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Deutscher Buchpreis

17. August 2011

Die Longlist für den Deutschen Buchpreis steht fest - und es zeichnet sich ein Trend ab: Auch über 20 Jahre nach dem Mauerfall haben Autoren den Osten fest im Blick. Ein Gespräch mit der Juryvorsitzenden Maike Albath.

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Deutscher Buchpreis 2011 Jury-Vorsitzende Dr. Maike Albath
Bild: Harald Schröder

Der Deutsche Buchpreis wird seit 2005 für besten deutschen Roman eines Jahres vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels vergeben. Die relativ junge, aber mittlerweile renommierte Auszeichnung hat den "Man Booker Prize" und den "Prix Goncourt" zum Vorbild und soll die deutsche Gegenwartsliteratur international bekannter machen. Die Deutsche Welle ist von Beginn an Medienpartner.

Am 17. August wurde die erste Auswahl der Kandidaten für den Deutschen Buchpreis 2011 bekannt gegeben. Die Preisverleihung findet am 10. Oktober zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse statt. Wir haben mit der Juryvorsitzenden Maike Albath gesprochen.

Das Interview mit Maike Albath

DW-WORLD.DE: Maike Albath, zwanzig Titel stehen auf der sogenannten Longlist für den Deutschen Buchpreis. Das heißt, die gehören zu den besten Romanen des Jahres 2011. Gesichtet hat die Jury zehn Mal soviel. Konnten Sie bestimmten Themen feststellen, die deutsche Autoren gerade besonders umtreiben?

Maike Albath: Ja, der Osten wird wieder ganz neu in den Blick genommen von mehreren Schriftstellern - auf sehr interessante und vielfältige Art und Weise. Zum Beispiel von Angelika Klüssendorf ("Das Mädchen"), die eine Kindheit schildert in der DDR, in der eine vollkommen verwahrloste Atmosphäre herrscht. Vernachlässigung - beschrieben aus der Perspektive eines Mädchens, auf ganz nüchterne Art und Weise. Das ist sehr beeindruckend und sehr prägnant. Und gleichzeitig fächert sie aber auch die Psyche dieses Mädchens auf - ohne dass es eine tiefere Innenschau gibt.

Oder dann gibt es zum Beispiel Eugen Ruge ("In Zeiten des abnehmenden Lichts") - ein spätes Debüt. Da geht es um die Nomenklatura der DDR aus einer ganz anderen Perspektive, eher geschichtlich gefasst über drei Generationen. Da geht es um Exilanten, die aus Mexiko in die DDR zurückkehren, um einen Historiker, der wirklich die Überzeugung der DDR vertritt und schließlich um den Sohn, der abtrünnig wird und in den Westen geht. Oder Judith Schalansky ("Der Hals der Giraffe"). Auch hier werden wieder die Spätausläufer der DDR geschildert. Es geht um eine Lehrerin, die in der Nachwendezeit arbeitet, aber immer noch alten Überzeugungen anhängt.

Also es ist insgesamt eine Inventarisierung des Ostens, eine Sichtung der Gefühle - auch über zwanzig Jahre nach dem Mauerfall.

Erzählte Kindheiten in der DDR hat es in den letzten Jahren immer wieder gegeben. Ein Autor hat dafür sogar vor drei Jahren den Deutschen Buchpreis bekommen: Uwe Tellkamp für sein Mammutwerk "Der Turm". Gibt es heute einen anderen Zugang? Ist es immer noch die eigene, die erlebte Geschichte, die da erzählt wird?

Im Fall von Angelika Klüssendorf ist es das ganz sicherlich. Natürlich rückt die Biographie auch immer wieder unter anderen Gesichtspunkten in den Blick. Und bei Judith Schalansky und Antje Rávic Strubel ("Sturz der Tage in die Nacht") ist das eher der Versuch zu erforschen, was diese Formen des Umgangs miteinander, auch die politischen Systeme, ausgelöst haben, wie sie Biographien verändert haben. Wie sie Biographien auch gekrümmt haben.

Es gibt übrigens dann auch das Gegenstück, nämlich die Bundesrepublik. Wie die wiederum von jungen Schriftstellern geschildert wird. Mit Rückblick und Rückgriff auf die eigene Biographie. Also Bestandsaufnahmen der Situation jetzt. Zum Beispiel der Blick auf die Provinz bei Jan Brandt ("Gegen die Welt"), auf eine Drogistenfamilie in Ostfriesland. Dann bei Thomas Melle ("Sickster") auch der Versuch, zeitdiagnostisch zu erzählen. Das ist die Dekadenz der Bundesrepublik, die da im Mittelpunkt steht, erzählt anhand eines Abiturjahrgangs von 1994.

Oder auch auf ganz typische Art und Weise Wilhelm Genazino ("Wenn wir Tiere wären"), der von einer inneren Verelendung erzählt und von dem 'Gebrauchtleben', das sein Held erleidet, der in seinem Dasein vollkommen fremdbestimmt zu sein scheint. Und dann sehr wichtig: Peter Kurzeck, der die Nachkriegszeit in den Blick nimmt - er hat ja fast so eine partiturhafte Art des Erzählens, etwas sehr musikalisches - diese Nachkriegszeit in Hessen. Die Veränderung dort. Wie zum Beispiel gesellschaftliche Formen weg brechen, der Dorfladen. Oder wie die Kühlschränke Einzug halten in die einfachen Häuser, das Radio. Was das alles für Veränderungen mit sich bringt. Und das wird auf ganz unterschiedliche Art und Weise, auch mit einer großen Stimmenvielfalt, in diesen Büchern geschildert.

Von links: Clemens-Peter Haase (Goethe-Institut - verstarb im Juli 2011), Dr. Ina Hartwig (freie Kritikerin), Uwe Wittstock (Focus-Magazin), Dr. Ulrike Draesner (Autorin), Gregor Dotzauer (Der Tagesspiegel), Jury-Vorsitzende Dr. Maike Albath (Deutschlandfunk / DeutschlandRadio Kultur) und Christine Westermann (Westdeutscher Rundfunk)
Von links: Clemens-Peter Haase (verstarb im Juli 2011), Ina Hartwig, Uwe Wittstock, Ulrike Draesner, Gregor Dotzauer, Jury-Vorsitzende Maike Albath und Christine WestermannBild: Harald Schröder

Der Deutsche Buchpreis soll deutsche Literatur weltweit ja auch bekannter machen. Was scheint denn aus Ihrer Sicht für ein internationales Publikum hier besonders geeignet?

Das internationale Publikum - das ist auch meine Erfahrung im Ausland - interessiert sich sehr für die jüngste deutsche Geschichte. Für die Art und Weise, wie über die DDR berichtet wird, wie umgegangen wird mit den Systemen, in denen Autobiographien zu verorten sind. Und das ist etwas, denke ich, was man genau so gut vermitteln kann wie diese Jetztzeit in der Bundesrepublik - wie wir sie zum Beispiel bei Navid Kermani haben ("Dein Name"). Also Kermani ist ein Beispiel für eine neuere Biographie: jemand, der nach Deutschland einwandert, und wie die Familie sich dann dort zurecht finden muss. Das sind sicherlich auch Themen, die interessieren. Aber allen voran möglicherweise die Aufarbeitung, Inventarisierung und Archivierung des Ostens.

Das Gespräch führte Gabriela Schaaf
Redaktion: Gudrun Stegen