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Gescheitert?

19. Juli 2009

Vor 30 Jahren setzten die Sandinisten in Nicaragua dem diktatorischen, Menschen verachtenden Somoza-Clan ein Ende. Was folgte, war allerdings ein mindestens ebenso autoritäres und brutal agierendes Regime.

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Einmarsch der Sandinisten nach Managua (Foto: AP)
Einmarsch der Sandinisten nach Managua am 19. Juli 1979Bild: AP

"Kleines Nicaragua, jetzt, da du frei bist, liebe ich Dich noch viel mehr!", sangen linke Unterstützungskomitees rund um den Globus, als am 19. Juli 1979 die Sandinisten in Nicaraguas Hauptstadt Managua einmarschierten. Unter Führung von Daniel Ortega übernehmen sie die Regierungsgeschäfte. Präsident Anastasio Somoza befand sich da schon mit einem beträchtlichen Teil der Regierungskasse auf dem Weg in die USA; 34 Jahre Diktatur waren zu Ende.

Als Garant für USA gegen die "kommunistische Infiltration", mit der Kontrolle der Streitkräfte und der Kooperation der ökonomischen und politischen Eliten hatte der Somoza-Clan das kleine mittelamerikanische Land Jahrzehnte lang in seinem Griff gehabt: Zehntausende Oppositionelle wurden verfolgt und getötet; 40 Prozent des landwirtschaftlich genutzten Bodens und ganze Industriezweige befanden sich in Besitz der Familie Somoza.

Von der Splittergruppe zur Volkspartei

Demonstration (Foto: AP)
Noch immer eine Massenbewegung - die FSLN 30 Jahre nach der Revolution in NicaraguaBild: AP

Bereits 1961 hatte sich Widerstand formiert in Form der "Sandinistischen Nationalen Befreiungsfront" FSLN, die sich auf den Guerilla-Führer Augusto César Sandino berief. Er hatte zu Beginn des Jahrhunderts gegen die Besetzung Nicaraguas durch die USA gekämpft, auch an seiner Ermordung 1934 war der Somoza-Clan maßgeblich beteiligt.

Doch erst ein verheerendes Erdbeben 1972 verschaffte der FSLN zunehmend Zulauf: Die Katastrophe hinterließ über 10.000 Tote, Hunderttausende wurden obdachlos, doch die internationalen Spendengelder für den Wiederaufbau wanderten zum großen Teil auf Privatkonten des Somoza-Clans. Selbst Blutspenden kamen nicht bei den Opfern an, sondern wurden im Ausland verkauft. Aufstände nach der Ermordung des gemäßigten Oppositionspolitikers Pedro Joaquín Chamorro mündete schließlich in einen Bürgerkrieg, deren Opfer mit mehr als 40.000 Toten in erster Linie die Zivilbevölkerung trug.

Welle der Begeisterung

Nicaguas Präsident Ortega vor Bild von Augusto Cesar Sandino (Foto: AP)
Sandino und Ortega - Anfang und Ende der Revolution?Bild: AP

Umso größer war die Begeisterung, als 19. Juli 1979 die Sandinisten unter Führung Daniel Ortegas die Regierungsgewalt übernahmen. Begünstigt wurde diese Entwicklung auch durch die schwindende Unterstützung Somozas durch die US-Regierung Carter. Die in Managua neu geschaffene "Regierung des Nationalen Wiederaufbaus" verstaatlichte sofort den gewaltigen Besitze des Somozas-Clans. Sie schafften die Todesstrafe ab, gründeten landwirtschaftliche Kooperativen und richteten die kostenlose ärztliche Versorgung ein. Hungernde erhielten Getreide vom Staat, Zehntausende lernten in staatlichen Programmen Lesen und Schreiben, die Rechte der Frauen erhielten einen hohen Stellenwert in der sandinistischen Reformpolitik.

Unterstützt wurden sie auch von einer Welle der internationalen Sympathie und Solidarität; zahlreiche private Initiativen, Parteien, Verbände und kirchliche Gruppen aus Westeuropa und Nordamerika steuerten beträchtliche Hilfe bei, der kleine zentralamerikanische Staat wurde zur Projektionsfläche linker revolutionärer Träume. Dass derweil die sandinistischen Machthaber in Nicaragua zunehmend autoritäre Züge an den Tag legten, ebenso wie ihre Vorgänger, wurde dabei geflissentlich ignoriert: Willkürliche Verhaftungen von Gegnern, die zwangsweise Umsiedlung indigener Gemeinden und die Aus- bzw. Gleichschaltung zahlreicher Rundfunkstationen gehörten dazu; das Regime investierte hohe Summen in die Aufrüstung.

Der unerklärte Krieg

Lediglich in den USA lösten diese Entwicklungen, vor allem nach dem Amtsantritt von Ronald Reagans 1981, Schrecken aus : Eine weitere sozialistische Bewegung im Hinterhof der USA wollte man nicht dulden. Reagan betrachtete die politischen Umwälzungen als von der damaligen UdSSR gesteuert und Nicaragua als marxistisch-totalitären Brückenkopf, von dem die Gefahr einer Kubanisierung ausging.

Ronald Reagan mit Begleitern (Foto: AP)
Kampf dem Kommunismus - US-Präsident Ronald ReaganBild: AP

Die Reaktion war ein unerklärter Krieg: Mit einem Wirtschaftsembargo und verdeckten Militäroperationen sollte die sandinistische Regierung gestürzt werden. Ab 1981 kam eine US-finanzierte Armee aus Konterrevolutionären, meist exilierten Somoza-Anhängern, den sogenannten Contras, hinzu. Sie würden "Freiheit und Demokratie" Nicaraguas verteidigen, hieß es. Tatsächlich gingen sie brutal gegen die Bevölkerung vor, zerstörten Gemeinde- und Gesundheitszentren, folterten und töteten. Erneut waren es mit rund 60.000 Toten vor allem die Zivilisten, die die Opfer des „Contra-Krieges" zu tragen hatten. Zudem versank das Land im wirtschaftlichen Chaos: Eine Hyperinflation mit Preissteigerungsraten von 36.000 Prozent im Jahr 1988 war lateinamerikanischer Rekord.

Kein Demokratisierungsprozess

1990 hatten die Menschen Gewalt und Armut satt und wählten in den ersten wirklich freien Wahlen, die auf Vermittlung der zentralamerikanischen Nachbarn zustande gekommen waren, die sandinistische Regierung ab. Die Contras wurden nach langen Verhandlungen entwaffnet, die FSLN wanderte in die Opposition. Ein innerer Demokratisierungsprozess blieb jedoch aus und ist heute ein Teil des Problems der seit 2006 wieder regierenden, ehemaligen Revolutionspartei FSLN. Zahlreiche Intellektuelle, wie die Schriftstellerin Gioconda Belli oder die Brüder Fernando und Ernesto Cardenal traten aus der Bewegung aus.

Den Wahlsieg erlangten Sandinisten im Jahr 2006 vielen Kritikern zufolge nicht wegen, sondern vielmehr trotz Daniel Ortega und aus Mangel an Alternativen: 16 Jahre rechter und konservativer Regierungen konnten dem Land auch keine wirtschaftliche Erholung verschaffen. Ende 2006 war Nicaragua nach Haiti das zweitärmste Land Lateinamerikas und viele Jungwähler hatten die Entbehrungen der Sandinistenzeit und den Bürgerkrieg kaum noch in Erinnerung.

Autorin: Ina Rottscheidt
Redaktion: Anne Herrberg