Elizabeth Schumacher: Die härteste Woche meines Lebens | Presse | DW | 15.08.2016
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Presse

Elizabeth Schumacher: Die härteste Woche meines Lebens

Die DW entsendet Kolleginnen und Kollegen in Einsätze, die mit hohem Gefährdungspotenzial verbunden sind. Bedingung: die Teilnahme an einem Sicherheitstraining. Elizabeth Schumacher hat ein solches absolviert.

Bäuchlings auf brennendheißem Schotter, eine Stimme schreit mir in gebrochenem Englisch zu, meine Taschen zu leeren und meine Arme gestreckt zu halten. Ich muss mich immer wieder daran erinnern, dass ich mich auf bayerischem Bundeswehrgelände befinde und die Stimme zu einem Offizier gehört, der nur eine Rolle spielt – obgleich er dies erschreckend überzeugend tut.

Ob man sich in direkter Konfrontation mit einer Waffe wiederfindet oder versucht, dem Kreuzfeuer zwischen Regierungstruppen und Rebellen zu entkommen – mit 20 Kilogramm schwerer, schusssicherer Weste und Helm gestaltet sich fliehen nicht besonders einfach.

Die Situation scheint lebensbedrohlich. Mein Adrenalinpegel schießt in die Höhe und ich versuche zeitgleich, mich und mein Team in Sicherheit zu bringen und einen klaren Gedanken für den nächsten Schritt zu fassen.

Solche Erfahrungen bietet das Vereinte Nationen Trainingszentrum der Bundeswehr in Hammelburg. Der Lehrgang „Schutz und Verhalten in Krisenregionen“ ist ein Learning-by-doing in gewaltsamen Szenarien.

Journalisten besonders gefährdet

Teil der Zivilbevölkerung zu sein bietet beispielsweise in Syrien, Afghanistan oder Südsudan keinen Schutz vor Geiselnahme oder Hinrichtungen. Dies verdeutlichen Schicksale wie das von James Foley, der von Anhängern der Terrormiliz IS ermordet wurde, oder von Austin Tice, der sich aktuell noch in Geiselhaft befindet. Journalisten scheinen umso gefährdeter, stellen sie doch besonders öffentlichkeitswirksame Ziele dar.

Die Ereignisse von Dallas, Paris, Nizza oder München lassen es zunehmend als Notwendigkeit erscheinen, das Verhalten beim Berichten unter lebensbedrohlichen Umständen zu erlernen.

„Wir sind nicht hier, um Sie in Soldaten zu verwandeln, aber die Notwendigkeit, vorbereitet zu sein, kann ich nicht genügend betonen“, sagt unser Trainer, ein Oberstleutnant mit 20 Jahren Erfahrung bei der Bundeswehr. Er warnt uns, dass die kommende Woche uns an unsere physischen und psychischen Grenzen führen wird, ähnlich wie es während eines echten Einsatzes wäre.

Es geht ums Überleben

„Hilfe! Er stirbt!“ schreit ein Mitglied der UN-Friedensmission, der gekommen ist, um unser Team und Zivilisten vor Kämpfern zu retten, die uns ausgeraubt und angegriffen haben. Was tut man in solch einer Situation? Ist es Sache eines Journalisten oder eines sonstigen Zivilisten, einem Soldaten zu helfen? Die kurze Antwort: Wenn es möglich ist und man sich dabei nicht selbst in Gefahr bringt, dann ja.

Im Zweifelsfall müssen komplexe Fragen im Bruchteil einer Sekunde entschieden werden. Woher weiß man, welchen Bevölkerungsgruppen man vertrauen und welche Gruppe einem zur Bedrohung werden kann?

Etwas später irren wir, bepackt mit der schweren Sicherheitsausrüstung und all unseren persönlichen Sachen, fünf Stunden lang in der prallen Sonne umher, um den Weg aus der Konfliktzone zu finden. Erschöpfung, Frustration und Hunger bringen uns an unsere Grenzen.

Zusätzlich zu diesen Szenarien erfahren wir Erste Hilfe für Fortgeschrittene, welche Waffen welche Art von Schaden anrichten und wie es sich anfühlt, wenn wenige Meter neben einem ein Sprengsatz explodiert. In solchen Situationen wird das Prinzip des Kurses deutlich: Überleben.

Große Jungs weinen auch

Der immense Körpereinsatz während des Trainings wird nur unterbrochen durch Einheiten zu Stressmanagement und psychischer Belastbarkeit – beides essenziell für die Arbeit in Krisenregionen. „Große Jungs weinen nicht, richtig?“ fragt der Oberstleutnant. „Falsch“, sagt er, schüttelt den Kopf und stellt uns den Militärpsychologen vor. Dieser versorgt uns mit Ratschlägen, die uns helfen sollen, mit möglichen Belastungen im Einsatz umzugehen.

Tagelanges Bewegen ohne Unterlass, Disziplin und ununterbrochene Aufmerksamkeit in den verschiedenen Szenarien endet schließlich in einer nachgestellten Geiselnahme, die auf wahren Begebenheiten basiert. Die Bundeswehr bemüht sich mit beeindruckender Sorgfalt, die Begebenheiten möglichst realitätsnah nachzustellen und gleichzeitig darauf zu achten, dass niemand Schaden davonträgt. Details zum Entführungsszenario werden an dieser Stelle nicht verraten, um zukünftigen Teilnehmern nichts vorwegzunehmen.

Festzuhalten ist, dass alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer das Training beeindruckt, ausgelaugt und unserer eigenen Fähigkeiten bewusst verließen.

Respekt für Soldaten in Krisenregionen

Ich hätte nie gedacht, dass ich vor Sonnenaufgang aufstehen und innerhalb von 30 Minuten essen, duschen und bereit für einen anstrengenden Tag sein könnte. Noch weniger konnte ich mir vorstellen, dass ich in voller Montur auf einem Feldbett schlafen könnte, um allzeit bereit für den Ernstfall zu sein, oder ein Verhör von Terroristen überstehen würde.

Meine Eindrücke fordern mir mehr ab als einfachen Respekt für deutsche Soldaten und Journalisten in Krisenregionen. Mitglieder der Presse sehen sich oftmals als neutrale Betrachter, die frei von Spekulationen die Wahrheit berichten. Krieg aber ist ein schmutziges Geschäft. Eigene Reaktionen in Ausnahmesituationen können erschreckend sein. „Die Notwendigkeit, vorbereitet zu sein, kann ich nicht genügend betonen“, so der Oberstleutnant – genauso wie die immense Last, die Menschen zu tragen haben, die in Konfliktregionen arbeiten oder leben.

Adaption ins Deutsche: Siobhan Kaltenbacher

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