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Die kritische Öffentlichkeit ist gefragt

Ute Schaeffer6. Dezember 2001

Bundeskanzler Gerhard Schröder besucht Europas "vergessenen Hinterhof". Seit das Katastrophen-Kraftwerk Tschernobyl vor einem Jahr geschlossen wurde, kümmert sich der Westen kaum noch um das osteuropäische Land.

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Der ukrainische Präsident Leonid KutschmaBild: AP

Besuche westlicher Politiker werden von der ukrainischen Presse mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt. Mindestens genauso wichtig ist das Auftreten des ukrainischen Staatspräsidenten Leonid Kutschma im Ausland. Die Anzahl solcher internationalen Treffen gilt als Bestätigung der nationalen Bedeutung des Landes und der Weltläufigkeit der politisch Handelnden. Geht man danach, so muss der Besuch von Bundeskanzler Schröder in Kiew am Donnerstag (6.12.) Enttäuschung auslösen: Erstens handelt es sich um den ersten und wohl auch einzigen Besuch eines westlichen Regierungschefs in der Ukraine in diesem Jahr. Zweitens sind für den Besuch gerade einmal neun Stunden vorgesehen.

Schwerpunkt Terrorimus-Bekämpfung

Die Ereignisse seit dem 11. September haben die Ukraine weltpolitisch noch weiter in den Hintergrund treten lassen, als das vorher schon der Fall war. Das Programm von Schröder, der von Innenminister Schily und Finanzminister Eichel begleitet wird, ist entsprechend kurz. Er wird sich mit Präsident Kutschma austauschen, wobei sich das Gespräch vor allem den internationalen Kampf gegen den Terrorismus drehen wird. Schröder wird aber auch deutliche Worte zur innenpolitische Situation in der Ukraine finden. Mit Blick auf die anstehenden Parlamentswahlen im kommenden März wird Schröder den ukrainischen Präsidenten darauf hinweisen, dass der Westen einen freien und fairen Wahlkampf erwarte.

Gesprächsstoff werden außerdem jene Themen sein, die im Laufe des vergangenen Jahres für Konfliktstoff zwischen Kiew und den westlichen Partnern gesorgt haben: So ist das Verschwinden und die mutmaßliche Ermordung des Journalisten Georgij Gongadse immer noch nicht aufgeklärt; weitere Journalisten wurden in Ausübung ihres Berufes im Laufe dieses Jahres ermordet; die Presse steht unter massivem Druck durch die Politik sowie finanzkräftige Clans. Im Frühjahr wurde der im Westen hochangesehene, reformorientierte Regierungschef Justschenko durch eine Zweck-Koalition aus Kommunisten und Oligarchen abgesetzt. Schröder wird sich deshalb - und das ist ein Signal an die ukrainische Führung - mit Vertretern der kritischen Öffentlichkeit, mit Journalisten, Gewerkschaftlern und politisch Interessierten treffen.

Annäherung an Russland

Die politischen Entwicklungen in der Ukraine werden im Westen mit Sorge verfolgt. Bedenklich stimmt außerdem die Tatsache, dass die Ukraine sich außenpolitisch inzwischen weit mehr an Russland angenähert hat als noch vor zwei oder drei Jahren. Ein Grund für diese Annäherung war die innenpolitische Krise in diesem Jahr. Während der Westen den innenpolitisch geschwächten ukrainischen Präsidenten wegen seines Umgangs mit der Presse scharf kritisierte, stellt sich der russische Präsident Putin demonstrativ hinter Kutschma.

Der Kreml hat seit dem Amtsantritt von Putin wieder eine klare politische Strategie gegenüber der Ukraine und hinter dieser stehen ebenso klare wirtschaftliche Interessen. Russland möchte das ukrainische Pipeline-Netz privatisieren. Damit könnten russische Firmen wie Gasprom den Preis für das Erdgas, das in Richtung Westeuropa fließt, manipulieren. Die Zahl russischer Unternehmen, die sich in der jüngeren Vergangenheit in den ukrainischen Markt eingekauft haben, steigt ständig.

Vernachlässigung der Ukraine birgt Risiken

Dies zeigt deutlich, welches Risiko eine außenpolitische Vernachlässigung der Ukraine durch den Westen birgt. Der Westen muss ein massives Interesse an einer von Russland unabhängigen, politisch und wirtschaftlich stabilen Ukraine haben. Die jährlichen deutsch-ukrainischen Gipfeltreffen sind da ein wichtiger Brückenpfeiler, denn Deutschland wird in der Ukraine immer noch als ein strategischer Partner in Europa gesehen. Deshalb ist es gut, dass der Bundeskanzler auch eine handfeste gute Nachricht im Gepäck hat: Die Hermes Bürgschaften für die Ukraine sollen in Kürze wieder neu aufgelegt werden, um den Auslandsinvestitionen, auf welche die Ukraine dringend angewiesen ist, neuen Schwung zu geben.