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Die Brücke ins Niemandsland

Nemanja Rujević, Harmica, Kroatien19. September 2015

Auf einer Brücke zwischen Kroatien und Slowenien zeigt sich die ganze Flüchtlingskrise im Kleinen: verzweifelte Menschen, Polizeigewalt, aber auch Menschlichkeit haben hier Platz. Nemanja Rujević berichtet aus Harmica.

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Flüchtlinge an der kroatisch-serbischen Grenze Brücke Harmica
Bild: Imago/BornaxFilic

Der Mann mit dem Anzug und dem bis zum Hals zugeknüpften Mantel will einfach nicht in das Bild der kleinen Brücke passen, die den Grenzfluss Sotla überquert. Hier, im Niemandsland zwischen Kroatien und Slowenien, warten hunderte Flüchtlinge auf die Gnade der slowenischen Behörden. Sie sitzen oder liegen auf dem Asphalt, das UN-Flüchtlingswerk hat Wasser, Kekse und Obst bereitgestellt. Der Mann läuft durch die Menge bis zur improvisierten Blockade, die die slowenische Bereitschaftspolizei aufgebaut hat. "Zeigt Herz! Lasst die Flüchtlinge passieren", ruft er mit schüchterner Stimme auf kroatisch. "Angela Merkel weint. Das sind Menschen, eure Brüder und Schwestern." Die slowenische Polizei zeigt sich wenig amüsiert und der Mann mit dem zugeknüpften Mantel ist bald verschwunden.

Tränengas aus dem Schengen-Raum

Zwischen dem kroatischen Dorf Harmica und dem slowenischen Rigonce prallen zur Zeit zwei Welten aufeinander: Hilfsbereite Kroaten, die mit Privatautos die Ankömmlinge hierher bringen - und slowenische Hundertschaften, die entschlossen die Schengen-Grenze abriegeln.

Wie sich das anfühlt, hat Abdel Karim am eigenen Leib erfahren. Er zeigt sein gerötetes Auge, das vom Tumult des Vorabends zeugt, als Polizisten versuchten, einen Durchbruch mit Tränengas zu verhindern. Er kann kaum noch sprechen. "Wir haben nur gesagt: öffnet die Grenze, helft den Menschen, den Kindern und Frauen! Aber sie helfen nicht. Warum?" Wie alle hier hat auch der junge Iraker gehofft, nie wieder die Gewalt erleben zu müssen, die er aus seiner Heimat kennt. "Im Irak war ich kein freier Mensch. Ich möchte nach Schweden."

Flüchtlinge an der kroatisch-serbischen Grenze Gewalt
Abdel Karim: "Warum hilft uns niemand?"Bild: DW/N. Rujević

Er lässt sich schließlich in einem Krankenwagen behandeln. Der Rettungsassistent Mario Drašić berichtet nicht ohne Stolz, dass die Sanitäter des kroatischen Roten Kreuzes alles unter Kontrolle hätten. Für Slowenien hat er hingegen keine lobende Worte: "Das war ein hässliches Bild von einem europäischen und zivilisierten Land, wenn man Slowenien jetzt überhaupt zivilisiert nennen kann. Das sind doch nur Menschen, die durchreisen wollen, viele Kleinkinder und Frauen." Die meisten, so Drašić weiter, klagen über Halsschmerzen und Erkältungen, besondere Infektionen bringen sie nicht mit.

"Shabaab" müssen warten

Langsam wird es auf der Brücke unruhig. Alle paar Stunden kommt auf der slowenischen Seite ein Bus an und wenige Glückliche dürfen die Reise Richtung Westeuropa fortsetzen. Die Flüchtlinge aus den vorderen Reihen ergreifen das Megafon und versuchen, die Warteschlangen zu organisieren. "Schabaab", junge Männer, sollen rechts stehen, die Familien, die hier im Vorteil sind, links. Doch nach erschöpfenden Tagen auf der Balkanroute haben die meisten hier keine Geduld für bürokratische Prozeduren. Menschen schreien sich gegenseitig an, kämpfen um eine Position näher an der Barrikade, während unter ihren Füssen Chipstüten und Plastikflaschen rascheln. Ein Familienvater hebt Winnie Puuh hoch. Ein Plüschtier als Beweis, dass er ein Kind dabei hat.

Noch schafft es das kleine Slowenien, fast alle Flüchtlinge geregelt zu erfassen und in die Unterkünfte zu transportieren. Es sollen bisher 1.500 Menschen sein, allein an diesem Samstag werden in Harmica 200 Menschen abgeholt. Hunderte kommen auch über die grüne Grenze. Ob Slowenien bald diesen und andere Grenzübergänge für alle öffnet? "Das glaube ich nicht", murmelt ein Bereitschaftspolizist.

Die Brücke über die Sotla wird wohl noch lange ein Sammlungsort bleiben – denn noch ist das Wetter sommerlich und die Übernachtung unter freiem Himmel möglich. Man wird hier wohl weiter hilfsbereite kroatische Bürger brauchen, Menschen wie Bassir al Sharif, die vorbeikommen, um zu helfen. Der gebürtige Syrer kam vor 45 Jahren hierher. Hier erlebte er auch Jugoslawiens blutigen Krieg. Jetzt bricht sein altes Heimatland auseinander und Bassir hat gehört, dass auch seine Verwandten auf der Flucht sind. "Ich möchte helfen, denn Menschen sagen, dass Kroatien…" Ihm fehlen die Worte, seine Gefühle über die Hilfsbereitschaft in Kroatien zu beschreiben. "Ich bin gerührt. Danke", schafft er noch auszusprechen, bevor die Tränen über sein Gesicht strömen.