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Wie stehen die deutschen Parteien zum Abzug aus Afghanistan?

Sandra Petersmann23. September 2009

Am 4. September forderte ein deutscher Befehlshaber in Kundus Luftunterstützung an. Die Taliban hatten zwei Tanklaster entführt. Der Angriff hatte verheerende Folgen. Seitdem ist Afghanistan ein deutsches Wahlkampfthema.

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Schulter eines deutschen Soldaten in Afghanistan mit ISAF- und NATO-Emblem (Foto: AP)
Bild: AP

Oberst Georg Klein befehligt die ISAF-Truppen im Norden Afghanistans. Er hatte befürchtet, dass die radikalen Islamisten zwei entführte Tanklaster als Bomben gegen seine Soldaten einsetzen könnten. Bei dem nächtlichen Luftangriff der amerikanischen Jagdbomber, die er deswegen angefordert hatte, kamen am 4. September fast 100 Menschen ums Leben, darunter mehrere dutzend Zivilisten.

Oberst Georg Klein in Afghanistan (Foto: AP)
Oberst Georg KleinBild: AP

Der verheerende Angriff hat für erheblichen Streit unter den NATO-Verbündeten gesorgt, was zusätzlich dazu geführt hat, dass das Thema auf der Zielgeraden aus dem deutschen Wahlkampf nicht mehr herauszuhalten war.

Die Große Koalition

Beim Thema Afghanistan passt kein Blatt Papier zwischen die beiden Großkoalitionäre Angela Merkel von der CDU und Frank-Walter Steinmeier von der SPD. 'Afghanistan ist nur verloren, wenn wir es aufgeben', sagt der deutsche Außenminister stellvertretend für die gemeinsame Regierung.

Beide Kanzlerkandidaten wollen in der nächsten Legislaturperiode zwar die Grundlagen für den Abzug der zurzeit rund 3400 Bundeswehrsoldaten aus Afghanistan schaffen. Aber beide weigern sich, ein konkretes Datum zu nennen. Fest steht nur, dass die Kanzlerin und ihr Außenminister einen sofortigen Abzug strikt ablehnen.

'Das geht nicht, das sind wir unseren Verbündeten schuldig. Das sind wir aber vor allem der Bevölkerung dort schuldig, die in 30 Jahren Krieg und Bürgerkrieg geknechtet und entrechtet worden ist', führte Steinmeier im gemeinsamen TV-Duell mit Angela Merkel aus. Er habe nicht vergessen, warum sich Deutschland nach dem 11. September an der Seite der USA und anderer Partner zu diesem Einsatz entschlossen habe. 'Jetzt rauszugehen hieße, dass die Frauen alle wieder in den Keller und die Mädchen nicht zur Schule gehen, die Bauern wieder Drogen anbauen und vieles mehr.'

Angela Merkel und Frank Walter Steinmeier im Doppelprotrait (Foto: dpa, Montage: DW)
Die GroßkoalitionäreBild: picture-alliance/ dpa

Angela Merkel wirbt dafür, noch in diesem Jahr auf einer internationalen Afghanistan-Konferenz konkrete Ziele zu definieren, die innerhalb klar benannter Zeitabschnitte erreicht werden müssten. Damit will sie den Druck auf Afghanistan erhöhen.

Im TV-Duell mit Steinmeier machte sie aber auch klar, dass die internationale Staatengemeinschaft ein klar formuliertes Ziel habe: 'Afghanistan muss eine selbsttragende Sicherheitskraft erlangen. Dazu bedarf es der Ausbildung von Soldaten und von Polizisten.' Das müsse gemeinsam mit den NATO-Partnern und der afghanischen Regierung vorangetrieben werden. 'Und dann machen wir ein Stück Druck, dass Afghanistan sein Schicksal selber in die Hand nimmt.' So kurz vor der Wahl will niemand derjenige sein, der die deutschen Soldaten länger als unbedingt nötig im Kampfeinsatz lässt.

FDP

Auch die Liberalen, die zurzeit noch die größte Oppositionspartei sind, befürworten das deutsche Engagement in Afghanistan. Sie haben die Politik der großen Koalition in den vergangenen vier Jahren entsprechend unterstützt.

Portrait Guido Westerwelle mit erhobenem Zeigefinger (Foto: AP)
Guido WesterwelleBild: AP

FDP-Chef Guido Westerwelle wirft der Bundesregierung allerdings Versagen bei der Ausbildung afghanischer Polizisten vor. Auch deshalb kann er sich einen 'kopflosen und überstürzten Abzug' nicht vorstellen. 'Die Taliban würden dann sofort erneut ein terroristisches Rückzugsgebiet und Aufrüstungsgebiet schaffen, dass uns auch in der Sicherheit hier mitten in Europa bedrohen würde.' Dementsprechend sei es wichtig, den zivilen Aufbau zu betonen und in militärisch abzusichern.

Die Grünen

'Ziviler Aufbau' ist eins der wichtigsten Schlagwörter der Grünen in der Afghanistan-Frage. Die Grünen haben als kleiner Regierungspartner zu Zeiten des SPD-Kanzlers Gerhard Schröder den Afghanistan-Einsatz mit auf den Weg gebracht. Die Partei mit den pazifistischen Wurzeln hält bis heute daran fest.

Portrait Jürgen Trittin (Foto: dpa)
Jürgen TrittinBild: picture-alliance/ dpa

Aber grüne Spitzenpolitiker wie Jürgen Trittin kritisieren scharf, dass das Militärische auch nach acht Jahren immer noch im Vordergrund stehe. 'Ohne eine verstärkte Polizei, ohne den Aufbau der Justiz, ohne eine andere Drogenpolitik und ohne eine dramatische Änderung der Pakistan-Politik wird die Afghanistan-Politik scheitern.' Es dürfe nicht nur bei der Debatte um einen Strategiewechsel bleiben, sondern dieser Strategiewechsel müsse für die Menschen 'am Boden in Afghanistan spürbar und erfahrbar sein'. Deshalb wirbt seine Partei dafür, die zivile Hilfe zu verdoppeln. Die Grünen fordern, dass mindestens 2000 europäische Polizisten den Aufbau der Polizei vorantreiben sollen. Einen sofortigen Abzug halten sie in den Worten ihrer Vorsitzenden Claudia Roth 'für einen Brandbeschleuniger für die Region.'

Die Linke

'Raus aus Afghanistan!' ist neben 'Hartz 4 abwählen' die wichtigste Wahlkampfforderung der Partei Die Linke. Sie ist die einzige der zurzeit im Bundestag vertretenen Fraktionen, die den Afghanistan-Einsatz kategorisch ablehnt. Ihr Spitzenmann Oscar Lafontaine hält den Einsatz am Hindukusch nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 für 'einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg'.

Portrait Oscar Lafontaine (Foto: AP)
Oscar LafontaineBild: AP

Lafontaine kritisiert scharf, dass die Soldaten 'dort die Opiumproduktion überwachen'. Das könne nicht die Aufgabe der Bundeswehr sein. Lafontaine prangert an, dass in der afghanischen Regierung auch 'Kriegsverbrecher sitzen', das wisse jeder. Die Situation im Land verschlechtere sich von Jahr zu Jahr, 'und dennoch will man nicht aus der Sackgasse wieder zurück.' Für Die Linke ist der sofortige Abzug die einzige, logische Konsequenz.

Die Wähler

Am 27. September hat der wahlberechtigte Teil der Bevölkerung das letzte Wort. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungs-Instituts 'Forsa' befürworten zurzeit rund 55 Prozent der deutschen Wähler den Abzug der Bundeswehr. Aber nur für 3 Prozent der Befragten spielt die Afghanistan-Politik bei der eigenen Wahlentscheidung eine 'sehr große' Rolle. Für 23 Prozent spielt sie 'eine weniger große', und für 57 Prozent spielt sie sogar 'gar keine Rolle'.