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"Die Kuh ist umzingelt"

25. Dezember 2001

Von Rechenkünstlern, Politikern der S-Klasse, Lokomotiven im Tunnel, Möchtegern-Enthaltsamkeit, falsch getragenen Lorbeeren und Fußballern in Ekstase: das Jahr in Zitaten.

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Wohl selten hat ein einzelnes Datum ein Jahr so geprägt wie 2001. Der 11. September, der Tag, an dem die Welt voller Entsetzen die Terroranschläge von New York und Washington verfolgte. Der 11. September: ein Datum, das zum "Wort des Jahres" wurde. Ein Tag, der Konsequenzen nach sich ziehen würde:
Unser Krieg gegen den Terror (...) wird nicht zu Ende sein, ehe jede weltweit tätige Terrorgruppe aufgespürt, gestoppt und besiegt worden ist ...
... sagte US-Präsident George W. Bush vor dem Kongress in Washington.

Skepsis spricht allerdings aus den Worten von Samuel Huntington, dem Autor des Buches "Kampf der Kulturen":
Ich sehe nicht, wie man Haltung und Verhalten von Leuten verändern kann, die den Tod nicht fürchten.

Und eher nachdenklich stimmt die Äußerung der indischen Schriftstellerin Arundhati Roy:
Terrorismus ist ein Symptom, nicht die Krankheit.

Auf jeden Fall war nicht nur jedem sonntags daher redenden Politiker schnell klar, dass die Welt nach dem 11. September eine andere sei, sondern auch einfühlsamen Medienleuten:
Aufgrund der Ereignisse und Entwicklungen der vergangenen Tage nimmt RTL II die geplante Show "Oktoberfest 2001" (...) aus dem Programm und zeigt stattdessen den Western-Klassiker "Rio Lobo" mit John Wayne.

Allerdings hat es auch schon vor dem 11. September Änderungen in der Welt gegeben. Wer redet zum Beispiel noch von BSE? Das Problem ist gelöst, wenn wir der Ministerin für, unter anderem, Verbraucherschutz, Renate Künast, glauben dürfen:
Die Kuh ist umzingelt.

Männer mit Appeal

Noch nicht vom Eis ist die Kuh namens Kanzlerkandidatur. Ein heißes Thema für Deutschlands C-Demokraten und die C-Sozialen in Bayern. Für Gloria Fürstin von Thurn und Taxis schien die K-Frage allerdings eher eine S-Frage zu sein:
Edmund Stoiber ist vor allem sexy, dies ist für uns Frauen besonders wichtig.

Klaus Wowereit
Klaus WowereitBild: AP

Zu den Menschen des Jahres gehörte 2001 mit Sicherheit Klaus Wowereit, ein Sozialdemokrat, der nur Insidern ein Begriff war - bis er sich outete:
Ich bin schwul - und das ist auch gut so.

Eine Äußerung, deren Nachsatz zum geflügelten Wort und deshalb auch als "Satz des Jahres" geadelt wurde. Die Kernaussage allerdings bietet erst richtige Perspektiven, denn wie meinte SPD-Generalsekretär Franz Müntefering:
Im Prinzip sind Lesben und Schwule für alles geeignet - sogar als Papst.
Na ja, immerhin ist Klaus Wowereit inzwischen Regierender Bürgermeister von Berlin - ist ja auch schon was.

Absteiger und Auslaufmodelle

Eher zu den Absteigern des Jahres gehörte Slobodan Milosevic. Der einst allmächtige Diktator der Bundesrepublik Jugoslawien wurde in einer Nacht-und-Nebel-Aktion an das UN-Tribunal in Den Haag ausgeliefert. Kommentar des bosnischen Filmregisseurs Emir Kusturica:
Im Grunde genommen wurde sein Kopf für 1,3 Milliarden Dollar verkauft. Das ist eine hohe Ablösesumme. Maradona und andere Fußballspieler waren da doch sehr billig.

Zu einer Art Auslaufmodell entwickelte sich auch Palästinenser-Präsident Jassir Arafat. Noch im Sommer reagierte er auf Berichte über mögliche israelische Aktionen gegen ihn und die palästinensische Autonomiebehörde gelassen mit einem arabischen Sprichwort:
Oh Berg, dich kann kein Wind erschüttern.
Wenige Monate, dafür viele Selbstmordattentate und Vergeltungsschläge später dürfte nicht nur Arafat erschüttert sein über die erneute Spirale von Gewalt und Gegengewalt im Nahen Osten.

Jassir Arafat
Palästinenser-Präsident Jassir ArafatBild: AP

Humor und Komik

Zu der Kategorie "Verdrängungskünstler" gehört offensichtlich auch der Rennfahrer Alex Zanardi. Nur zwei Monate nach seinem schweren Unfall auf dem Lausitzring (nach dem ihm beide Beine amputiert wurden) sagte der Italiener:
Der Unfall gehört der Vergangenheit an. Ich bin schließlich Realist, der mit beiden Füßen fest auf dem Boden steht.

Schwarzer Humor: im Sport eher eine Ausnahme. Unfreiwillige Komik ist in diesem Bereich wesentlich häufiger anzutreffen. Wie bei Box-Weltmeister Sven Ottke:
Die letzten vier Kämpfe waren alle drei Klasse.

Als Meister aller Sprachklassen entpuppte sich, einmal mehr, Lothar ("Lodda") Matthäus nach seiner ersten Niederlage als Sportdirektor von Rapid Wien:
Ich muss die Mannschaft erst aus ihrer Ekstase holen.

Da möchte natürlich auch "Super" Mario Basler (hier als Antwort auf eine Frage nach seiner Beziehung zum französischen Mannschaftskameraden Youri Djorkaeff beim 1. FC Kaiserslautern) sein rhetorisches Licht nicht unter den Scheffel stellen:
Ich lerne nicht extra französisch für die Spieler, wo diese Sprache nicht mächtig sind.

Es ist nicht alles Gold ...

Nach der Erkenntnis, dass in der Nouvelle Cuisine auch nur mit Wasser gekocht wird, mussten einige in diesem Jahr schmerzlich erfahren, dass auch der New Economy wenig Harry-Potter-artiges anhaftet. Frank Niethammer, Vizepräsident des Deutschen Industrie- und Handelstages, brachte es auf den Punkt:
Durch umfangreiche Recherchen haben wir herausgefunden, dass auch die New Economy im Grund genommen den ökonomischen Gesetzen unterliegt.

Die Konjunktur wurde auch 2001 recht unterschiedlich beurteilt. Manche sahen zwar Licht im Tunnel - anders dagegen der Präsident des Verbandes der Deutschen Bauindustrie, Ignaz Walter:
Die stehen entweder in einem anderen Tunnel, oder es kommt ihnen eine Lokomotive entgegen.

Dass man immer auf dem Sprung sein muss, wollte wohl auch Allianz-Vorstandschef Henning Schulte Noelle mit dem folgenden Satz zum Ausdruck bringen:
Wer sich auf seinen Lorbeeren ausruht, trägt sie an der falschen Stelle.

Wer's glaubt, wird selig

Reiner Calmund
Reiner Calmund, Manager des Fußball-Bundesligisten Bayer LeverkusenBild: AP

Weniger ausruhen, dafür umso mehr fasten möchte Reiner Calmund, der schwerstgewichtige Manager des Fußball-Bundesligisten Bayer Leverkusen:
Für die deutsche Meisterschaft würde ich ein halbes Jahr nix essen.

Leeres Geschwafel natürlich: das würde der Mann noch nicht einmal einen halben Tag durchstehen. Durch den Mangel an Manager-Disziplin wird es deshalb wohl auch in dieser Saison nichts mit dem Titel für Leverkusen und kommt alles wieder so, wie es Stefan Effenberg schon nach dem 17. Titelgewinn des FC Bayern München sagte:
Die Bundesliga ist ein richtig spannender Wettbewerb: 18 Mannschaften wollen deutscher Meister werden - und am Ende feiern immer die Bayern.