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Deutsche Kolonialgeschichte in Afrika

Heike Mund9. Juli 2015

Im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika wurden zehntausende Hereros ermordet, ihre Schädel zu medizinischen Zwecken ins Kaiserreich gebracht. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz will diese Exponate jetzt zurückgegeben.

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Namibia deutsche Kolonialgeschichte Kriegsgefangene Herero
Bild: Bundesarchiv, Bild 146-2003-0005/Unknown/CC-BY-SA 3.0

Allein die Begriffe sind schon für sich ein Politikum: Ob man von "Ermordung und Vertreibung" oder gar von einem "Genozid" an dem Volk der Hereros sprechen sollte, ist bis heute nicht offiziell als historisches Faktum klar gestellt worden. Seit Jahrzehnten wird um eine Definition gerungen, ähnlich wie im Fall des Völkermordes an den Armeniern im Osmanischen Reich. Israel Kaunatjike vom Berliner NGO-Bündnis "Völkermord verjährt nicht" sieht darin ein längst überfälliges Kapitel deutscher Kolonialgeschichte, das neu geschrieben werden müsste: "Der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts hat in Namibia stattgefunden. Und wir sind sehr aufmerksam, was die deutsche Politik dazu sagt", erklärt er im DW-Interview.

Er selbst wurde 1947 als Nachfahre überlebender Hereros in Deutsch-Südwestafrika geboren - seit 1970 lebt er als politisch anerkannter Flüchtling in Deutschland. Seine eigene Familiengeschichte ist eng mit der deutschen Kolonialgeschichte verknüpft: "Meine Großmutter war damals als Angestellte bei einer deutschen Familie, bei Familie Otto Möller. Und dort ist meine Mutter geboren. Ich habe das sehr viel später erfahren."

Herero-Nachfahre Israel Kaunatjike zu den Verbrechen

Wissenschaftliche Aufklärung gefordert - 100 Jahre danach

Am 9. Juli 1915 endete die deutsche Kolonialherrschaft in Deutsch-Südwestafrika - 100 Jahre später rückt dieses eher vergessene Kapitel deutscher Geschichte jetzt wieder verstärkt ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Auch der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Herman Parzinger, hat sich aktuell dazu geäußert - allerdings in einem sehr speziellen Zusammenhang: Es geht um eine umfangreiche Schädelsammlung, die die Stiftung kürzlich von der Berliner Charité übernommen hat. Die genaue Herkunft der Exponate ist bislang nicht eindeutig festgestellt worden, auch nicht der Weg, auf dem sie in die Sammlung der medizinischen Hochschule gelangt sind.

Für Parzinger kann hier nur eine intensive Provenienzforschung Klarheit bringen: "Insbesondere geht es darum, Gebeine aus prähistorischen Gräberfeldern in Deutschland von solchen zu trennen, die aus deutschen Kolonialgebieten stammen und im 19. und im frühen 20. Jahrhundert möglicherweise unrechtmäßig nach Berlin verbracht wurden", sagte er im Interview mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Parzinger sieht die wissenschaftliche Aufklärung als ersten wichtigen Schritt zur Rückgabe der Gebeine an. "Allerdings muss klar sein, wer der rechtmäßige Empfänger ist", betonte er. Für den Afrikaner Israel Kaunatjike hat die Frage der Rückgabe einen völlig anderen Stellenwert: "Für uns ist sehr wichtig, diese Gebeine wieder nach Hause zurückzubringen. Wir schätzen, dass ungefähr 3000 von Hereros und Namas aus Namibia hier in Deutschland sind. Diese Menschen sind getötet worden, in die Wüste getrieben oder sie waren in Lagern untergebracht: Frauen, Kinder, Männer.

Namibia deutsche Kolonialgeschichte Lothar von Trotha
Lothar von Trotha, preußischer General der Infanterie, 1904-06 Oberbefehlshaber der Truppen in Deutsch-SüdwestafrikaBild: picture-alliance/akg

"Schädel abkratzen, abwaschen und auskochen"

Die sichergestellten Schädel aus der Berliner Charité sind vermutlich für medizinische Forschungen verwendet worden. Geklärt ist das noch nicht genau. Die historischen Umstände dieser zu "Rasseforschungen" ins Kaiserreich transportierten Gebeine kann Israel Kaunatjike jedoch ziemlich präzise wiedergeben: "Die Hererofrauen mussten die Schädel der Ermordeten damals mit Glasscherben abkratzen, abwaschen und auskochen. Und dann wurden sie hierher gebracht – wie Straußeneier. Das ist menschenunwürdig. Und man weiß nicht, ob diese Menschen damals geköpft wurden."

Für Kaunatjike - er spricht stellvertretend für die Hereros, die inzwischen in Deutschland leben - ist die wissenschaftliche Klärung der Schädel-Herkunft nur nebensächlich: "Diese Gebeine gehören nicht in die Archive deutscher Universitäten und anderer medizinischer Institute. Es wird heute noch immer damit geforscht. Das ist nicht zu Ende."

"Das Wissen ist verschüttet"

Helmut Parzinger spricht sich aktuell dafür aus, die deutsche Kolonialgeschichte - und die dabei begangenen Verbrechen - bei der Präsentation historischer Ausstellungstücke auch zu thematisieren: "In der deutschen Öffentlichkeit ist das Wissen über diese Vorkommnisse durch das Jahrhundertverbrechen des Holocaust und durch den Zweiten Weltkrieg verschüttet worden." Im Humboldt-Forum, das als Teil des neugebauten Berliner Stadtschlosses entstehen soll, werde das in Zukunft bewusst mit aufgenommen. "Das muss sich auch ändern, wenn wir den Dialog mit Anderen wirklich ernsthaft und auf Augenhöhe führen wollen", betont Parzinger.

Für Nachfahren der Hereros, wie Israel Kaunatjike, ist der entscheidende Punkt allerdings ein anderer: Die längst überfällige offizielle Entschuldigung von deutscher Seite, für die während der Kolonialzeit begangenen Verbrechen. "Deshalb bin ich auch sehr froh, dass der deutsche Bundestagspräsident Norbert Lammert gesagt hat, dass es höchste Zeit ist, dass man das anerkennt - als Teil der deutschen Geschichte."

Gefangene Hereros um 1904/05
Der Herero-Aufstand wurde blutig niedergeschlagenBild: ullstein bild