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Eine riesige Chance

Das Interview führte Andreas Becker in Doha30. November 2008

Bei der UN-Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung in Doha ist OECD-Generalsekretär Ángel Gurría als Redner und in zahlreichen Arbeitsgruppen aktiv. Andreas Becker hat mit ihm gesprochen.

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OECD-Generalsekretär Ángel Gurría (Quelle: DPA)
OECD-Generalsekretär Ángel GurríaBild: picture-alliance/ dpa

Ángel Gurría kennt sich mit Krisen aus. In den 1990er-Jahren, zur Zeit der mexikanischen Wirtschaftskrise, war er erst Außenminister, dann Finanzminister Mexikos. Seit 2006 ist Gurría Generalsekretär der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

(OECD), der 30 Industrieländer angehören.

Deutsche Welle: Hier in Doha wird viel darüber gesprochen, dass einige wichtige Personen nicht zur Konferenz gekommen sind, etwa die Staats- und Regierungschefs der meisten Geberländer, also der wirtschaftlich stärksten Staaten. Die Chefs von IWF und Weltbank lassen sich ebenfalls vertreten. Viele Nicht-Regierungsorganisationen werten das als Affront gegenüber den Vereinten Nationen. Wie sehen sie es?

Ángel Gurría: Ich kümmere mich nicht so darum, wer hier ist oder wer nicht. Ob jemand kommen kann oder nicht hängt manchmal auch vom jeweiligen Terminplan ab. Sicher ist, dass alle Staaten und Institutionen, die hier sein sollten, in Doha auf die eine oder andere Weise vertreten sind. Wir sollten uns hier auf die Herausforderungen und die Lösungen konzentrieren.

Welche neuen Trends sind beim Fluss der Hilfszahlungen zu beobachten?

Wir müssen feststellen, dass nicht alle Hilfszusagen eingehalten werden können, die 2002 bei der ersten Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung in Monterrey und 2005 beim G8-Treffen in Gleneagles gemacht wurden. Außerdem wird es, wenn überhaupt, nur sehr wenige Länder geben, die 2015 die Millenniumsziele erreichen werden. Durch den Erlass von Schulden ist zwar offiziell die Entwicklungshilfe angestiegen, aber nicht wirklich mehr Geld geflossen. Um jetzt noch die Ziele zu erreichen, müssten die wirklichen Zahlungen sprunghaft ansteigen. Angesichts der schwachen wirtschaftlichen Entwicklung im Moment und der drohenden Rezession ist das nicht sehr wahrscheinlich. Aber immerhin haben viele führende Politiker, darunter EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso, zugesagt, dass sie ihr Engagement nicht reduzieren werden.

Steuern sind ein wichtiges Thema auf dieser Konferenz, besonders die Steuersysteme in Entwicklungsländern. Warum ist das so wichtig?

Der Finanzminister Südafrikas, Trevor Manuel, hat einmal gesagt: Das Wort Entwicklungshilfe wird so buchstabiert: T – A – X – also Steuern. Damit wollte er natürlich nicht sagen, dass wir die Hilfszahlungen einstellen sollen, denn Hilfsgelder ölen die Räder der wirtschaftlichen Entwicklung. Aber Entwicklungsländer können das Geld auch nutzen, um eigene Steuersysteme aufzubauen oder zu verbessern. Ruanda hat das zum Beispiel mit relativ geringer Hilfe geschafft. Zwischen 1998 und 2005 ist der Anteil der Steuereinnahmen an der Wirtschaftsleistung von 9 auf 15 Prozent gestiegen.

Aber warum muss das Thema innerhalb einer UN-Konferenz diskutiert werden. Können die Länder nicht einfach ein Steuersystem einrichten?

Ein modernes Steuersystem einzurichten ist gar nicht so einfach. Es gibt in vielen Entwicklungsländern enorme Widerstände, außerdem Korruption und wenig Transparenz. Gleichzeitig ist die Bereitschaft, Steuern zu zahlen, in der Bevölkerung gering. Denn viele glauben, dass das Geld sowieso nicht korrekt verwendet wird. Warum sollten sie also für etwas zahlen, von dem sie nicht profitieren? Es gibt aber auch viele erfolgreiche Beispiele. Deshalb müssen sich die Länder austauschen und voneinander lernen. Und es muss auch Hilfszahlungen geben. Damit werden Fachkräften ausgebildet, Buchhaltungssysteme eingeführt, Computer angeschafft, aber auch Anreize zum Steuernzahlen eingerichtet. Ein Beispiel: Kann jemand in Malawi nachweisen, dass er seine Steuern bezahlt hat, dann erhält er besondere Finanzierungsmöglichkeiten, etwa für Investitionen. Das ist ein guter Anreiz. Wir sagen den Ländern also nicht, was sie zu tun haben, sondern was anderswo gut funktioniert.

So weit, so gut. Und doch sind sich auch bei diesem Thema nicht alle einig, wenn es darum geht, eine gemeinsame Erklärung zu formulieren.

Natürlich wollen die Empfänger von Hilfsgeldern, dass sie dafür mehr Geld erhalten, das nicht an so viele Bedingungen geknüpft ist. Die Geberländer wiederum wollen einen möglichst transparenten Prozess und fordern, dass mit dem Geld besser umgegangen wird. Das ist natürlich eine alte Diskussion. Aber beide Seiten nähern sich an. Wir müssen nur dafür sorgen, dass Dinge auch umgesetzt werden.

Kann die Konferenz in Doha auch scheitern?

In Monterrey haben wir uns auf Finanzierungsquellen geeinigt, die Entwicklung ermöglichen. Jetzt gilt es, diesen Prozess fortzuschreiben. Allerdings sind die Finanzierungsquellen durch die Finanzkrise bedroht, auch der weltweite Handel hat nachgelassen. Die Herausforderungen sind also riesig. Wie können wir uns besser organisieren, wie mehr Geld bekommen von den Regionalen Entwicklungsbanken oder dem Internationalen Währungsfonds? Wie können wir die reichen Länder davon überzeugen, mehr Hilfszahlungen zu leisten? Und wie können wir sicherstellen, dass in den Empfängerländern die richtigen politischen Entscheidungen getroffen werden, um die Krise abzumildern. Aber die Konferenz in Doha wird nicht scheitern. Sie ist schon jetzt ein Erfolg.

Wollen Sie damit sagen: Egal, was am Ende in der Abschlusserklärung steht, um die seit Monaten hart verhandelt wird – die Konferenz ist auf jeden Fall ein Erfolg?

Ach, solche Abschlussdokumente spiegeln doch immer nur den Konsens wider. Die radikalen Positionen jeder Seite werden gestrichen, am Ende bleibt ein Mittelweg, also das, worauf sich alle einigen können. Aber all das, was in der Realität passiert – in der Vollversammlung, in den Arbeitsgruppen, den Nebenveranstaltungen, den bilateralen Gesprächen – das Bewusstsein, das hier entsteht, wird den weiteren Prozess antreiben.

Mit anderen Worten: Es gibt hier gar nichts zu verlieren?

Die Frage ist nicht, ob die Konferenz ein Erfolg wird oder nicht. Die Konferenz bietet eine große Chance, und die müssen wir nutzen. Das ist ein langer Prozess, und deshalb hört unsere Arbeit auch nie auf.