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"Die EU ist einigungsmüde, Kroatien ist transitionsmüde"

6. April 2006

Im Vorfeld seines Deutschlandbesuchs hat Kroatiens Präsident Stipe Mesic DW-RADIO erklärt, was er von dem Besuch erwartet. Ferner äußert er sich zur Lage der Medien und zu den Folgen eines Hinauszögerns des EU-Beitritts.

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Stjepan Mesic mit Bundespräsident Horst Köhler bei seinem letzten Berlin-Besuch im November 2005Bild: AP

DW-RADIO/Kroatisch: Medien-Experten bemerken eine starke Hinwendung der kroatischen Medien zur "Yellow-Press", zum Sensationalismus. Wohin führt das, wenn man bedenkt, wie wichtig die Medien für die Entwicklung einer Demokratie sind?

Stjepan Mesic: Sicherlich nehmen die Medien an der Entwicklung einer demokratischen Gesellschaft teil und beeinflussen diese auch. Aber wir haben keine Zensur mehr, praktisch auch keine Selbstzensur. Es gibt nur die Einstellung des Eigentümers, der sein Medium ausrichten kann. Und die grundlegende Orientierung ist der Profit. Und dort stützt man sich sehr häufig zu sehr auf den Sensationalismus, auf Affären. Dort wird sehr häufig die Wahrheit ein bisschen zur Seite gerückt.

Aus dem Ausland kommende Kroaten oder Ausländer, die unsere Medien analysieren, bemerken, dass diese sich nur in einem kroatischen Rahmen bewegen, wir uns sozusagen um uns selbst drehen. Fällt es den kroatischen Medien vielleicht deshalb manchmal schwer, Dinge richtig einzuschätzen?

Kroatien darf nicht bei Seite stehen, weil es - wenn es seine strategischen Ziele, also den Beitritt zu EU und NATO, erreichen will, vor allem Interesse für diese Gesellschaft zeigen muss. Denn wir wollen in diese Gesellschaft einziehen. Was müssen wir alles tun, um alle diese Regeln und Standards zu erfüllen, die dort gelten? Wir müssen uns also den Regeln der Gesellschaft annähern, deren Mitglied wir sein wollen. Und schließlich auch unsere Öffentlichkeit auf bestimmt Weise erziehen. Und auf der anderen Seite müssen wir uns der Zusammenarbeit mit unseren Nachbarn öffnen. So denke ich, dass unsere Medien sich auch stärker den Ereignissen in den Nachbarländern zuwenden müssten, besonders denen, die die europäisch orientierten Menschen in dieser Region ermutigen. Denn dies wird uns einander näher bringen, dass wir uns gegenseitig beim Zugang in die EU und die euroatlantischen Strukturen unterstützen.

Was halten Sie von den Verfassungsänderungen in Bosnien-Herzegowina?

Ich verstehe diese Veränderungen als Ausbau nicht nur der Verfassung selbst, sondern auch als Ausbau des Vertrages von Dayton. Mit anderen Worten: man ermöglicht dadurch ein Funktionieren Bosniens als Staat, in dem die Mechanismen des Staates effektiver sein werden und das auf einem bestimmten Standard. Das ist allerdings erst der erste Schritt des Ausbaus, nach diesem kommt der zweite Teil des Ausbaus, denn ohne eine Integration der bosnischen Gesellschaft und ohne ein Funktionieren der Mechanismen auf dem Niveau des Gesamtstaates kann man die europäischen Standards nur schwer erreichen. Deswegen begrüße ich diese Veränderungen. Auch wenn ich zugebe, dass sie nicht ideal sind, so darf man doch nicht wegen einzelner Bedenken das gesamte Konzept zerstören.

Wie gefährlich ist für Kroatien eine Hinauszögerung des Beitrittes zur EU?

Ich gehe davon aus, dass die europäische Einigung ein gewaltiges Unterfangen ist, das jedoch in relativ kurzer Zeit umgesetzt werden muss. Also: wir alle in Südosteuropa gehören zu Europa, dort ist unser Platz. Die Ablehnung der Referenden in Frankreich und den Niederlanden hat uns dabei allerdings wahrlich nicht geholfen. Für die Einigung gibt es jedoch genug rechtlichen Rahmen durch den Vertrag von Maastricht genauso wie den von Nizza. Es gibt ausreichend rechtlichen Rahmen, mit dem man die weitere Einigung verfolgen kann. Die Wahrheit, dass gestehe ich zu, und das ist auch eine objektive Tatsache, ist, dass die Europäische Union derzeit etwas einigungsmüde ist. Aber auch wir müssen sagen, dass wir ein wenig transitionsmüde sind. Das Problem muss man dadurch lösen, dass man die europäische Einigung beschleunigt und beide Seiten davon profitieren. Denn nur ein vereintes Europa kann einen echten Partner für Amerika darstellen.

Sie werden bald Deutschland besuchen und nach Hamburg reisen. Wie schätzen Sie die Beziehung zwischen beiden Ländern ein?

Ich denke, dass die Beziehungen wirklich sehr gut sind. Deutschland hat als einer der Ersten richtig eingeschätzt, dass sich das alte Jugoslawien in diesem Rahmen nicht aufrechterhalten lässt. Damit hat Deutschland gezeigt, dass es nicht nur ein wirtschaftlicher Riese ist, sondern auch ein Riese im politischen Sinne. Deutschland ist, was uns betrifft, einer der wichtigsten Partner. Mein Besuch in Hamburg ist eine Möglichkeit zu sehen, wie ein wirklich großer Hafen funktioniert, wie man auch in Kroatien unsere Häfen leistungsstark machen kann. Denn sie sind für Südost- und Mitteleuropa das Tor zu Ländern außerhalb Europas. Aber die Deutschen haben auch eine wunderbare Produktion ökologischer Lebensmittel. Und wir besitzen große Gebiete, die inzwischen wieder von Minen geräumt sind, die seit zehn Jahren nicht bearbeitet wurden, und können in diesem Sinne Partner sein.

Das Interview führte Gordana Simonovic, Zagreb
DW-RADIO/Kroatisch, 5.4.2006, Fokus Ost-Südost