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"Die Großmächte waschen ihre Hände in Unschuld"

31. Juli 2006

Wie kommentiert die internationale Presse den Krieg im Nahen Osten? DW-WORLD.DE bietet einen Überblick.

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Die französische Zeitung "Libération" kommentiert die Lage im Libanon nach dem israelischen Angriff auf Kana:

"Dass die Hisbollah 'zynisch' ist, weil sie mit dem Leben von Zivilisten spielt, ist klar. Aber Israel ist damit nicht mit der internationalen Moral quitt: Die Grenze zwischen Kollateralschaden und Kriegsverbrechen ist nicht festgelegt. Es stimmt, dass die israelischen Soldaten Zivilisten nicht als Ziel nehmen, wie es die Artilleristen der Hisbollah tun. Richtig ist aber auch, dass sie deutlich mehr töten. Nach dem Angriff auf den UN-Posten hat (US-Präsident George W.) Bush gespürt, dass er (US-Außenministerin Condoleezza) Rice an den Verhandlungstisch zurückschicken muss. Als sie jetzt zurückkommt, wenden ihr wegen der Toten von Kana die unabdingbaren Gesprächspartner wie der libanesische Ministerpräsident den Rücken zu. Damit hat sich der Zynismus der Hisbollah ausgezahlt. Und die Israelis sind mit ihrem Hauptkriegsziel gescheitert, diese wenigstens schwer zu schwächen, bevor es zu einer diplomatischen Lösung kommt."

Die spanische Zeitung "El Mundo" schreibt:

"Seit Beginn der Luftangriffe verloren 750 Menschen im Libanon ihr Leben. Die menschliche Zivilisation darf so etwas nicht hinnehmen. Israel bombardiert zivile Ziele unter dem Vorwand, diese dienten der Hisbollah als Unterschlupf. Den Fanatikern in der Hisbollah-Führung ist daran gelegen, dass der Konflikt grausam geführt wird und sich lange hinzieht. So kann die Organisation in der islamischen Welt eine größere Bedeutung erlangen. Syrien spekuliert darauf, in dem Konflikt verlorenen Einfluss im Libanon zurückzugewinnen. Unter diesen Umständen sind die Hoffnungen auf ein Ende der Gewalt gering. Die USA und die anderen Großmächte waschen ihre Hände in Unschuld, um nicht in einen Konflikt hineingezogen zu werden, in dem sie nichts zu gewinnen haben."

Die Mailänder Zeitung "Corriere della Sera" meint:

"Jetzt wird man versuchen, Jerusalem davon zu überzeugen, die Waffenruhe länger als zwei Tage einzuhalten und so die Gespräche mit der Regierung von Fuad Siniora wieder aufzunehmen - die von den Blutbädern der Hisbollah völlig zerdrückt wird, während Syrien schon bereit ist, die Waffenarsenale mit neuen Raketen aufzufüllen. (...) Aber ob der Waffenstillstand nun zwei Tage oder länger dauert, auf jeden Fall muss man jetzt zu Verhandlungen zurückkehren - wobei die Hisbollah durch die Gewaltwelle, die sie willentlich ausgelöst hat, in eine stärkere Position gekommen ist. Die grausame Wahrheit des Krieges im Juli 2006 heißt Tod für die libanesischen Kinder, Schrecken in den Städten Israels und das Ende jedes noch so kleinen Gleichgewichts im Nahen Osten."

Die britische Tageszeitung "The Times" befasst sich mit den Folgen des israelischen Angriffs auf das südlibanesische Dorf Kana:

"Israel hat nun angekündigt, dass es die Luftangriffe für 48 Stunden aussetzen wird. Aber es muss seine gesamte Militärstrategie überarbeiten. Die simple Wahrheit ist, dass sein geheimdienstliches Wissen nicht die Qualität hat, um hochgefährliche Bombenangriffe dieser Art auszuführen. Dabei muss man darauf vertrauen können, dass sich der Schaden unter der Zivilbevölkerung in Grenzen hält. Israel muss viel vorsichtiger und viel besser darüber informiert sein, was es tun will. Wer der Hisbollah-Miliz einen solchen publizistischen Triumph verschafft, muss sich über die Konsequenzen eines solch tragischen Irrtums im Klaren sein."

Der liberale Wiener "Standard" geht hart mit der Haltung der USA und Israels im Libanon-Konflikt ins Gericht. Das Blatt schreibt:

"Israels Luftangriff auf die südlibanesische Ortschaft Kana ist wegen der Zahl der zivilen Opfer fatal. Obwohl: Hatte der viel publizierende US-Anwalt und ehemalige O.J. Simpson-Verteidiger Alan Dershowitz, auch er wohl ein Kriegsdenker, nicht dieser Tage in amerikanischen Medien erläutert, dass man angesichts des Libanonkonflikts über 'abgestufte Formen'von Zivilisten nachdenken müsse? Zivilisten, die billigen, dass die Hisbollah Katjusha-Raketen in ihren Häusern deponiert? Oder solche, die sich als menschliche Schutzschilde 'freiwillig in den Weg stellen, um Terroristen vor dem Feuer des Feindes zu schützen'? Diese Art der Argumentation mag nach dem Bombardement vom Sonntag versagen. 'Kana' ist ein Schlüsselereignis in dem bald drei Wochen alten Konflikt, der den Druck auf Israel zur Einwilligung auf eine Waffenruhe erhöht und dabei doch die Hisbollah stärkt - etwas, das nie hätte geschehen dürfen."

In der englischen Online-Ausgabe der israelischen Zeitung "Haaretz" meint Akiva Eldar zur Situation in Nahost:

"Im Sommer 1967 haben den israelischen Verteidigungskräften sechs Tage gereicht, um die Armeen von Syrien, Ägypten und Jordanien zu vertreiben. In fast drei Wochen war die israelische Armee, viel stärker und erfahrener als ihre Vorgängerarmee, nicht in der Lage, die libanesische Miliz zu besiegen. (…) Und die gestrige Ermordung von mehr als 50 zivilen Menschen in Karf Gana, der größte Teil davon Kinder, verschafft der Hisbollah einen bedeutenden Sieg im Kampf um die Meinung der internationalen Öffentlichkeit.

Unabhängig davon, wann der Krieg enden wird, er hat schon einen Ehrennamen in den arabischen Alben der Siege, neben dem 'Sieg' Ägyptens 1973." (mia)