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Gleiches Recht für alle

10. Juli 2008

Ein OSZE-Bericht hat das Gerichtswesen im Kosovo kritisiert. Zait Xhemaili, Richter am Obersten Gericht des Kosovo, nimmt im Interview mit der Deutschen Welle Stellung zu Vorwürfen, die Justiz arbeite ineffizient.

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Bild: DW

DW-Albanisch: Der OSZE-Bericht wirft der Justiz des Kosovo vor, die Ermittlungen gegen Gewalttäter während der Unruhen vom März 2004 nicht effizient genug verfolgt zu haben. Wo steht die Justiz jetzt in der Verfolgung dieser Fälle?

Zait Xhemaili: Es ist weitgehend bekannt, dass es während der Unruhen 2004 zu zahlreichen Straftaten gekommen ist. Diese reichen von schweren Straftaten wie Mord, Landfriedensbruch, Körperverletzung, Diebstahl und dem Schüren nationalen Hasses bis hin zu leichteren Taten wie zum Beispiel Ruhestörung. Wie auch der OSZE-Bericht ergeben hat, wurden zwischen November 2005 und März 2008 insgesamt 72 Fälle gerichtlich behandelt. All diese Fälle haben die Gerichte im Rahmen ihrer Kompetenzen behandelt, auf Grundlage der Anklagen, die durch die Staatsanwaltschaften erhoben wurden. Der OSZE-Bericht beklagt vor allem die niedrige Anzahl der behandelten Strafanzeigen. Die Schuld dafür weist sie der Polizei des Kosovo oder den Staatsanwaltschaften zu. Die Gerichte handeln nur nach Maßgabe der Anklage: Wo kein Kläger, da kein Richter. Der OSZE-Bericht kommt also zu dem Ergebnis, das in den letzten zwei Jahren 21 Fälle unbearbeitet geblieben sind. Ich gehe davon aus, dass diese offenen Fälle nun schrittweise auch noch abgearbeitet werden.

Der OSZE-Bericht spricht aber auch davon, dass es schwierig ist, Zeugenaussagen zu bekommen, da der Zeugenschutz unzulänglich funktioniert.

Es ist im Kosovo in dieser Zeit allgemein schwer, Zeugen bei Strafverfahren zu bekommen. Das liegt an den bestehenden Umständen. Wir haben es mit einem Mangel an persönlicher Sicherheit der Zeugen zu tun, mit Einschüchterungen, Bedrohungen, mit Druck und so weiter. Die Institution des geschützten Zeugen gibt es im Kosovo noch immer nicht so, wie es nötig wäre. Es ist nicht möglich, eine vertrauliche Aussage zu bekommen oder eine andere Form des Zeugenschutzes.

Wessen Verantwortung ist das?

Es ist schlicht unmöglich, Bedingungen zu schaffen, um Zeugen effektiv zu schützen. Wie wir wissen, muss einem geschützten Zeugen ermöglicht werden, sein Aussehen zu verändern, seine Stimme. Der Ort, an dem er seine Aussage macht, muss geschützt sein. Und letztlich muss er auch seinen Wohnort ändern können. Im Fall der Märzunruhen 2004 standen die Gerichte sicher auch vor diesem Problem. Vieles stellt sich im Fall der Märzunruhen allerdings nicht so dar, wie der OSZE-Bericht vorgibt. Viele der Zeugen in den Verfahren waren selbst Geschädigte, wurden aber im Verfahren als Zeugen befragt. Gegen Geschädigte dürfen aber auch nicht die Zwangsmaßnahmen angewandt werden, welche die Strafprozessordnung gegen Zeugen zulässt, wie zum Beispiel Zwangsvorführungen, Strafgelder oder sogar Erzwingungshaft bei der Verweigerung von Zeugenaussagen.

Der Bericht wirft der Justiz aber auch vor, ethnische beziehungsweise nationalistische Motive der Straftaten in der Strafzumessung nicht genug berücksichtigt zu haben. Wie stark werden solche Aspekte in den Urteilen berücksichtigt?

Die Gerichte müssen in Strafverfahren jeden Fall einzeln berücksichtigen. Straftaten, die aus nationalem Hass heraus begangen werden, gelten als erschwerendes Moment in einem Strafurteil. Allerdings gibt es auch Fälle, in denen sich herausgestellt hat, dass die Taten aus materialistischen Gründen begangen wurden. Der Täter fragt sich gar nicht, wessen Haus es ist, in das er einbricht, sondern er tut es einfach, um sich zu bereichern. Also muss jeder Fall einzeln betrachtet werden. Falls allerdings das Gericht feststellt, dass die Straftat durch nationalen Hass motiviert war, dann werden diese erschwerenden Umstände auch in der Urteilbegründung berücksichtigt.

Die Mission der EU, die so genannte EULEX, hat zum Ziel, die Rechtstaatlichkeit und auch das Justizsystem im Kosovo zu stärken. Welche Prioritäten sollte die EULEX ihrer Meinung nach setzen?

Wie bekannt ist, braucht man eine gesetzliche Ordnung, um einen Rechtstaat zu gewährleisten. Daher muss die EULEX sich vor allem auf die Bereiche Recht, Gesetz und öffentliche Ordnung konzentrieren. Ich erwarte für das Gerichtswesen konkret, dass wir uns gemeinsam mit den internationalen Richtern der EULEX den Problemen stellen, vor denen das Gerichtssystem des Kosovo jetzt steht. Bislang haben sich weder die lokalen Politiker noch die internationale Gemeinschaft schwerpunktmäßig dem Gerichtssystem gewidmet. Es wird Zeit, dass wir verantwortungsvoll die Gerichte stärken. Ich gehe davon aus, dass wir mit der EULEX die Widersprüche, die bisher bestanden haben, eliminieren können.

Das Interview führte Esat Ahmeti