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Die Krise der Europäischen Union ist da

Bernd Riegert, Brüssel3. Juni 2005

Das Krisenmanagement der Europäischen Union nach der Ablehnung der EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden ist schwach, meint Bernd Riegert in seinem Kommentar. Ein Sondergipfel wäre nötig gewesen.

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Wenn es eine Steigerung des Wortes "tot" gäbe, dann könnte man es nach dem dramatischen klaren Nein der Niederländer vom Mittwoch (1.6.) anwenden. Die EU-Verfassung ist noch mehr als tot, sie ist toter, als sie es am Sonntag (29.5.) bereits war, als die Franzosen das Vertragswerk deutlich zurückwiesen. Da hilft auch kein Beharren und Flehen der EU-Spitzen mehr.

Das Krisenmanagement des EU-Ratsvorsitzenden, des Kommissionspräsidenten und des Parlamentspräsidenten ist beschämend mager. Außer einem "Weiter so!" mit der Ratifizierung haben sie nichts anzubieten, obwohl die Ablehnung der Verfassung durch zwei Gründerstaaten der EU absehbar war. Es hätte eines sofortigen Gipfeltreffens der EU-Staats- und Regierungschefs schon am Montag dieser Woche (30.5.) bedurft.

Nun wird der reguläre EU-Gipfel, der in zwei Wochen stattfinden wird, zum Krisengipfel umfunktioniert. Eigentlich sollte er sich mit der fast genauso wichtigen Haushaltsfrage beschäftigen. Doch daraus wird jetzt nichts.

Optionen

Die europäischen Staats- und Regierungschefs haben drei Optionen. Sie können das Verfassungsprojekt für beendet erklären. Sie können beschließen, bestimmte Teile der Verfassung - zum Beispiel ein vereinfachtes Abstimmungsverfahren - auf andere Weise mit gesonderten Verträgen einzuführen. Sie können am Ratifizierungsprozess festhalten und erst Ende 2006 entscheiden, wie es weitergehen soll.

Diese dritte Möglichkeit, die im Moment die offizielle Linie ist, scheidet aus, weil dann entweder der Text der Verfassung geändert werden müsste oder mindestens Frankreich und die Niederlande noch einmal über den unveränderten Text abstimmen müssten. Beides erscheint politisch unmöglich.

Die zweite Möglichkeit, einzelne Teile umzusetzen, würde einen Konsens der 25 Staaten in neuen Vertragsverhandlungen voraussetzen, der in der jetzigen Lage sicher schwer zu finden wäre.

Logisch und politisch rational wäre es, das Projekt Verfassung, so gut es auch gemeint war, für viele Jahre auf Eis zu legen und den jetzigen Textentwurf zu beerdigen. Die Wähler in Frankreich und in den Niederlanden haben nicht nur die Verfassung versenkt, sondern sie haben gleich eine ganze Reihe von europäischen Errungenschaften heftig kritisiert: Die Franzosen den Binnenmarkt und Wirtschaftspolitik. Die Niederländer die Gemeinschaftswährung EURO, Zentralismus und die Einwanderungspolitik.

Eile mit Weile

Das muss den Staats- und Regierungschefs zu denken geben. Sind sie in den vergangenen 15 Jahren, seit dem Fall der Mauer zu schnell vorgegangen, haben sie ihre Bürger überfordert? Warum ist es nicht gelungen, den Menschen zu verdeutlichen, dass an der Erweiterung um die osteuropäischen Staaten kein Weg vorbeiführte?

Die EU war mit dem Rücken an die Berliner Mauer gebaut. Als die Mauer fiel, musste das Haus neu gebaut werden, um es zu stabilisieren. So plastisch hat Jean-Claude Juncker, der luxemburgische Premier und gegenwärtige EU-Ratsvorsitzende das erklärt. Er hat Recht. Nötig ist jetzt eine Denk- und Atempause. Die Staats- und Regierungschefs müssen jetzt zeigen, dass sie einerseits den Willen der Wähler nicht missachten und andererseits nicht in totale Lähmung verfallen. Die europäische Integration muss weitergehen, nur in kleineren Schritten. Alleine können die einzelnen Nationen in der Welt nicht bestehen - weder politisch noch wirtschaftlich.

Es ist auch Zeit für eine ehrliche Bestandsaufnahme, was an der EU wirklich notwendig ist, und wo es übertriebene Integration, ja Bevormundung gibt. Europa muss nicht alles regeln, sondern nur einen Rahmen bilden. Das ist eine Herkulesaufgabe, die schwerer zu lösen ist, als die Verfassung zu schmieden, die vor einem Jahr erst in einem zweiten Anlauf zustande kam - auch auf einem so genannten Krisengipfel.