1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Die großen Fragen bleiben unberücksichtigt"

Rodion Ebbighausen18. August 2015

In Den Haag prüft ein Schiedsgericht, ob es für den Territorialstreit Philippinen gegen China überhaupt zuständig ist. Völkerrechtler Stefan Talmon warnt im Interview mit der DW vor zu großen Erwartungen.

https://p.dw.com/p/1GH0j
China Bauarbeiten auf Inselgruppe im Südchinesischen Meer
Bild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: Wie beurteilen Sie die Frage der Zuständigkeit?

Stefan Talmon: Die Streitigkeit selbst ist vielschichtig. Deshalb ist es schwierig, pauschal davon zu sprechen, ob das Schiedsgericht in Den Haag für den Streit insgesamt zuständig ist oder nicht. Einige Punkte kann man ganz klar ausschließen. Für Fragen zur territorialen Souveränität über Inseln oder Fragen nach der Abgrenzung von Meereszonen ist das Gericht definitiv nicht zuständig. Aber es gibt andere Fragen, die sich in einem Graubereich befinden, die sich einerseits mit Souveränität und Meereszonen befassen, andererseits aber auch Elemente enthalten, die durchaus in die Zuständigkeit des Schiedsgerichts fallen können. Zu denken ist hier an die Frage, ob es sich bei einer bestimmten Landformation um einen "Felsen" oder eine "Insel" im Sinne des UN Seerechtsübereinkommens handelt. Diese Einordung ist entscheidend für die Frage, ob eine Landformation überhaupt Meereszonen haben kann.

Die Frage ist: Wie werden die unterschiedlichen Elemente gewichtet? Der Fachmann spricht von gemischten Streitigkeiten. Das Gericht muss klären, ob ein Teil der Streitigkeit, der nicht unter die Zuständigkeit fällt, den anderen Teil gewissermaßen infiziert und damit die gesamte Streitigkeit aus der Zuständigkeit des Gerichts herausnimmt.

Universität Bonn Stefan Talmon Völkerrechtler
Völkerrechtler Stefan TalmonBild: privat

Wird das Gericht in Den Haag eine einfache Antwort auf die Frage der Zuständigkeit geben?

Es gibt mehrere Möglichkeiten. Es ist durchaus vorstellbar, dass sich das Gericht insgesamt für unzuständig erklärt. Es ist auch möglich, dass es die Ansicht vertritt, nur für Teile zuständig zu sein. Es gibt noch eine dritte Möglichkeit. Das Gericht kann befinden, dass es über die Zuständigkeit nicht urteilen kann, ohne über Fragen die Hauptsache zu verhandeln. So kann es also sein, dass es zu einem Hauptverfahren kommt, der Gerichtshof dann aber feststellt: Wir sind nicht zuständig.

Sollte der Schiedshof in Den Haag die Zuständigkeit verneinen, gäbe es dann noch einen anderen Weg den Territorialstreit auf juristischem Wege anzugehen?

In der UN Seerechtskonvention gibt es grundsätzlich die Möglichkeit, dass Streitigkeiten, die von einer Partei von der Zuständigkeit des Schiedsgerichts ausgenommen wurden, einem Vergleichsverfahren unterworfen werden. Diese Möglichkeit besteht im vorliegenden Fall meiner Meinung nach aber nicht. Denn Voraussetzung für das Vergleichsverfahren ist, dass die Streitigkeit entstanden ist, nachdem die UN Seerechtskonvention für die Streitparteien in Kraft getreten ist. Die Streitigkeiten im Südchinesischen Meer datieren allerdings weit zurück vor das Inkrafttreten der UN Seerechtskonvention. Für die zentralen Punkte der Streitigkeit zwischen den Philippinen und China bietet die Seerechtskonvention somit keinen juristischen Weg.

Karte Südchinesisches Meer Besitzanspruch China Deutsch
Gegenstand des Konflikts: Inseln und Felsen im Südchinesischen Meer

Halten Sie das Schiedsgericht in Den Haag bzw. das Völkerrecht überhaupt für geeignet, um zur Lösung des Streits im Südchinesischen Meer beizutragen?

Die Streitparteien haben sich, als sie Parteien der UN Seerechtskonvention geworden sind, zu einem obligatorischen Streitbeilegungsmechanismus verpflichtet. Sie haben also bereits in den 1990er Jahren sehenden Auges ihre Zustimmung erklärt, gewisse seerechtliche Streitigkeiten auf der Grundlage des Völkerrechts entscheiden zu lassen. Deshalb ist aus meiner Sicht eine juristische Konfliktlösung grundsätzlich zu begrüßen und vorzuziehen.

Das Problem bei diesem Streit ist aber, dass sich die Streitparteien selbst uneinig sind, ob der Streit überhaupt unter den Streitbeilegungsmechanismus fällt oder nicht. Die Volksrepublik China vertritt den Standpunkt, dass es sich hier um Streitigkeiten handelt, die gerade nicht unter den Mechanismus fallen. In einem solchen Falle ist es natürlich richtig, dass zunächst geklärt wird, ob der Streit darunter fällt oder eben nicht. Das geschieht derzeit in Den Haag.

Es gibt hier aber noch eine weitere Dimension. Wenn eine Partei von Anfang an erklärt, dass sie nicht akzeptiert, dass die Streitigkeit gerichtlich beigelegt wird, stellt sich die Frage: Was für eine Funktion kann dann das Völkerrecht erfüllen? In diesem Fall erscheint es sehr unwahrscheinlich, dass sich die Partei, selbst wenn es zu einem Schiedsurteil kommen sollte, daran halten wird.

Das heißt aber nicht, dass in solch einem Fall ein Verfahren über die Zuständigkeit des Gerichts von vornherein nicht stattfinden sollte, denn es trägt zur Klärung der Rechtslage bei. Und aufgrund dieser geklärten Rechtslage können die Parteien dann erneut in Verhandlungen eintreten.

Sie sprechen die Frage der Durchsetzung an. Sollte es zu einem Schiedsspruch kommen, wie groß sind die Chancen, dass das Urteil umgesetzt wird?

Die UN Seerechtskonvention legt zwar ein obligatorisches Streitbeilegungsverfahren fest, sagt aber nichts über die Durchsetzung von Schiedsurteilen. Die Möglichkeit, sich mit dem Urteil etwa an den UN Sicherheitsrat zu wenden, ist in der UN Seerechtskonvention nicht vorgesehen. Das geht nur bei Urteilen des Internationalen Gerichtshofs, nicht aber bei Schiedsurteilen.

Welche Auswirkungen kann das Verfahren auf das internationale Ansehen der Prozessparteien Philippinen und Volksrepublik China haben?

Ein Staat muss sehr wohl abwägen, wie er sich der Weltöffentlichkeit präsentiert. Aber die Geschichte ist voll von Beispielen, in denen sich Großmächte nicht an Gerichtsurteile gehalten haben, die ihren Interessen widersprochen haben. Das beste Beispiel sind die USA, die in den 1980er Jahren vor dem Internationalen Gerichtshof gegen Nicaragua einen Prozess verloren, dieses Urteil aber bis heute nicht umgesetzt haben.

In solchen Fällen kommt es kurzzeitig zu großer medialer Aufregung, aber langfristig spielen auch sehr viele andere Aspekte für das öffentliche Ansehen eines Staates eine Rolle. Ein Staat muss abwägen. Je wichtiger die durch das Urteil berührten Interessen sind, desto eher wir der Staat dazu tendieren, ein gegen ihn gefälltes Urteil nicht umzusetzen.

Ich glaube im Übrigen nicht, dass es zu einem eindeutigen Urteil kommen wird. Wahrscheinlicher ist, dass es zu einem Urteil kommt, das auslegungsbedürftig ist. Es wird die großen Fragen dieses Konflikts aller Voraussicht nach unberücksichtigt lassen.

Stefan Talmon ist Völkerrechtler. Er lehrt an der Universität Bonn.