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Russlands Wunderkinder

4. Mai 2010

1999 hat die Regisseurin Irene Langemann über vier hoch-begabte junge Pianisten einen Dokumentarfilm gedreht. 10 Jahre später gab es eine neue Begegnung vor der Kamera. Jetzt ist der neue Film in den deutschen Kinos.

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Irina Tschistjakova sitz am Flügel und lächelt in die Kamera (Foto: Lichtfilm)
Irina Tschistjakova in MexikoBild: Lichtfilm

Die Ausbildung an der Zentralen Musikschule in Moskau, eine der Elite-Schulen des Landes, verlangt jedem Schüler auch sehr viel ab, erzählt Regisseurin Irene Langemann: "Diese Musikschule am Moskauer Konservatorium – das ist die Kaderschmiede für die Besten aus dem ganzen Land. Und wenn man drin ist, das ist natürlich eine große Ehre. Aber das heißt nicht, dass man die Schule schafft. Die Auslese ist extrem. Es ist eine unglaubliche Förderung: Aber es wird viel Disziplin verlangt, es wird viel Verzicht verlangt, es wird verlangt, dass man unendlich viel übt, aber dafür bekommt man die Möglichkeit, vielleicht weiterzukommen und auf den Olymp zu kommen."

Irina als Kind spielt vor andern Kindern Klavier(Foto: Lichtfilm)
Irina als KindBild: Lichtfilm

Ehrgeiz und Hartnäckigkeit

Diese musikalisch Hochbegabten haben oft ein absolutes Gehör. Auch Irina konnte schon als Kind Musikstücke einfach nachspielen – ohne vorher eine einzige Note zu lesen. Für sie war die Aufnahmeprüfung damals eine Finger-Übung. der spätere intensive Unterricht ein Kinderspiel, was vor allem ihre Eltern sehr stolz machte. "Seit den 30er Jahren bis zum heutigen Tag pilgern Eltern mit ihren begabten Kindern an diese zentrale Musikschule. Einige andere gibt es noch in anderen Großstädten wie zum Beispiel St. Petersburg oder früher Kiew natürlich – um ihren Kindern überhaupt die Möglichkeit zu geben an den Aufnahmeprüfungen teilzunehmen. Und die, die sie dann bestehen, das sind dann schon hochbegabte Kinder." Irene Langemann stammt selbst aus einer kleinen Stadt in Sibirien und hat auch als Kind an einer Musikschule Klavier gelernt. Sie kennt diesen Ehrgeiz und die Hartnäckigkeit, mit der sich begabte Kinder ihren Weg nach oben bahnen. Die gezielte Eliteförderung in Russland, die seit Jahrzehnten Spitzenmusiker und erstklassige Konzertpianisten hervorbringt, ist aus ihrer Sicht mit ein Grund für deren erstaunliche Erfolge.

Mittelpunkt des Lebens

Dimitri Krutogolovy, Elena Kolesnitschenko, Nikita Mndoyants und Irina Tschistjakowa in einer Filmszene (Foto: picture alliance/ dpa)
Dmitri, Elena, Nikita und Irina in einer FilmszeneBild: Picture alliance/dpa

Trotz der hohen Anforderungen empfinden junge Russen wie Irina, Nikita, Elena und Dimitri, deren Lebenswege der Dokumentarfilm begleitet, die Musik immer wieder als beglückendes Geschenk. Und ihr Instrument als absoluten Mittelpunkt ihres Lebens, fast wie einen Freund, der sie überall hin begleitet. "Elena hat einmal im Interview erzählt," erinnert sich die Regisseurin, "sie kannte ja nichts anderes, sie konnte nicht mal Fahrrad fahren, sie konnte ja nicht mal schwimmen. Aber sie hat das nicht vermisst, weil sie es nicht kannte."

Ohne Konkurrenzdruck

Mit acht Jahren spielte Elena im Vatikan ganz allein ein Konzert vor Papst Johannes Paul II. und den versammelten Kardinälen. Virtuos wie ein Profi. Doch die glanzvollen Auftritte ihrer Wunderkinderzeit – das erzählt sie im Film mit leichter Traurigkeit um die Augen - hatten auch eine Kehrseite: "Ich hätte lieber eine ganz gewöhnliche Kindheit gehabt. Inzwischen spielt die junge Frau, die in Hannover an der Musik-Hochschule Klavier studiert, professionell Konzerte in ganz Deutschland. Verheiratet ist Elena Kolesnitschenko mit einem russischen Bratschisten. Beide haben zusammen eine kleine Tochter, die aber auf keinen Fall Klavier lernen will. Sie singt lieber. Wettbewerbe hat Elena inzwischen auf-gegeben. Dem brutalen Konkurrenzdruck der internationalen Klavierwettbewerbe wollte sie sich nicht mehr aussetzen.

Zu neuen Ufern

Der 20-jährige Dimitri Krutogolovy hat keine Probleme mit diesem enormen Wettbewerbsdruck. Für ihn war es immer Herausforderung zu neuer Höchstleistung. "Als Kind war mir Konkurrenzdenken fremd. Das kam erst schrittweise, als ich die anderen beobachtet habe. Und genauso gut sein wollte. Da wollte ich dann mithalten", lacht er. Schon als Kind hatte er ein eigenes Klavier und verbrachte jede freie Minute in der kleinen Moskauer Wohnung, die er allein mit seiner Mutter bewohnt, für das Spielen virtuoser Klavierläufe. Und er hat früh angefangen zu komponieren. Im Film tauscht er mit seinem Freund Nikita, wie ein Alter, Erfahrungen aus. Inzwischen spielt er bei seinen Konzerten neben klassischen Werken großer Komponisten wie Beethoven, Chopin und Schostakovitsch auch eigene Kompositionen – manchmal mischt sich da auch Jazz dazu.

Nikita im Konzert im Louvre (Foto: Lichtfilm)
Bild: Lichtfilm

Chancen und Glück

Auch Nikita Mndoyant, der inzwischen in Paris Klavier und Komposition studiert, spielt mit 19 Jahren internationale Konzerte – professionell. Mit renommierten Orchestern genauso wie im Kammerensemble. Er hat in diesem Jahr auch einen großen Klavierwettbewerb gewonnen, Startblock vielleicht für eine glänzende Karriere. Trotzdem: Chancen gibt es nur für ganz wenige, das haben alle vier ehemaligen "Wundekinder" erlebt – trotz Talent und grandiosem Vorspiel. Aus der Masse herauszuragen, irgendwie, das ist wohl das Wichtigste. Die Konzertagenten, mit denen sie heute zu tun haben, diktieren da auch knallhart die Regeln. "Minimum: ein namhafter Wettbewerb, der gewonnen werden muss. Auch ein zweiter oder dritter Platz interessiert heute niemand mehr in der Medienlandschaft. Aber es gibt da schöne Zufälle, wenn irgendein Pianist ausfällt auf Grund von Krankheit und sie hätten dann die Chance und das Glück, dass man einfach sagt, jetzt hole ich mir die Elena auf die Bühne und es wird schon irgendwie gut gehen. Und in dem Moment kann es sein, dass eine Karriere gemacht wird."

Autorin: Heike Mund
Redaktion: Conny Paul