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Die Duma und das Bier

Stephan Hille2. November 2004

Im Gegensatz zu Deutschland, wo der Bierkonsum stagniert oder sinkt, ist Bier trinken in Russland der letzte Schrei. Das haben auch die russischen Parlamentarier bemerkt und machen Front gegen das Kultgetränk.

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Bier trinken, ist in Russland schwer in Mode. Der Pro-Kopf-Konsum der Russen hat sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt und liegt inzwischen bei rund 60 Liter, in den Metropolen sogar bei rund 80 Liter im Jahr.

Vergessen die sowjetische Tristesse, als der fade Einheits-Gerstensaft nur in düsteren Steh-Kneipen gezapft wurde oder in seltenen Fällen auch direkt aus kleinen Tankwagen auf der Straße feilgeboten wurde. Heute bietet sich den Russen eine mindestens so große Auswahl an erstklassigen Bieren wie in Deutschland. "Sibirische Krone", "Baltika" oder "Goldenens Fässchen" zählen zu den beliebtesten Hopfgetränken, die die Russen in immer größeren Mengen konsumieren.

Bier zum Wodka

Der Bierboom geht dabei nicht einmal zu Lasten des russischen Nationalgetränks. Zum Wodka genehmigen sich die Russen den Gerstensaft als Zusatzgetränk. "Wodka ohne Bier ist in den Wind geworfenes Geld", lautet eine beliebte Volksweisheit.

Bis vor kurzem zählte Bier offiziell noch nicht einmal als alkoholisches Getränk, sondern als ein erfrischender Durstlöscher. Auch Dank einer massiven Werbekampagne gilt der Gerstensaft besonders unter Russlands Jugendlichen als "hip" und "cool".

Schon am frühen Morgen tragen viele Russen auf dem Weg zur Arbeit ein oder zwei Fläschen Bier spazieren. Gerade auf der Straße ist der Konsum des Gerstensafts populär, sogar bei klirrenden Temperaturen und stärkstem Frost.

Mehr als zwei Millionen Alkoholiker

Der Bierboom trägt allerdings auch zu eher ernüchternden Statistiken bei: Jedes Jahr saufen sich rund 40.000 Russen zu Tode, die Zahl der Alkoholiker ist mittlerweile auf 2,2, Millionen angewachsen – darunter auch 22.000 Jugendliche.

Um den steigenden Alkohol-Rausch zu bekämpfen, hat die russische Duma dem Gerstensaft nun dem Kampf angesagt. Was für viele Russen wie ein April-Scherz klingt, ist dem russischen Parlament bierernst: In dritter Lesung verabschiedeten die Parlamentarier ein Gesetz, dass den Russen ab dem 1. April 2005 verbietet, auf der Straße, im Park oder sonst in der Öffentlichkeit ein Bier an den Hals zu setzen. Bei Missachtung des öffentlichen Bierverbots drohen hohe Bußgelder – bis zu 500 Rubel, umgerechnet knapp 14 Euro.

Hässliche Deutsche

Parallel hat die Duma bereits vor Wochen die Fernsehwerbung für den Gerstensaft per Gesetz erheblich eingeschränkt. Künftig darf im Fernsehen und im Radio zwischen sieben und 22 Uhr nicht mehr für Bier geworben werden. In Sportstadien sowie im Umkreis von Sportstätten, Schulen und Krankenhäusern ist die Bierwerbung ganz verboten.

Ausgerechnet der Rechtspopulist und Polit-Clown Wladimir Schirinowski hatte sich massiv für Maßnahmen gegen den Gerstensaft stark gemacht und vor den vermeintlichen Folgen des maßlosen Bierkonsums gewarnt. Bier sei ein "abscheuliches" Getränk. "Schauen sie nur, wie hässlich die Tschechen und die Deutschen sind."

Weniger Sportwerbung

Die Brauereivertreter unterdessen sind empört über die "Hexenjagd" auf Hopfen und Malz. Auch der russische Fußball- und der Eishockeyverband warnten vor Einschränkungen bei Sportübertragungen, schließlich zählen die Bierbrauer zu den wichtigsten Sponsoren. Manche Sportfunktionäre sehen durch den drohenden Sponsorenverlust bereits die Leistungen der russischen Olympia-Auswahl und der Fußball-Nationalmannschaft in Gefahr.

Viele Skeptiker zweifeln indes, dass das öffentliche Konsumverbot und die eingeschränkte Werbung den erhofften Erfolg bringen werden. Schließlich haben sich die Russen ihre Trinkgewohnheiten noch von niemandem verleiden lassen.