. Unsere Solidarität untereinander liegt in tausend Stücken, weil unsere Führer uns gespalten haben. Selbst in einem winzigen Dorf wie Rischmaya gab es fünf christliche Parteien." Abi Daher zuckt die Achseln. Diesbezüglich seien die Christen ein hoffnungsloser Fall.

Autorin: Birgit Kaspar
Redaktion: Marco Müller