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Die EU verklagt sich selbst

Bernd Riegert, Brüssel13. Januar 2004

Die EU-Kommission hat am Dienstag (13.1.) beschlossen, Klage gegen den Ministerrat beim Europäischen Gerichtshof einzureichen. Ein bislang einmaliger Vorgang. Der Vorwurf: Bruch des Stabilitätspaktes.

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Solbes (rechts) hat sich gegen Eichel durchgesetzt - zunächstBild: AP

Nach dem EU-Gipfel im Dezember 2003 in Brüssel gab sich der deutsche Finanzminister Hans Eichel noch zuversichtlich. Er rechne nicht mit einer Klage der EU-Kommission wegen des Defizitverfahrens, das der Finanzministerrat auf Betreiben von Deutschland und Frankreich gestoppt hatte, sagte Eichel damals. Die Juristen des Ministerrates hätten bescheinigt, dass das beschlossene Aussetzen des Verfahrens vom Paragrafen 104 des Stabilitätspaktes gedeckt sei.

Gute Chancen

Die Juristen der EU-Kommission sehen das anders. Sie räumen Währungskommissar Pedro Solbes gute Chancen ein, vor dem Europäischen Gerichtshof zu gewinnen. Solbes hatte schon im November mit einer Klage gedroht und dem Ministerrat illegales Verhalten vorgehalten. Die Minister hatten nämlich die Empfehlung der Kommission, das Defizitverfahren gegen Deutschland und Frankreich voranzutreiben, ignoriert und stattdessen einen eigenen Text verfasst.

Am Dienstag, (13.1.2004) hat die EU-Kommission auf ihrer Sitzung in Straßburg nun tatsächlich beschlossen, Klage gegen den Finanzministerrat einzureichen. Die ist das erste Mal überhaupt, dass die Verwaltung den Rechtsweg gegen den Ministerrat beschreitet. Fraglich ist aber, ob die obersten europäischen Richter die Klage überhaupt annehmen und auch das angestrebte Eilverfahren zulassen werden. In Luxemburg heißt es, das Gericht habe keine große Lust, sich in den Machtkampf zwischen Kommission und Rat einzuschalten.

Strikt oder flexibel

Deutschland und Frankreich stehen am Pranger, weil sie 2004 zum dritten Mal in Folge mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes an neuen Staatsschulden aufnehmen werden. Aus dem Bundesfinanzministerium in Berlin hieß es zum Jahreswechsel, auch 2005 werde man große Schwierigkeiten haben, das so genannte Maastricht-Kriterium zu schaffen. Österreich, die Niederlande und auch die Europäische Zentralbank plädieren für eine strikte Einhaltung des Stabilitätspaktes, während außer Frankreich und Deutschland auch Italien und Portugal für eine flexiblere Handhabung eintreten.

In Brüssel heißt es, Währungskommissar Solbes wolle mit einer Klage gegen den Ministerrat das politische Ansehen und Gewicht der EU-Kommission wieder herstellen. Die Kommission soll als Verwaltungsspitze der EU unabhängig von nationalen Interessen agieren und hat nach den EU-Verträgen das alleinige Initiativrecht, wenn es um Gesetze und Verordnungen geht.

Größter Nettozahler Deutschland

Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte wiederholt das Verhalten der EU-Kommission kritisiert. Sie könne nicht auf der einen Seite ein strikte Haushaltsdisziplin von Deutschland fordern, aber auf der anderen Seite dann eine Erhöhung des EU-Haushaltes verlangen. Das passe nicht zusammen, weil Deutschland als der größte Nettozahler diese Lasten zu tragen hätte.

Umstritten ist, was passieren würde, wenn der Europäische Gerichtshof der Kommission im Streit um den Stabilitätspakt im Sommer 2004 tatsächlich Recht geben würde. Den Beschluss der Finanzminister, das Defizitverfahren bis Ende 2004 auszusetzen, könnte die Kommission nicht mehr ungeschehen machen. Allerdings wäre ihr Ansehen im Machtgefüge der EU, da ist sich der Spanier Solbes sicher, ein ganzes Stück aufgebessert.

Weiteres Vorgehen fraglich

Der amtierende Vorsitzende des Finanzministerrates, der irische Ressortchef Charlie McCreevy, hatte die Streithähne zur Besinnung aufgerufen. Man solle nichts überstürzen. Doch Solbes läuft die Zeit davon. Denn die Amtszeit der jetzigen EU-Kommission endet im November 2004. Ob ein neuer Kommissionspräsident, der von den nationalen Regierungen ausgewählt wird, eine Klage weiter verfolgen würde, ist fraglich.