1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Die aufgelistete Pressefreiheit

25. Januar 2012

Deutschland erreicht Platz 16 von 179: "Reporter ohne Grenzen" hat zum zehnten Mal einen Index der Pressefreiheit weltweit veröffentlicht. Die Kriterien für die Rangliste sind komplex, aber auch subjektiv.

https://p.dw.com/p/13pf3
Der Schatten einer Hand ist auf einem Fotografier-Verbotsschild zu sehen (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Da liegt sie, die Liste, und sofort setzt der Ehrgeiz ein: Platz 16 für Deutschland. Na gut. Ist doch gar nicht so übel - Platz 16 von 179. Aber was läuft in Finnland so viel besser, dass es auf Platz eins der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit von "Reporter ohne Grenzen" (ROG) gelandet ist?

In Deutschland hat der Bundespräsident zwar laut "Bild"-Zeitung versucht, die Berichterstattung über ihn zu verhindern – aber in Deutschland werden keine Journalisten getötet oder verschleppt, weil sie über etwas berichten, was dem Staat nicht passt. Es gibt keine Zensurbehörde oder Paramilitärs, die versuchen, Einfluss zu nehmen und der Privatsender RTL wird nicht plötzlich deutschlandweit abgeschaltet, weil Bundeskanzlerin Angela Merkel die Berichterstattung nicht passt.

Umfassende Kriterien – von Gewalt bis Recht

Doch wer genauer hinschaut sieht, dass die Ansprüche von "Reporter ohne Grenzen" höher sind. Die Kriterien, nach denen sie einschätzt, wie es um die Pressefreiheit eines Landes steht, gehen weit über Gewalt und Misshandlungen von Journalisten hinaus. Nachlesen kann man sie in einem Fragebogen, den die international anerkannte Nichtregierungsorganisation seit zehn Jahren jährlich erstellt und an 500 bis 600 Kontaktpersonen weltweit verschickt – an Journalisten, Juristen, Menschenrechtsaktivisten und Wissenschaftler, die die Situation der Presse in ihrem Land beurteilen können.

44 Fragen sollen sie beantworten: Zum Beispiel, ob seit der letzten Befragung Journalisten in ihrem Land wegen ihrer Arbeit gefoltert oder getötet wurden, ob man sie wegen ihrer Rasse oder ihres Geschlechts von der Arbeit abgehalten hat. Sie sollen auflisten, ob Journalisten von staatlichen Behörden abgehört wurden und ob man sie daran gehindert hat, in bestimmte Regionen des Landes zu reisen um Berichterstattung zu unterdrücken.

Türkische Journalisten demonstrieren gegen die Inhaftierung von Kollegen im April 2011 (Foto: AP)
Türkische Journalisten demonstrieren gegen die Inhaftierung von Kollegen im April 2011Bild: AP

Wirklich frei – ist nicht einfach zu erreichen

Sie sollen aber auch einschätzen, wie unabhängig die Medien sind und inwiefern es Zensur in ihrem Land gibt – Selbstzensur wie staatliche Zensur. Sie sollen Auskunft geben, wie die Medien organisiert und verwaltet werden und wie die Pressegesetze gestaltet sind. 2011 gibt es zum ersten Mal auch einen ausführlichen Fragekomplex zu Internet und neuen Medien: Wie schätzen Sie den politischen Willen der Regierung ein, flächendeckenden Internetzugang zu ermöglichen und die Netzinfrastruktur zu verbessern? Gab es Fälle, in denen die Behörden Webseiten blockiert oder vom Netz genommen haben?

Im detaillierten Länderbericht zu Deutschland kritisiert "Reporter ohne Grenzen" zum Beispiel den Einsatz des "Bundestrojaners", einer Spionagesoftware von Bundesbehörden, die auch gegen Journalisten eingesetzt werden kann. Auch dass Polizisten während der Proteste rund um die jüngsten Castor-Atommülltransporte journalistisches Material beschlagnahmt hatten. Oder dass im vergangenen Jahr immer wieder die Handydaten von Journalisten durch Polizei und Justiz ausgewertet worden seien.

Demonstration in Südafrika 2011 gegen ein geplantes Informationsgesetz zur Zensur der Presse (Foto: dpa)
Demonstration in Südafrika 2011 gegen ein geplantes Informationsgesetz zur Zensur der PresseBild: picture alliance/dpa

Nicht wissenschaftlich – aber ein Indikator

Als "schwierig" beurteilt ROG in Deutschland generell den Zugang zu Behördeninformationen und den Schutz von Quellen und Informanten. Das ist natürlich alles längst nicht so schlimm wie die brutale Verfolgung und Unterdrückung von Journalisten in anderen Ländern, aber eben auch nicht umfassend gut. Eritrea, Nordkorea und Turkmenistan sind zum Beispiel die Schlusslichter auf der aktuellen Rangliste, auch Syrien, der Iran und China landen auf den hinteren Plätzen, "drei Länder, die den Kontakt zur Realität verloren zu haben scheinen" und in eine "Spirale des Terrors" geraten seien, erklärt die Organisation. Tunesien konnte sich zwar um 30 Plätze im Vergleich zum Vorjahr verbessern, doch umfassende Pressefreiheit gebe es dort auch noch nicht.

Natürlich reichen sechs befragte Journalisten oder Wissenschaftler pro Land nicht aus, um ein wissenschaftlich belastbares Ergebnis über den Zustand der Pressefreiheit eines Landes zu bekommen. Tendenziell subjektiv ist die Vorgehensweise auch. Doch mit "Wissenschaftlichkeit" schmückt sich "Reporter ohne Grenzen" auch nicht. Der Index "versucht den Grad der Freiheit wiederzugeben, die Journalisten und Medien in den jeweiligen Ländern genießen", so steht es auf den Seiten von "Reporter ohne Grenzen Deutschland".

Symbolbild Zeitungen in Ketten (Foto: Fotolia)
Barometer für den Grad der Freiheit der PresseBild: Fotolia/Vladimir Voronin

Gilles Lordet, der am Hauptsitz der Nichtregierungsorganisation in Paris die Recherchen für den aktuellen Index koordiniert hat, sagt, die Rangliste solle vor allem bewusst machen, unter welch unterschiedlichen Bedingungen Journalisten weltweit arbeiten und was das über die Lebensbedingungen eines Landes aussage. Ein Barometer eben - mit unklaren Folgen.

Autorin: Marlis Schaum
Redaktion: Arne Lichtenberg