Tugend und Glück
25. September 2009Selbstbewusst sitzt Johann Friedrich Wülfing am Fenster seines Wohnhauses, den Arm lässig auf ein Kissen gelehnt, die Zeitschrift ausgebreitet vor sich auf dem Tisch liegend. Ein typisches Portraitbild des Biedermeier, jener Zeit zwischen 1815 und 1850, in der die reichen Bürger sich selbst entdeckten. Als eine gesellschaftliche Schicht, die sich nicht mehr hinter dem Adel verstecken wollte, die nach Macht und Einfluss strebte.
Zwar dauerte es noch ein Jahrhundert, bis die Monarchie in Deutschland tatsächlich abgeschafft und der Adel zurückgedrängt war, aber die Grundlagen dafür wurden damals gelegt. In der Wuppertaler Ausstellung "Von Tugend und Glück" erhalten die Besucher anhand von Portraitbildern, Zeichnungen, Karikaturen, Briefen und Büchern Einblicke in die private Welt der Bürger zur Zeit des Biedermeier.
Hauptsache fromm und engagiert
Die Schau beschränkt sich dabei auf die Wuppertaler Kaufmanns-, Unternehmer- und Pastorenschicht. Mit gutem Grund. "In Wuppertal hat das Bürgertum eine einzigartige Geschichte, denn es war wie sonst nirgendwo in Deutschland von pietistischer Frömmigkeit geprägt", erklärt Beate Eickhoff vom von der Heydt-Museum. Folglich präsentierten sich die Kaufleute und Unternehmer auf ihren Portraits tugendhafter und strenger als die Bürger in anderen Hochburgen des Biedermeier wie Berlin, Wien oder Kopenhagen. Weltliches Theater, tief dekolltierte Damenkleider und rauschende Feste waren in der damals bedeutendsten deutschen Textilmetropole verpönt.
Stattdessen engagierten sich die Bürger in verschiedenen Vereinen. Schon früh gründeten sie Armeninitiativen, deren Strukturen 1853 in das "Elberfelder System" einflossen, der ersten rein kommunalen Armenfürsorge in Deutschland. Sie arbeitete mit Verwaltern, die streng überprüften, ob die ihnen zugewiesenen Familien auch "der Gabe würdig" seien. Daneben gab es noch Bibel-, Korn-, Enthaltsamkeits- und Sittlichkeitsvereine – allesamt gedacht, um die Armen der Stadt religiös und moralisch "auf den rechten Weg" zu bringen. "Pro Jahr wurde mehr als ein neuer Verein gegründet", erzählt Kuratorin Sigrid Lekebusch. "Das gab es sonst nirgendwo in Deutschland."
Rebellion gegen den Vater
Viele der reichen Kaufleute und Unternehmer engagierten sich als Gemeinderäte oder sogar als Kirchengründer wie der Textilfabrikant Friedrich Engels senior, Vater des berühmten Sozialisten. Enttäuscht schreibt er über seinen Sohn, dieser wolle die Kirchen seines Großvaters und Vaters "niederreißen". Tatsächlich brach Friedrich Engels mit der über Generationen gepflegten Frömmigkeit seiner Familie. Die Ausstellung zeigt Engels "Konfirmationsdenkspruch", der ihn ermahnt, sein Leben "ganz der himmlischen Berufung Gottes in Jesus Christus" zu widmen.
Doch der Sozialist hielt sich eher an den ersten Teil des Bibelverses: "Ich vergesse, was dahinten ist und strecke mich nach dem, was da vorne ist." Schon früh verließ Friedrich Engels seine Heimatstadt, von der der berühmte Prediger Friedrich Wilhelm Krummacher stolz behauptet hatte, die "Mauern des Tals" hätten alle schädlichen Einflüsse der Aufklärung ferngehalten.
Verbotene Liebe zu einer Katholikin
Ganz stimmte das natürlich nicht. Immerhin gab es Unternehmer wie Johann Gerhard Siebels, der Theaterstücke schrieb, weltliche Kunst sammelte und eine Freimaurerloge gründete. Ein Exot unter den frommen, wohlhabenden Bürgern. Doch auch er kehrte der Stadt 1822 den Rücken. Seine Liebe fürs Theater, die Kunst und die Freimaurer mochte die feine Bürgergesellschaft noch akzeptieren. Die Ehe mit der katholischen Schauspielerin Anna Günther aber war zuviel für die protestantische Stadt. Siebel wanderte mit ihr ins katholische Aachen aus.
Autorin: Sabine Damaschke
Redaktion: Elena Singer