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Die Fratzen der Mona Lisa

Laurafabienne Schneider-Mombaur22. September 2003

Unter dem Titel "Das Göttliche und das Groteske" läuft zurzeit eine Ausstellung in der Queen's Gallery im Buckingham Palace. Wer hinter diesem Titel Göttliches und Groteskes aus dem Hause Windsor erwartet, liegt falsch

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Wunderschön hässlich: Leonardo da Vincis Zeichnungen in der Queen's Gallery, LondonBild: AP

Es hängen keine Paparazzi-Fotos von Charles und Camilla an den Wänden, sondern Werke vom Meister persönlich. Zum ersten Mal wird in London eine Auswahl von 600 Zeichnungen Leonardo da Vincis (1452 – 1512) der Öffentlichkeit präsentiert. Diesmal sind es nicht die bekannten Bilder, die in Museumsshops Adressbücher und Magneten zieren. An den Wänden hängen vor allem Fratzen und Grimassen, bei denen der Mona Lisa das Lächeln vergangen wäre.

Mona Lisa von Leonardo da Vinci
Da vergeht sogar der Mona Lisa das LächelnBild: AP

Die Queen, die Kunst, die Royal Collection

Die königliche Familie möchte dem Volk mit der Ausstellung im Palast wieder näher kommen. Die Fassade von Monarchie und königlichem Leben beginnt zu bröckeln. Im vergangenen Jahr starteten die Windsors ihre Initiative mit dem Bau eines neuen Museums in London. Rechtzeitig zum Thronjubiläum entstand auf dem Grundstück der alten Queen's Gallery am Buckingham Palace ein Neubau. Hier kommt ein Großteil der Royal Collection unter. Einst schmückten die Exponate der Collection die Schlösser der Queen. Elizabeth zeigte jetzt Herz und brachte einen Großteil ihrer Privatsammlung nach London. Natürlich mit dem Hintergedanken, Geld in die Kassen der königlichen Stiftungen zu bekommen.

Trotzdem kommt mit ihrer Privatsammlung, überwiegend bestehend aus Porzellan und Waffen, auch eine kleine Sensation nach London: 77 Zeichnungen Leonardo da Vincis, die die Öffentlichkeit noch nie zu sehen bekommen hat.

Richtig schön hässlich

Das Besondere an der Austellung in der Queen's Gallery: Leonardo konnte auch scheussliche Bilder zeichnen. "Es ist so faszinierend, dass jemand, der solch' herausragende Fähigkeiten besitzt, wie Leonardo, etwas zeichnen kann, das so hässlich ist - und zwar absichtlich hässlich", staunt Martin Clayton, Kurator der Austellung "The Divine and the Grotesque".

Radierung nach einer Zeichnung von da Vinci
Wunderschön hässlich: Leonardo da Vincis Zeichnungen in der Queen's Gallery, LondonBild: AP

Auf den Bildern sieht man greise Köpfe mit Hakennasen, Tränensäcken und schwulstigen Lippen. Leonardo hatte Spaß an den grässlichen Fratzen fremder Leute. Sein ganzes Leben zeichnete er Menschen, denen er im Alltag begegnete. Die Portraitzeichnungen an den Wänden der Queen's Gallery sehen aus wie Karikaturen: übermäßig heruntergezogene Mundwinkel, ein Doppelkinn - hässliche Menschen, die Leonardo jedoch halfen, die Natur so genau wie möglich zu zeichen.

Mit Zeichenkohle, Pinsel und Papier versuchte er die Natur einzufangen - in all ihren Facetten. Leonardo suchte in seinen Zeichnungen nach Perfektion: nach der perfekten Schönheit, aber auch nach der perfekten Hässlichkeit.

Gottähnliche Jünglinge neben teuflischen Fratzen

Er zeichnete die alltäglichen Menschen schnell und spontan, die aufwändigen Gemälde waren für die "Reichen und Schönen" vorgesehen. "The Divine and the Grotesque" heißt die Ausstellung, und so wechseln sich gottähnliche Jünglinge und teuflische Fratzen ab. Die Portraitzeichnungen und Vorstudien wirken wie kleine Kunstwerke: Leonardo spielt mit Bewegung und Lichteinfall, die Gesichter sind in ein Halblicht getaucht, das Sfumato. "Man spürt in Leonardos Leben eine Spannung zwischen dem Göttlichen und dem Grotesken - den zwei Elementen von Schönheit", sagt Martin Clayton.

Das Modell war zu schön

"Ein guter Künstler muss zwei grundlegende Dinge in seine Zeichnung legen: den Menschen und die Gedanken dieses Menschen. Das Erste ist einfach, das Zweite schwer", so Leonardo zu Lebzeiten.

Abendmahl von Leonardo da Vinci
"Letztes Abendmahl" von Leonardo da VinciBild: AP

Auf der Suche nach einem Modell für Judas in dem Gemälde "Letztes Abendmahl" soll Leonardo zu seinem Auftraggeber Ludovico Sfortza gesagt haben, "es falle ihm schwer, ein Modell zu finden, dessen Hässlichkeit der Schurkerei des Judas entspreche", so erinnert der Katalog der Londoner Ausstellung.

Horror-Picture-Show

Leonardo zeichnete vor allem Portraits von alten Menschen mit schonungsloser Ehrlichkeit. Die Zeichnung "Satire on aged lovers" (Satire von den alten Liebenden) ist seine Hommage an reife Paare: Eine Greisin und ihr alter Mann benehmen sich auf der Zeichnung wie ein verliebtes Teenagerpaar. Ob die Queen darüber noch lachen kann?Leonardos Ziel war es, die Natur so genau wie möglich abzubilden, was natürlich jede Boshaftigkeit entschuldigt.

Nun ist es die Natur selbst, die boshaft mit Leonardos Bildern spielt. Das starke Sonnenlicht beschädigt die Werke gefährlich. Deshalb werden die Zeichnungen nach der Ausstellung wieder in der dunklen Bibliothek von Windsor Castle verschwinden.

Zu sehen ist "Leonardo da Vinci - The Divine and the Grotesque" noch bis zum 9. November.