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Die Hälfte der Zeit ist schon rum, Herr Bundeskanzler!

Heinz Dylong25. September 2004

Vor zwei Jahren wurde Bundeskanzler Schröder in seine zweite Amtszeit gewählt, in weiteren zwei Jahren wird er sich erneut dem Votum der Wähler stellen müssen. Eine politische Halbzeit-Bilanz von Heinz Dylong.

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Im Zentrum der Macht: Gerhard Schröder, hier mit seiner Frau DorisBild: AP

Es war knapp - als vor zwei Jahren, am 22.September 2002, die Stimmen der Bundestagswahl ausgezählt waren, hatte sich die rot-grüne Regierungskoalition mit zusammen gut 47 Prozent der Stimmen gegen die knapp 46 Prozent von CDU/CSU und FDP durchgesetzt. Und flugs erklärte die Opposition, die Regierung Gerhard Schröders habe ihren Wahlsieg "nur" der Flut und dem Krieg zu verdanken. Gemeint war das Hochwasser an der Elbe, bei dessen Bewältigung auch die Bundesregierung eine gute Figur gemacht hatte und der Krieg im Irak, an dem Berlin eben nicht teilnehmen mochte. Dabei waren das mitnichten Nebensächlichkeiten. Dass die Bundesregierung sich klar gegen die US-Intervention im Irak stellte, war vielmehr eine gewichtige Richtungsentscheidung, die die CDU/CSU so nicht getroffen hätte. Die Wähler wussten also durchaus, was sie taten, wenn sie diese Frage zum entscheidenden Kriterium erhoben.

Agenda und soziales Netz

Was die Wähler im September 2002 freilich nicht wussten, war das, was Kanzler Schröder ein paar Monate später als "Agenda 2010" präsentierte. Dabei ging - und geht - es um den Umbau des Sozialstaates. Konsequenz aus der schwierigen Kassenlage und Instrument im Kampf gegen die nach wie vor erdrückend hohe Arbeitslosigkeit - das ist das Motiv der diversen Schnitte ins soziale Netz. Die Belastungen der Bürger wuchsen, sei es durch die Einführung der Praxisgebühr beim Arztbesuch oder die Verschiebung von Rentenerhöhungen. Arbeitslose müssen sich mit reduzierten Leistungen abfinden und als Langzeitarbeitslose grundsätzlich jede angebotene legale Arbeit annehmen. Die bisher nach einem Jahr gezahlte Arbeitslosenhilfe wird mit der Sozialhilfe zusammengefasst und auf deren niedrigeres Niveau abgesenkt. Im Gegenzug soll die Förderung von Arbeitslosen verbessert werden.

Gegenwind aus der Partei

Der Widerstand der Gewerkschaften war absehbar und auch in Schröders eigener Partei, der SPD, regte sich deutlicher Widerspruch. Und tatsächlich ging der Kanzler zunächst sehr kühl mit diesen Stimmen um. Mehr oder weniger verklausulierte Rücktrittsdrohungen und verbales Auf-den-Tisch-hauen waren die unangemessenen Reaktionen des Kanzlers. Damit setzte er zwar letztlich seinen Kurs durch, hinterließ aber eine höchst verstörte Partei. Mitgliederschwund und Wahlniederlagen waren die Quittung. Die SPD sieht sich in ihren Grundfesten erschüttert, zu denen eben die soziale Gerechtigkeit gehört. Die Grünen, als kleiner Koalitionspartner unmittelbar an den Vorhaben beteiligt, blieben aufgrund ihrer spezifischen Wählerschaft von den Wahlniederlagen verschont. Und auch die CDU/CSU, die über den Bundesrat an den Sozialreformen mitwirkte und vielfach noch tiefere Schnitte als die SPD wollte, profitierte lange von der Schwäche der Sozialdemokraten. Gerhard Schröder zog Konsequenzen - und gab den Parteivorsitz auf. Franz Müntefering, sein Nachfolger, treffe eher die Sprache und das Herz der SPD-Basis und -Anhänger. Das ist wohl tatsächlich so, doch ist die mangelnde öffentliche Akzeptanz der Agenda eben nicht nur ein reines Vermittlungsproblem. Auch wenn es dabei gravierende Versäumnisse gab, macht man es sich viel zu einfach, will man die verbreitete Ablehnung nur darauf zurückführen.

Chancen bleiben

Geht man davon aus, und manches spricht dafür, dass Gerhard Schröder seinen Kurs aus tiefer Überzeugung von seiner Notwendigkeit verfolgt, dann kann er nur darauf hoffen, dass sich die Arbeitslosigkeit im kommenden Jahr spürbar reduziert. Das würde einen erneuten Wahlsieg der Regierungsparteien 2006 wieder denkbar machen.