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Ein zweites Mal Opfer

Das Gespräch führte Andreas Ziemons23. Februar 2007

Zwei irakische Frauen haben diese Woche offen über Vergewaltigung gesprochen. Ruth Jüttner, Nahost-Referentin von Amnesty International, spricht im Interview über die schwierige Situation der Vergewaltigungsopfer im Irak

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Ruth Jüttner, Nahost-Referentin von Amnesty International
Ruth Jüttner, Nahost-Referentin von Amnesty InternationalBild: Amnesty International

DW-WORLD.DE: Wie häufig gibt es nach Ihrem Kenntnisstand Vergewaltigungen oder sexuelle Übergriffe auf irakische Frauen durch irakische Sicherheitskräfte?

Ruth Jüttner: Es gibt gar keine Zahlen darüber wie viele Frauen in Haft Opfer sexueller Übergriffe werden. Das liegt in erster Linie daran, dass die Frauen über solche Übergriffe nicht sprechen, weil Sexualität, sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen ein großes Tabu sind, nicht nur im Irak sondern in allen arabischen Gesellschaften. Die Fälle, in denen berichtet worden ist, waren häufig so, dass dann eher die Angehörigen und nicht das Opfer selber über die Tat gesprochen haben.

Diese Woche haben zwei irakische Frauen sogar im Fernsehen über eine Vergewaltigung gesprochen. Was riskieren diese Frauen damit?

Diese beiden Frauen sind sicherlich eine ganz große Ausnahme. Frauen, die darüber sprechen, müssen befürchten ein zweites Mal Opfer zu werden. Häufig werden die Frauen innerhalb der Gesellschaft, in der Nachbarschaft, sogar innerhalb der eigenen Familie geächtet. Sie werden stigmatisiert und betrachtet als jemand, der seine Ehre verloren hat, der die Ehre der gesamten Familie in Mitleidenschaft gezogen hat, obwohl sie selber ja Opfer waren. Das spielt aber keine große Rolle mehr, sondern die Familie selbst ist sozusagen in Schande, weil die Frau vergewaltigt worden ist.

Was sind die konkreten Folgen für die Frauen innerhalb ihrer Familien?

Es ist schwer zu sagen, was die Folgen sind, weil die Frauen in der Regel nicht darüber sprechen. Wenn sie es tun, wird ihre soziale Situation sehr schwierig. Unverheiratete Frauen müssen befürchten keine Ehe mehr schließen zu können. Für verheiratete Frauen kann die Situation in der Ehe sehr schwierig werden. Ob es tatsächlich zu gewaltsamen Übergriffen auf diese Frauen kommt, wissen wir nicht, da so gut wie nie darüber berichtet wird.

Wie ist die Situation der Frauen im Irak, was die Sicherheit vor sexuellen Übergriffen angeht?

Es wird sehr häufig in allgemeiner Form darüber berichtet, dass Frauen festgenommen werden, wenn der Verdacht besteht, dass sie Kontakte zu Aufständischen haben. Wir haben Berichte von Frauen bekommen, die in Haft damit bedroht worden sind, vergewaltigt zu werden. Man muss also davon ausgehen, dass die Frauen in Haft einer großen Gefahr ausgesetzt sind, Opfer sexueller Übergriffe zu werden. Wir gehen auch davon aus, dass es tatsächlich zu Vergewaltigungen kommt, aber nicht darüber gesprochen wird und die Täter in fast allen Fällen straffrei davon kommen.

Wie sind Ihre Kontakte in den Irak? Woher bekommen Sie diese Informationen?

Wir werten alles aus, was über den Irak berichtet wird. Aufgrund der Sicherheitslage, führen wir gegenwärtig keine Untersuchungen direkt vor Ort durch. Wir haben Kontakt zu Organisationen die im Irak noch tätig sind. Wir machen Ermittlungsreisen in die Nachbarländer des Irak und treffen dort Iraker, die uns über die Lage im Irak berichten. Und wir haben Kontakte zu irakischen Rechtsanwälten und Aktivisten, die uns über die Vorfälle, die ihnen bekannt werden, berichten.

Wie stehen Sie zu dem Vorwurf schiitischer Politiker, die erste Frau, die im Fernsehen über ihre Vergewaltigungen gesprochen hat, sei von sunnitischen Gruppen zur Lüge genötigt worden, um den Sunniten einen Anlass für Racheaktionen zu geben?

Premierminister Nuri Al-Maliki
Premierminister Nuri Al-MalikiBild: AP

Das größte Problem bei der Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen im Irak ist, dass sie politisch instrumentalisiert und für Propagandazwecke ausgenutzt werden. Das sieht man an dem Fall dieser Frau besonders gut. Beide Seiten waren sehr schnell mit öffentlichen Vorverurteilungen. Der Ministerpräsident Al-Maliki hat sehr schnell erklärt, die Vorwürfe seien haltlos. Andererseits haben sunnitische Politiker die Angaben der Frau bekräftigt. Man kann keine ernsthaften Versuche erkennen, eine unabhängige Untersuchung durchzuführen und dann das Ergebnis zu präsentieren. Es geht nicht mehr um das Verbrechen, oder die Menschenrechtsverletzung, die aufgeklärt werden soll, sondern solch spektakuläre Fälle werden benutzt, um die jeweils andere Seite zu diskreditieren. Die Opfer bleiben auf der Strecke. Sie sind durch den Umgang mit dem Verbrechen ein zweites Mal Opfer geworden. Außerdem wird das Vertrauen der irakischen Bevölkerung in die Ermittlungen und die Justiz untergraben.

Begrüßen Sie es trotzdem, dass die beiden irakischen Frauen öffentlich über Vergewaltigungen gesprochen haben?

Es ist natürlich wichtig, dass die Opfer solche Verbrechen dann auch öffentlich machen. Es wäre aber wichtig gewesen, dem in einer verantwortungsvollen Weise nachzugehen, um die Schuldigen festzustellen, oder ein Ergebnis zu bekommen, das alle Seiten überzeugt, dass man hier eine unabhängige und seriöse Untersuchung durchgeführt hat. Diese Chance ist hier nicht genutzt worden. Man hat eher den Eindruck, dass es zu einer weiteren Eskalation in der Auseinandersetzung führen wird.

Glauben Sie, dass irakische Frauen nun abgeschreckt sind, dem Beispiel der beiden Frauen zu folgen?

Das ist zu befürchten. Die Frauen sind sowieso in einer sehr benachteiligten Rolle und müssen ohnehin damit rechnen, dass sie, wenn sie öffentlich darüber berichten, nicht auf sehr viel Verständnis stoßen, dass man ihnen nicht glaubt, oder dass sie ausgestoßen werden. Das wird sicherlich dazu führen, dass irakische Frauen, die Opfer sexueller Übergriffe werden in Zukunft abgeschreckt sind, darüber zu berichten.