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Die Bibliothek der Zukunft

Marcus Bösch6. August 2003

Naht das Ende der Bücher? Was macht die digitale Euphorie? 4000 Bibliothekare streiten in Berlin um Wege der Wissensarchivierung. Die Bibliothek der Zukunft ist hybride - ein sozialer Raum mit Büchern und Computern.

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Schöne neue BücherweltBild: dpa

Jedes lustlos entworfene Buch sei ihm lieber als ein “brummender, vollgekabelter Laptop”. In einem Zeitungsartikel vom Sommer 2000 wettert John Updike gegen elektronische Textübermittlungssyteme wie den Microsoft Reader. Wehmütig beschwört der amerikanische Schriftsteller das “verführerische Schmeicheln des Buches in der Hand”, träumt vom “Duft der ersten Lektüre” und warnt apokalytisch: “Ohne Bücher wären wir nichts weiter als ein System elektronischer Impulse.”

Ende der Gutenberg-Galaxis

British Library Reading Room
British LibraryBild: AP

Pünktlich zum Jahrtausendwechsel stimmte Updike in den Kanon der Kulturpessimisten ein, die das vermeintliche Ende des Buches betrauern. Seit dem vom Medientheoretiker Marshall McLuhan bereits 1965 prognostizierten Ende der Gutenberg-Galaxis hält der mediale Paradigmenwechsel vom analogen Schriftstück zum digitalen Textspeicher Technikbegeisterte, Zweifler und nicht zuletzt die Zunft der internationalen Bibliothekare auf Trab. Vom Tod des Buches warnen seither die einen, die anderen träumen derweil von der voll-vernetzten digitalen Weltbibliothek für alle.

Auch der diesjährige “Weltkongress Bibliothek und Information”, der vom 1. bis zum 9. August 2003 in Berlin stattfindet, steht unter dem Eindruck des Wechsels vom analogen zum digitalen Speichermedium. 4000 Bibliothekare aus 125 Ländern diskutieren unter dem Slogan “Bibliothek als Portal: Medien - Information - Kultur” über die Weiterentwicklung der Bibliotheken. Wie lassen sich stetig wachsende Informationsmengen sinnvoll bewahren, archivieren und managen? Und wie funktioniert so etwas bei schrumpfenden Etats und steigenden Kosten?

In Zukunft hybride

“Die Bibliothek der Zukunft wird eine hybride Bibliothek sein”, sagt Bibliotheksdirektor Georg Ruppelt und erläutert die neue Devise:” Die hybride Bibliothek erlaubt elektronischen Zugriff auf alles mögliche. Aber gedruckte Bücher wird es immer noch geben.” Will sagen: Nach digitaler Euphorie und Internethype scheint eine Vermischung von Medienarten die wahrscheinlichste Variante für zukünftige Bibliotheksarbeit zu sein. Nach analog und digital wird jetzt synergetisch auf das friedliche Nebeneinander gesetzt.

“Das Verhältnis von gedruckten und digital gespeicherten Medien wird binnen der kommenden zwölf Jahre auf einem paritätischen Niveau einpendeln”, erkären Jürgen Seefeldt und Ludger Syré in einem Arbeitspapier über bibliothekarische Visionen und Szenarien 2015. Diese Entwicklung spiegelt erste Erfahrungen mit voll-digitalisierten Medien wieder, die nach einschlägiger Beurteilung das alte Buch ganz und gar nicht verdrängt haben. Noch scheint niemand wirklich gewillt, ernsthaft in den Beständen einer elektronischen Bibliothek zu lesen.

Studentin in Bibliothek
Studentin in BibliothekBild: Christoph & Friends

Strategische Allianzen

Zusammenführen wollen Bibliothekare nun die Vorteile analoger und digitaler Medien - vollmundig angekündigt als strategische Allianz. Statt vollgekritzelter Karteikartenberge in irgendeinem Geschoss in irgendeiner Bibliothek heißt das Ziel: ständige Verfügbarkeit von nahezu allem - überall und jederzeit - mit global vernetzten Bibliotheksservern. Bewahrt werden soll zudem das haptische Erleben von Büchern, inklusive Papierrascheln und dem updikeschen “Duft der ersten Lektüre”. Das alles am liebsten in einem ästhetischen Raum - einer Bibliothek als sozialer Begegnungsstätte.

Microsoft E-Book Reader
eBook von MicrosoftBild: AP

Die Verwertungsrechte für sein aktuelles Buch hat John Updike im Sommer 2003 übrigens an Microsoft verkauft. Auf brummenden Laptops und eBooks wird es gelesen werden – am Strand oder am Pool. Noch häufiger wahrscheinlicher aber ganz normal und regulär im Paperback ganz im Sinne Gutenbergs.