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Die Handlungsunfähigkeit der Arabischen Liga

Jan Oltmanns29. März 2006

In der arabischen Welt brennt es an allen Ecken und Enden - daher hätten die Staats- und Regierungschefs auf ihrem Gipfel im sudanesischen Khartum (28.03) eigentlich mehr als genug Diskussionsstoff gehabt.

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Sudans Präsident Omar El-Baschir begrüßt den Palästinenser-Präsident Mahmud AbbasBild: AP

Zu weitreichenden Beschlüssen konnte sich die Mitglieder der Arabischen Liga allerdings - wieder einmal - nicht durchringen. Zwar stärkte man demonstrativ der radikalen Hamas, die jüngst in den Palästinensergebieten die Parlamentswahlen gewonnen hat, den Rücken. Außerdem betonte die Staats- und Regierungschefs ihre Unterstützung für die syrische Führung, die derzeit massiv von Washington und Paris unter Druck gesetzt wird.

Bei solcherart Lippenbekenntnissen blieb es dann aber auch. Denn mehrere arabische Staatschefs waren gar nicht erst angereist und das Treffen wurde ohne Angabe von Gründen bereits am Dienstag wieder beendet. Dringende Probleme wie die Gewalt im Irak waren gar nicht erst Thema.

Das ist für viele Beobachter enttäuschend, unerwartet aber ist das Ergebnis nicht. Denn die Arabische Liga ist tief zerstritten, ihr politischer Einfluss äußerst begrenzt - es ging und geht es vor allem um Partikularinteressen. Der Generalsekretär der Organisation, Amre Mussa, könne schon froh sein, "wenn ihm ein arabischer Führer eine kurze Audienz gewährt", witzelte einmal ein Kommentator.

Keine Reformen mit "Despoten und Königen"

Die Bedeutungslosigkeit der Liga hat zunächst einmal strukturelle Gründe: Das Bündnis gilt im Westen nicht umsonst als "zahnloser Tiger", denn Beschlüsse, die es fasst, sind nicht bindend. Zumal gemeinsame Entscheidungen Seltenheitswert haben und die politischen Differenzen groß sind: Einige Mitglieder - allen voran der Iran - verteufeln jede Annäherung an den "ungläubigen" Westen. Ihnen stehen - etwa mit Ägypten - Staaten gegenüber, deren Regierungen versuchen, die durchaus an einer Westanbindung Interesse haben. Da ist Dissens vorprogrammiert.

Der ägyptische Intellektuelle Nader Fergany, einer der Autoren des UN-Berichts über den Entwicklungsstand der arabischen Staaten, sieht in dem Gremium eher ein Hindernis als einen Motor für gesellschaftlichen und politischen Fortschritt. Ein "Verein aus Despoten und Königen" könne wirkliche Reformen doch gar nicht wollen, resümiert der Soziologe. Die Liga sei eine "leere Hülle" und spiele als Gestalter kaum eine Rolle, findet auch Nahost-Experte Volker Perthes von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.

Angst vor Irans Bombe

Dieses strukturelle Unvermögen der Liga, politische Prozesse in Gang zu setzen, bildete auch den Rahmen für die Gespräche in Khartum. Sie fanden statt vor dem Hintergrund einer ganzen Reihe von Brennpunkten in der arabischen Welt: Da wäre einmal der Konflikt um das iranische Atomprogramm. Viele der "Bruderstaaten" fürchten um das ohnehin fragile politische Gleichgewicht in der Region, sollten die Mullahs in den Besitz der Bombe kommen. Dann nämlich müssten sie Position beziehen - für Teheran oder für den Westen, angeführt von den USA. Eine in dieser Frage einigen Staaten zweifellos genehme Hinwendung zur Position des Westens aber würde mit einiger Sicherheit zu innenpolitische Krisen führen. Ägypten zum Beispiel unterdrückt seit Jahren auch mit Gewalt islamistische, anti-westliche Bestrebungen im Land.

Wahlen in Palästina Hamas Reaktionen Gaza
Stellen arabische Staaten vor schwierige Wahl: Anhänger der radikalen HamasBild: AP

Auch im Nahost-Konflikt, der durch den Wahlsieg der radikalen Hamas einmal mehr an Brisanz gewonnen hat, stehen die arabischen Staaten zwischen allen Fronten. Denn vor allem die USA üben massiven Druck auf ihre Bündnispartner in der Region aus, die neue Führung in den Palästinensergebieten nicht anzuerkennen. Eine Ablehnung der Hamas aber stünde ganz im Gegensatz zur Gefühlslage auf der "arabischen Straße": In vielen Staaten wächst seit dem Erstarken radikaler Islamisten die Kluft zwischen Bevölkerung und Regierungen stetig.

Irak: Vom Bürgerkrieg zum "Glaubenskrieg"?

Die weitaus größten Sorgen macht den arabischen Staatschefs aber die Lage im Irak. Dort hat seit der Parlamentswahl die schiitische Mehrheit das Sagen. Seither ist die Stimmung zwischen Schiiten und der sunnitischen Minderheit angespannt - spätestens seit dem Anschlag auf die schiitische "Goldene Moschee" in Samarra ist sie explosiv. An bürgerkriegsähnlichen Zuständen im Irak allerdings ist keinem arabischen Staat gelegen, fürchten sie doch, dass der Staat schließlich gänzlich auseinanderbrechen und Gewalt und Terror aus dem Zweistromland nur zu leicht um sich greifen könnten.

Wut wegen der Bombardierung der Goldenen Moschee in Samarra
Wut und Hass: Aufgebrachte Schiiten nach dem Anschlag auf die "Goldene Moschee" in SamarraBild: AP

Der blutige Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten birgt allerdings noch weitere Gefahren, deren Dimension weit über einen Bürgerkrieg hinausgeht: Die Mehrheit der arabischen Staaten ist sunnitisch - und beäugt daher das Erstarken der Schiiten im Irak mit großem Misstrauen. Die blutigen Konflikte dort schüren die Angst vor einem Wiederaufflammen des alten Glaubenskriegs zwischen Schiiten und Sunniten. Und das wäre wohl ein Konflikt, der sich über den gesamten Nahen und Mittleren Osten ausbreiten könnte, denn in diesem Fall wären die sunnitischen arabischen Staaten gezwungen, in den Konflikt einzugreifen - allein um die Macht des schiitischen Irans einzudämmen.

Warnung vor iranischen Ambitionen

Eine Hegemonialmacht Iran fürchten vor allem die mit Öl gesegneten sunnitischen Golfstaaten, denn dort leben starke schiitische Minderheiten, die Ansprüche geltend machen könnten. Tatsächlich steht der auf internationalem Parkett mehr und mehr ausgegrenzte Iran in der arabischen Welt derzeit als der große Gewinner da. Zunächst einmal ist Teheran - den USA sei Dank - den ehemaligen Erzrivalen Irak los. Jetzt greift der Iran - zumal als potenzielle Atommacht - nach der Vormachtsstellung am Persischen Golf.

Dies allerdings ist nur möglich, weil man in Teheran sehr genau weiß, dass die USA derzeit militärisch kaum an einer zweiten Front aktiv werden können: Zu viele amerikanischen Soldaten sind im Irak gebunden und die Neokonservativen - einst Architekten des Irak-Kriegs - haben im Weißen Haus dramatisch an Einfluss verloren, seit klar ist, dass aus dem Irak mitnichten der versprochene "Leuchtturm der Demokratie im Nahen Osten" werden wird. Und schließlich ist der Einfluss Teherans auf die schiitischen Glaubensbrüder im Irak, die syrische Regierung und auf die Hisbollah-Milizen im Libanon hoch. Am Ende dieser Entwicklung könnte ein Iran stehen, dessen Einflussgebiet von Damaskus über Beirut bis nach Bagdad reicht.

Iran Mahmud Ahmadinedschad
Rückkehr der Radikalen: Irans Präsident Machmud AhmadinedschadBild: AP

Das allein garantierte Teheran bereits eine beträchtliche Machtfülle. Hinzu kommt aber, dass im Iran Reformer und Demokraten kaum eine Stimme mehr haben. Zumindest die politische Klasse des Landes schlägt wieder harte, fundamentalistische Töne an. An dem damit einhergehenden sunnitischen Machtverlust und einer wohl vorprogrammierten Konfrontation mit dem Westen ist den sunnitischen Staaten ganz und gar nicht gelegen: Jordaniens König Abdullah sah dann auch bereits einen "schiitischen Halbmond" aufziehen, unter dem der Iran seine Macht auf Kosten der sunnitisch-arabischen Welt ausbauen werde.