Pillen-Enzyklika
5. August 2010Es muss wie ein Schlag ins Gesicht einer jeden Katholikin gewesen sein, als 1968 die Enzyklika "Humanae Vitae" veröffentlicht wurde. Auch "Pillen-Enzyklika" genannt. In dem Lehrschreiben "Über die rechte Ordnung der Weitergabe des menschlichen Lebens" verbot Papst Paul VI. jede Form von Verhütung. Seither ist er auch als "Pillen-Paul" bekannt.
In dem Schreiben heißt es: "Ebenso ist jede Handlung verwerflich, die entweder in Voraussicht oder während des Vollzugs des ehelichen Aktes oder im Anschluss an ihn beim Ablauf seiner natürlichen Auswirkungen darauf abstellt, die Fortpflanzung zu verhindern, sei es als Ziel, sei es als Mittel zum Ziel." Papst Paul VI. bekräftigt mit seiner letzten und wohl umstrittensten Enzyklika eigentlich nur das, was seine Vorgänger auch schon gelehrt hatten. Nämlich, dass jeder einzelne eheliche Akt nur dann sittlich gut sei, wenn er für die Weitergabe des Lebens offen bleibe.
Gegen die Wissenschaft
Dabei hatte eine vom Pontifex selbst einberufene Expertenkommission ganz anders entschieden. Mediziner, Sozialwissenschaftler und Theologen sprachen sich mit 64 zu vier Stimmen für die Pille und andere Verhütungsmittel aus. Die Eheleute –und nur um die geht es – sollten selbst nach ihrem eigenen Gewissen eine mögliche Empfängnis regeln. Paul VI. hörte nicht auf die Experten. Am 25. Juli 1968 erscheint sein Lehrschreiben "Humanae Vitae".
Dennoch nehmen die Frauen in Deutschland die Pille. Der Kölner Gynäkologe Jürgen Klinghammer blickt zurück: Als er sich 1976 in Köln mit seiner eigenen Praxis niederließ, habe er dort einen älteren Kollegen gehabt, der sehr katholisch gewesen sei. Der habe die Pille ausschließlich verheirateten Frauen verschrieben. Dieser Kollege sei aber eher die Ausnahme gewesen. In seinen mehr als drei Jahrzehnten als praktizierender Frauenarzt habe er keine Patientin gehabt, die die Pille aus religiösen Gründen abgelehnt habe. Wohl seien einige verunsichert gewesen und hätten auch schon mal ein schlechtes Gewissen bei der Einnahme der Pille gehabt. "Aber", sagt Klinghammer, "die Sicherheit der Empfängnisverhütung war für die Frauen wichtiger als das Dogma der katholischen Kirche."
Massive Kritik
Die Kritik an der "Pillen-Enzyklika" war heftig, auch aus den eigenen Reihen. Rom verbreite eine rigorose Sexualmoral und stütze sich dabei auf ein anachronistisches Weltbild, so die oft geäußerte Meinung. Die deutschen katholischen Bischöfe verfassten die "Königsteiner Erklärung" vom 30. August 1968. Darin relativierten sie die Äußerungen des Papstes und ließen die Möglichkeit offen, Empfängnisverhütung mit dem eigenen Gewissen auszumachen. Im Zweifel also auch gegen die lehramtliche Verlautbarung des Papstes.
Im Jahr 2008, also zum 40. Jahrestag der Enzyklika "Humanae Vitae", bestätigte Papst Benedikt XVI. allerdings nochmals, dass jede Form künstlicher Empfängnisverhütung abzulehnen sei. Frauenarzt Jürgen Klinghammer nahm es mit Gelassenheit und war nicht weiter verwundert. Man wisse ja, dass der jetzige Papst sehr konservativ sei. Er habe das Lehrschreiben Humanae Vitae zwar noch mal bestätigt, aber im Grunde habe es niemand wahrgenommen. Auch in den einschlägigen gynäkologischen Zeitschriften sei das überhaupt kein Thema gewesen. Schließlich passe es so gar nicht mehr zum Zeitgeist. Klinghammer glaubt, "dass sich heute keine Frau mehr vorschreiben lässt, wie sie verhütet oder ob sie überhaupt verhütet."
Trotz des massiven Widerstandes der katholischen Kirche hat es die Pille weltweit geschafft, dass Sexualität vollkommen losgelöst von jeder Fortpflanzung gelebt werden kann. Außerdem hat sie die Emanzipation der Frau maßgeblich vorangetrieben. Für den Arzt Jürgen Klinghammer ist die Anti-Baby-Pille das dritte Medikament, das die Welt im Positiven vollkommen verändert habe - neben dem Allround-Mittel Aspirin und dem Präparat gegen Infektionen, Penizillin.
Autorin: Petra Nicklis
Redaktion: Marlis Schaum