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Deutschsein für Anfänger

Marlis Schaum25. August 2006

Studenten aus aller Welt lernen in Bonn vier Wochen lang Deutschland kennen. Und, wie ist Deutschsein so? Ein Selbstversuch.

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Manche Klischees lassen sich nicht verdrängen: Würstchen sind deutsch. Basta!Bild: DW

Adlig sein ist schön. Und deshalb hat Sabine Fürst-Zehnpfennig ihren Schülern immer noch nicht verraten, dass sie es leider nicht ist, obwohl sie einen "Fürsten" im Namen hat. Das denken ihre Schüler nämlich, die aus acht Nationen kommen. Der Iran ist vertreten, Japan, Korea, Moldawien, Marokko, Taiwan, Tschechien und die USA. Fürst-Zehnpfennig bringt ihnen Deutsch bei, vier Wochen, jeden Tag von neun bis halb eins.

Internationaler Sommerkurs
Das Sprachniveau steigt von Klasse zu Klasse. 16 gibt es insgesamt.Bild: DW

Ihre Klasse ist die Nummer 14 des "Internationalen Sommerkurs für Deutsche Sprache, Landeskunde und Kultur" der Uni Bonn. Die Jungs und Mädels sind im Durchschnitt Anfang 20 und sprechen schon relativ gut Deutsch. Sie diskutieren über Studiengebühren in ihren Heimatländern. Draußen plätschert der Regen auf Bonns Straßen. Dann ist drinnen Frühstückspause.

Deutsche sind ja nett!

Fürst-Zehnpfennig hat eine runde Brille, kurze dunkle Haare und sieht damit gar nicht so aus, wie die Deutschen, die ihre Schüler aus den eigenen Lehrbüchern kennen. Sie ist ein bisschen der personifizierte Unterricht. "Ich möchte ihnen zeigen, dass Deutschland nicht nur stereotyp blond, groß, Trachtenanzug und Biertrinken ist", sagt Fürst-Zehnpfennig, "sondern dass es sehr viele Facetten hat. Dass Deutsche auch Humor haben können und man offen ist für andere Kulturen."

Internationaler Sommerkurs
USA, Tschechien und Moldawien auf einen BlickBild: DW

Denn das glauben viele ihrer Schüler oft nicht, bevor sie zum ersten Mal nach Deutschland kommen - gut ausgebildete, weltoffene und intelligente Menschen, von denen viele in ihren Heimatländern Germanistik studieren. Sie sitzen vor ihr und erzählen, wie erstaunt sie sind, dass die Deutschen eigentlich ganz freundlich seien.

Heidelberg muss sein

Eva Bezzeg-Frölich vom Internationalen Zentrum der Uni Bonn muss immer lachen, wenn sie sowas hört. Sie koordiniert den Sommerkurs. "Die Deutschen sind Organisationsgenies, sie sind immer pünktlich und eigentlich auch relativ freundlich und das bemühen wir uns zu zeigen. Von daher auch immer der Hinweis, dass man eine Viertelstunde vor Abfahrt des Busses da sein sollte", sagt sie und lacht wieder.

Deutschland Stadt Heidelberg mit Brücke
Heidelberg! Deutscher geht es kaum.Bild: DW

Busfahrten und Exkursionen gehören für die insgesamt 176 Teilnehmer aus 40 Nationen zum deutschen Alltag. Einen Tag mal nach Köln, nach Düsseldorf, Museumsbesuche und Party. Heute geht es nach Heidelberg. Heidelberg muss immer dabei sein. Heidelberg ist so deutsch, deutscher geht es kaum. Einige Japaner werden sogar versuchen, an diesem Wochenende noch einen Besuch auf Neuschwanstein zu schaffen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite wie deutsch ein Besuch in Heidelberg macht...

Die Sonne knallt. Maren Hellmich wartet am Busparkplatz. Sie ist Gästeführerein in Heidelberg und soll den Studenten jetzt das besondere Stück Deutschland nahe bringen. Schwierig, meint sie, immerhin kämen hier acht Jahrhunderte deutsche Geschichte zusammen. Sie will heute über Alltagskultur sprechen. Im Keller des berühmten Heidelberger Schlosses lagert ein Stück davon.

Sommerkurs Heidelberg
Maren Hellmich und Hiro aus Japan. Alltagskultur kennenlernen.Bild: DW

"Das ist das berühmte Heidelberger Fass. Ein riesiges Holzfass. Es ist zehn Meter lang, es hat einen Durchmesser von sieben Metern und es gehen fast 222.000 Liter Wein da hinein", sagt Hellmich. Irina grinst. Sie wusste gar nicht, dass die Deutschen neben Bier auch gerne Wein trinken. "Wozu braucht man solch ein Fass?", fragt Hellmich, "Nun, um damit anzugeben. Die Kurfürsten konkurrierten miteinander - wer hat die meisten Mätressen, den höchsten Obelisken oder das größte Fass."

Schöne Männer

Hiro aus Japan nickt interessiert und kaum zieht Hellmich weiter zur nächsten Sehenswürdigkeit, ist er an ihrer Seite und fragt nach. Er ist der Älteste der Gruppe und schon pensioniert. Er hat schon dreimal den Bonner Sommerkurs besucht.

Irina wundert sich, dass auf dem Heidelberger Schloss kaum Deutsche, sondern vor allem ausländische Touristen sind. Was ist denn für sie typisch deutsch? "Richtigkeit, eine gute Organisation, schlechtes Essen, gutes Bier und nette Personen," sagt sie. Und, hat sie die Deutschen selbst in den letzten Wochen schon ein bisschen näher kennengelernt? Nein, das leider nicht, die Studenten seien eher unter sich. Eine Vorstellung vom typisch deutschen Mann hat sie aber schon: "Die deutschen Männer sind schön. Viel schöner als die Italiener." Und die Frauen? "Deutsche Frauen sind ein bisschen zu groß. Und ein bisschen zu männlich ", sagt sie etwas verlegen.

Sommerkurs Heidelberg
Das geht in den Iran - das barocke Schloss digital festgehalten.Bild: DW

Jeansjacken sind in

Lukas aus Prag, 22, schwelgt noch in Bilderbuchfantasien. Typisch Deutschland sei für ihn Bayern, das Oktoberfest , Bratwurst und Bier, dazu Musik. Burgen und Schlösser irgendwie auch, aber nicht solche wie das barocke Heidelberger Schloss. Eher dunkle Burgen mit hohen Mauern.

Kraftwerk
Deutsche Musikkultur "Kraftwerk"Bild: EMI

Johannes aus den USA ist ein wenig enttäuscht. Der Deutschstämmige hatte gehofft hier gleichgesinnte Musikfans zu treffen. Er mag deutsche Musik aus den 1970er Jahren, "Kraftwerk" und "Ton, Steine, Scherben". "In den USA ist das wirklich nicht populär", sagt er, "aber irgendwie hatte ich gehofft, es wäre hier so." Sonst fällt ihm zu den Deutschen nur eins ein, Jeansjacken. Denim sei hier scheinbar immer populär.

Maren Hellmich steht inzwischen vor der ältesten Kirche in Heidelberg und erzählt ein Beispiel deutscher Ordentlichkeit, von den Bäckern und ihren Brezeln. Diese ritzten im 16. Jahrhundert die Umrisse der Brezeln in die Kirchenmauern, damit jeder Käufer sofort vergleichen konnte, wie große eine Brezel mindestens sein musste. Einfachster Verbraucherschutz. Wer sich nicht an die Norm hielt, dem wurde der Zunftring aus dem Ohr gerissen. Hiro wirkt entsetzt.

So ticken Studenten

Internationaler Sommerkurs
Eine Wand voller Sommerkurs-Wünsche. Hoffentlich kommen ein paar Teilnehmer wieder. Zum StudierenBild: DW

Ob Klischee oder nicht - der Sommerkurs soll den Teilnehmern Deutschland ja nur nahe bringen. Und sie vielleicht dafür begeistern, hier einmal zu studieren. Das ist sein eigentliches Ziel, bereits seit 1947. "Man kann in den vier Wochen schon erfahren, wie die deutschen Studenten ticken, wie die deutsche Universität tickt und vielleicht auch so ein bisschen wie das Bonner Geschäftsleben organisiert ist", sagt Eva Bezzeg-Frölich, "und wir sind ganz klar Zulieferer für die Uni Bonn. In der akademischen Welt ist ohne internationale Kooperation heute gar nichts mehr zu leisten."

Irina und Lukas, Johannes und Hiro gefällt das alles. Und sie machen entzückt Halt vor einer altdeutschen Brauerei. Mittagspause bei Nürnberger Rostbratwürstchen auf Sauerkraut. Das sei jetzt endlich richtig deutsch, sagen sie.