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"Die Gestapo in Ungarn"

27. Mai 2002

– Budapester Wissenschaftler veröffentlicht Buch über die Tätigkeit von Hitlers Geheimpolizei in Ungarn

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Budapest, 27.5.2002, PESTER LLOYD, deutsch

Die Literatur über Hitlers Geheime Staatspolizei ist zwar schon sehr umfangreich, doch in den nächsten Wochen erscheint ein Band, der ihre Tätigkeit in einem einzigen Land aufarbeitet. "Die Gestapo in Ungarn" ist der Titel des Buches von Szabolcs Szita. Der Historiker, Jahrgang 1945, ist ein bekannter Forscher zur jüngsten Geschichte des Landes und veröffentlichte bereits zahlreiche Publikationen vor allem über die Thematik des Holocaust. Seit 1990 ist er wissenschaftlicher Leiter des Budapester Holocaust-Dokumentationszentrums.

Um die Hauptaussage seines neuen Buches vorwegzunehmen: Eine Gestapo-Abteilung von 60-80 Personen (einschließlich Sekretärinnen) genügte, um schon bald nach Beginn der deutschen Besetzung im März 1944 in Ungarn alle festgelegten Ziele zu erreichen. 13.000 Menschen gerieten in die Hände der Gestapoleute, die Folter und Mord eher ihren ungarischen Helfershelfern überließen, selbst jedoch nicht müde wurden, ihre Opfer systematisch auszurauben.

Szitas Forschungen zeigen, dass die Geheimpolizei des "Dritten Reiches" ihr Netz in Ungarn schon sehr früh, bereits in den 30er Jahren, aufbaute. Man arbeitete mit bezahlten Agenten, aber auch mit vielen Leuten im Land, die sich aus deutschem "Patriotismus" verpflichten ließen. Als Tarnung der Spionagezentralen dienten deutsche Unternehmen, die Schifffahrtsfirma DDSG ebenso wie etwa die Vertretungen von Mercedes-Benz oder Zündapp. Man konnte sich auch bei Spediteuren einnisten; Schenker zum Beispiel konnte, ohne aufzufallen, den Warenverkehr an der Grenze beobachten. Handelsfirmen kamen sehr gelegen, um die Agenten legal bezahlen zu können.

Auch Reisebüros dienten als Tarnfirmen, und man hatte natürlich auch besondere Agenten, wie Sprachlehrer, die den Damen und Herren der besten Gesellschaft Unterricht anboten, um dann viele wertvolle Informationen an die reichsdeutschen Herren weiterzuleiten. Wie etwa der noble Französischlehrer Graf Wrangel, der damit stolze 800 Reichsmark im Monat verdiente...

Bekanntlich sympathisierte das Regime Horthys mit Hitler, von dem man die Rückgewinnung der nach 1918 verlorenen ungarischen Gebiete erhoffte. Diese Neigungen hielten sich jedoch in Grenzen. Die ungarische Nazipartei war in den 30er Jahren verboten, ihre Führer in Haft, die polizeiliche Zusammenarbeit mit Berlin war eher formell. So war es von Bedeutung, dass etliche ungarische Gendarmerieoffiziere schon früh im Sold der Gestapo standen. So wie bereits ab 1934 der berüchtigte Péter Hain, der 1944 Leiter der "ungarischen Gestapo" wurde. Als 1942 die motorisierte Gendarmerie aufgestellt wurde, garantierte deren Kommandeur gleichzeitig ihre Loyalität gegenüber den Deutschen.

Das wurde dann im März 1944 aktuell, als Hitler den zögernden Verbündeten Ungarn, der einen Absprung vorzubereiten versuchte, besetzen ließ. Die Gestapo, der SD und die Sicherheitspolizei mussten nur sehr wenige ihrer Leute nach Ungarn entsenden; das Gros der Arbeit, vor allem den "schmutzigen" Teil, die Folterungen und Tötungen, übernahmen die Verbündeten. Sie waren auch bestens vorbereitet. Der einziehende Apparat des Dritten Reiches erhielt vielerorts, vor allem in Südungarn, detaillierte Listen all der Personen, die verhaftet werden sollten. Und dabei ging es keineswegs nur um die Juden – auch über 10.000 politische Häftlinge wurden nach Dachau oder Buchenwald deportiert.

Während sich Péter Hain an der Spitze seiner "Staatspolizei" bestens bewährte, gestaltete sich die Zusammenarbeit keineswegs immer reibungslos. Die Herren der Gestapo und des SD benutzten zwar ihre ungarischen Schergen für ihre Ziele, u.a. bei der Judenverfolgung, waren jedoch nicht gewillt, die reiche Beute mit ihnen zu teilen. Hain ließ Gemälde von Greco in sein Büro hängen; auch er wollte sich die Schätze der jüdischen Geschäftsleute und der Industriellen aneignen. Eines der ganz großen Geschäfte machten dann bekanntlich doch die Deutschen, als sich Hunderte der reichsten Juden mit ihrem Vermögen freikaufen konnten. Riesige Gelder flossen in die Schweiz. Darunter das Vermögen von Lipót Aschner, Inhaber der Tungsram Werke (heute General Electric) in Budapest. Teile davon tauchten noch in den 70er Jahren auf, weiß Szita zu berichten.

Die Gestapo war ihr Geld wohl wert. Im Oktober 1944, als Horthy endlich versuchte, den Absprung zu wagen, konnte sie diesen Schritt umgehend verhindern. Gemeinsam mit dem SD entführte man den Sohn des Reichverwesers und auch General Bakay, den Kommandanten der Armee-Einheiten in Budapest. Der späte Versuch Horthys scheiterte, die Pfeilkreuzler übernahmen die Macht und führten das Land in den Abgrund.

Wenig bekannt war bisher, dass die Gestapo noch Anfang 1945, aus ihren Zentren in Gyôr und Szombathely, Diversantenaktionen durchführte. Nach ihren zurückgelassenen Agenten wurde noch in den 60er Jahren gesucht, doch weiß man bis heute kaum etwas über sie. Nur, dass manche von ihnen nach dem Krieg von der kommunistischen Geheimpolizei übernommen wurden. Mehr oder weniger bekannt ist das Schicksal ihrer Führer: Müller, der Chef der Gestapo in Ungarn, verschwand. Die anderen - darunter zahlreiche Österreicher - wurden in ihrer Heimat großteils zwar zur Rechenschaft gezogen, jedoch nicht sehr hart bestraft. Einer der bekanntesten, der Obersturmbannführer und spätere Studienrat Höttl, berichtete über sein bequemes Beamten-Leben: Er residierte in einem Palais am Dísz tér im Burgviertel, wo Personal und Küche erstklassig waren und man von den ungarischen Herren mühelos alles erfahren konnte.

Die Agenten arbeiteten auch freiwillig und fleißig, selbst wenn sie zuweilen auf die Probe gestellt wurden: Im Keller der Zentrale, auf dem Gellértberg, wurde ihnen dann plötzlich befohlen, einen an einen Stuhl gefesselten Verhafteten zu erschießen.

Szabolcs Szita hat viele neue Erkenntnisse herausfinden können, teils aus Dokumenten im Amt für Geschichte, wo immer mehr Akten der Zeit recherchierbar werden. Wenn auch merkwürdigerweise selbst nach fast 60 Jahren noch immer nicht alle Dokumente einsehbar sind. Außerdem haben die Sowjets 1945 viele Akten weggeschafft. Andere sollen jedoch geblieben sein; auf dem Schwabenberg suchte man später noch mit Baggern nach den Kisten der Gestapo, es konnte allerdings nichts gefunden werden. (fp)