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Die Bürgerversicherung

Peter Koppen25. Juli 2003

Der Konsens zwischen Regierung und Opposition in Sachen Gesundheitspolitik ist nur wenige Tage alt, da richtet die Politik bereits den Blick auf eine umfassendere Reform der Sozialversicherungssysteme.

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Bittere Pillen für PatientenBild: Bilderbox

Der Grund: die jetzt vorgenommenen Änderungen werden wohl nur eine Haltbarkeit von wenigen Jahren haben. Denn, bleiben die Versicherungen an Bruttolöhne, Konjunktur und Arbeitsmarkt gekoppelt, haben sie keine Zukunftschancen mehr, sie werden unbezahlbar. Von allen Parteien "entdeckt" wurde nun die "Bürgerversicherung", die bereits in der Schweiz und in den Niederlanden eingeführt wurde.

In die Bürgerversicherung soll jeder einzahlen, der Geld verdient - also auch Beamte, Selbstständige und Politiker. Bislang schultern lediglich die abhängig Beschäftigten und ihre Arbeitgeber die finanziellen Lasten der Kranken-, Renten-, und Pflegeversicherung. Diese Form der Sozialversicherung würde nicht nur jeden, sondern auch alle Einkommensarten miteinbeziehen. Es werden also auch Mieteinnahmen oder Kapitaleinkünfte aus Aktiengewinnen und Zinsen berechnet.

Vorbild Schweiz

Als Vorbild nennen Anhänger der Bürgerversicherung stets die Schweiz. Hier zahlen auch Spitzenverdiener in die solidarische Volksversicherung ein, das sind beispielsweise für die staatliche Rente 8,4 Prozent ihres Bruttoverdienstes. Wer in der Schweiz viel verdient, muss auch viel für die Altersversicherung bezahlen.

Auch bei der Krankenversicherung werden alle Eidgenossen zur Kasse gebeten - selbst nicht berufstätige Familienmitglieder, die in Deutschland nichts in die Krankenversicherungskassen zahlen müssen. Unabhängig vom Einkommen zahlt jeder Schweizer einen so genannte "Kopfpauschale", denn die Versicherung ist Pflicht. Einkommensschwache werden vom Staat unterstützt. Der Arbeitgeber beteiligt sich nicht.

In Deutschland können Besserverdiener bereits ab einem Bruttogehalt von 3.450 Euro im Monat in die private Krankenversicherung wechseln. Sie zahlen dann keinen Cent an die gesetzlichen Kassen.

Bei einer Einführung von "Kopfpauschalen" in Deutschland würde der Arbeitgeberbeitrag abgeschafft und als Lohn ausgezahlt. Die Lohnnebenkosten könnten auf diese Weise erheblich sinken. Geringverdiener erhielten einen Zuschuss aus Steuermitteln.

Das Schweizer Modell ist nicht wie das deutsche allein davon abhängig, wie viele Beschäftigte Geld in die Kassen der Pflege-, Renten-, und Krankenversicherung bringen. Da jeder einzahlt, ist das System auch in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit und Frühverrentung stabiler.

Gesetzlich kontra Privat

Diese Versicherung sei ein Schritt zur Beitragsgerechtigkeit, argumentiert der kleine Berliner Koalitionspartner, die Bündnis-Grünen, die eine Bürgerversicherung erstmals ins Gespräch gebracht haben. Die rein lohnbezogene Beitragserhebung für die gesetzliche Krankenversicherung sei historisch überholt und verteilungspolitisch ungerecht, heißt es im Grundsatzprogramm der Partei. Im Fall von Krankheiten soll die Bürgerversicherung nur die allgemeinen Risiken abdecken. Es kann aber nicht jedes Krankheitsrisiko abgesichert werden, weshalb auf den Bürger eine Reihe von privaten Zusatzversicherungen zukäme.

Bei den gesetzlichen Krankenkassen rennt die Politik mit dem Vorstoß offene Türen ein. Mit dem jetzigen System gebe es eine tägliche Entsolidarisierung zwischen Gering- und Besserverdienern, heißt es dort. Allein für die gesetzlichen Krankenkassen rechnen Experten mit Mehreinnahmen von 14 Milliarden Euro, womit der Beitragssatz von derzeit 14,3 Prozent auf 13 abgesenkt werden könnte.

Die privaten Krankenkassen hingegen sehen sich in ihrer Existenz bedroht. Bei ihnen kann sich jeder versichern lassen, der über der Beitragsbemessungsgrenze von 3.450 Euro liegt. Bei den Privaten wird der Versicherungsbeitrag nach dem individuellen Gesundheitszustand und dem Alter berechnet. Der Verband hat bereits den Gang vor das Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe angekündigt, sollte die Bürgerversicherung kommen.