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Deutschland will im Osten Ärzte abwerben

27. Februar 2002

- Tschechisches Gesundheitssystem könnte auszubluten

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Prag, 25.2.2002, PRAGER ZEITUNG, deutsch

Wandern Tschechiens Ärzte demnächst scharenweise gen Westen? Die Medien berichteten dieser Tage in großer Aufmachung über Werbeaktionen deutscher Kliniken, die händeringend Personal suchen. Bei der tschechischen Ärztekammer sind Präsident David Rath zufolge tatsächlich 20 Angebote eingegangen, und gleich 30 Interessenten hätten sich gemeldet. Rath fürchtet, dass die Ärzte dem Ruf folgen und damit das Gesundheitswesen ausbluten könnte. Mancherorts liege die Versorgung ohnehin schon “unter der Qualitätsgrenze”. Im Krankenhaus von Česká Lípa zum Beispiel musste man wegen Personalmangels eine Intensivstation schließen.

Lockruf aus Sachsen

Glaubt man den Medien, könnte die große Wanderung bald einsetzen. Die Tageszeitung "Mladá fronta Dnes" zitierte den Chef des katholischen Sankt-Carlus-Krankenhauses in Görlitz, Hans Willi Maria Breuer, der "eminentes Interesse" vor allem an tschechischen Internisten und Fachärzten für Lungenkrankheiten habe. Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitserlaubnis seien kein Problem. Die sächsische Regierung sei angesichts des "katastrophalen Zustands in den ostdeutschen Krankenhäusern" zur Unterstützung bereit.

Magdalena Schleeger von der deutschen Botschaft in Prag aber hält die Berichte für "Hysterie". Für Ärzte gebe es in Deutschland, im Unterschied zu Computerspezialisten, keine "Greencard". Legale Beschäftigungsmöglichkeiten bildeten praktisch nur der auf 1000 tschechische Bürger begrenzte Gastarbeiterstatus oder die so genannten Grenzgänger, die täglich zur Arbeit pendeln. Außerdem gebe es arbeitslose Mediziner in Deutschland, und schließlich wären bei freien Stellen zunächst noch Europäische Unionsbewerber zu berücksichtigen.

Das Prager Gesundheitsministerium hält sich bedeckt - es gebe keinen Vertrag mit der Bundesrepublik über die Beschäftigung von Ärzten und Schwestern, heißt es kurz und trocken in einer Mitteilung. Falls Mediziner aus einem anderen Staat Angebote erhielten, müssten sie sich fachlichen Tests unterziehen, falls das der Arbeitgeber verlange, ließ Ressortsprecher Otakar Černý noch e-mailen. Doch scheint das Problem nicht völlig aus der Luft gegriffen. Laut Prognosen der sächsischen Ärztekammer könnten in den kommenden acht Jahren bis zu 40 Prozent der dortigen Mediziner gen Westen verschwinden. In Sachsen-Anhalt fehlen bereits jetzt 120 praktische Ärzte, in fünf Jahren rechnet man dort mit 300 bis 400 leeren Stellen. Und laut einer Umfrage der Pariser Sorbonne sollen 49 Prozent der tschechischen Ärzte und Schwestern bereit sein, ins Ausland zu gehen. Bereits jetzt arbeiten 2000 Tschechen in Irland, wo auch Ärzte, Schwestern und Pfleger gesucht werden.

Schlechte Entlohnung

Lockmittel Nr. 1 für den Gang über die Grenze ist das Geld. Das Durchschnittseinkommen eines Krankenhausarztes lag 2001 - mit starken individuellen Schwankungen - bei 27 900 Kronen brutto, ab 1. März soll es auf 31 500 Kronen (bei 240 Arbeitsstunden monatlich) steigen. Das wären knapp 1000 Euro. Die Angebote aus Deutschland hingegen sollen auf umgerechnet 80 000 Kronen, für Mediziner mit Praxis auch 120 000 Kronen lauten. Ein 33-jähriger Prager Lungenexperte, der die höchste Stufe der medizinischen Ausbildung erklommen hat, berichtete, er erhalte monatlich 14 000 Kronen auf die Hand, und das einschließlich Nacht- und Wochenenddiensten. Aus seiner Klinik, die modernsten Standards entspreche und ihm fachlich alle Möglichkeiten biete, treibe ihn nichts - ausgenommen das Geld. Insider sind sich jedoch einig, dass die große Wanderung nicht sofort droht. Zum einen wegen der Sprachbarriere, zum anderen, weil die Tschechen ein eher bodenständiges Völkchen sind und schließlich, weil zu befürchten steht, dass sich der Wind in Deutschland drehen und man sehr schnell durch den Rost fallen könnte. Mit dem EU-Beitritt aber würde sich das ändern. David Rath sieht als Gegenmittel nur eins - mehr Geld.

Versicherungen mauern

Und der Ärztekammerpräsident weiß auch, wo Geld zu holen ist - bei den Versicherungen zum Beispiel. Deren Einnahmen hätten sich 2001 um 9,4 Prozent erhöht, die Kosten jedoch nur um 5,5 Prozent, und die Differenz sei keineswegs voll in das Gesundheitswesen geflossen. Statt dessen hätten sich die Manager die eigenen Bezüge auf bis zu 100 000 Kronen aufgestockt, während die Punktwerte für die Behandlung von Patienten seit drei Jahren stagnierten. Doch es deutet sich noch eine Lösung an: Angesichts des nach Osten weiter sinkenden Lohngefälles zieht es Ärzte und Schwestern aus der Slowakei schon jetzt nach Tschechien - 15 auf einen Schlag bewarben sich unlängst allein in Bruntál. (fp)