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Deutschland sucht nach den Atomfriedhof

Jens Thurau26. Mai 2014

Wohin mit dem strahlenden Müll aus den Kernkraftwerken? Jahrelang plädierten deutsche Regierungen für ein Endlager in Gorleben in Niedersachsen. Ab jetzt wird im ganzen Land nach einem Standort gesucht.

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Atommüllfässer(Foto: Philipp Schulze / dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Wohl erst 2050 wird Deutschland ein Endlager für hoch radioaktiven Abfall aus den deutschen Kernkraftwerken haben - und zwar frühestens. Das macht der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz, Wolfram König, deutlich. "Das wäre sehr ambitioniert", meint der Strahlenexperte kurz vor dem ersten Treffen einer Expertenkommission, die in ganz Deutschland nach einem solchen Lager suchen soll. "Alle früheren Zeitvorstellungen haben sich als falsch erwiesen." Zum Mitschreiben: 2050, frühestens, also in 36 Jahren. Aber immerhin: Nach Jahrzehnten des erbitterten Streits um die Endlagerung fiel jetzt der Startschuss für eine Suche nach einem Standort, auf den sich alle einigen können.

Die Suche soll in ganz Deutschland, nach fachlichen, nicht nach politischen Kriterien, möglichst offen und transparent durchgeführt werden. Die Kommission mit Politikern aus Bund und Länder, mit Fachleuten und Umweltschützern nahm am Donnerstag (22.05.2014) die Arbeit auf. Die 33 Mitglieder sollen in zwei Jahren Grundlagen für ein Endlager erarbeiten, erst danach beginnt die Suche im ganzen Land und schließlich die Erkundung an zwei am besten geeigneten Standorten. Kostenpunkt nach vorsichtigen Schätzungen: eine halbe Milliarde Euro pro Standort. Danach wird gebaut und ab 2050 dann wohl eingelagert.

"Viele Verletzungen in der Vergangenheit"

Zwei Jahre Zeit, nur um Grundlagen zu erörtern? Die sollten dann aber auch ausreichen, fand Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), der die Kommission zur konstituierenden Sitzung empfing. "Auch bei komplexen Fragestellungen wächst die Wahrscheinlichkeit eines Ergebnisses nicht mit der Dauer der Beratungen", mahnte der für seine süffisanten Bemerkungen bekannte Christdemokrat. Der Vorsitzende der Kommission, der SPD-Politiker Michael Müller, will vor die Bürgerinitiativen in die Arbeit einbinden. "Da hat es in der Vergangenheit viele Verletzungen gegeben, viele Konflikte", so Müller. Was so kompliziert klingt, soll einen jahrzehntelang heftig geführten Streit befrieden.

Erkundungsbergwerk in Gorleben (Foto: Foto: Kay Nietfeld / dpa)
Das Erkundungsbergwerk in Gorleben: Bisher wurden hier 1,6 Milliarden Euro versenktBild: picture-alliance/dpa

1962 ging in Deutschland das erste Atomkraftwerk ans Netz. Damals gab es kaum Gegner der neuen Technologie - die wie durch Zauberhand Energie ohne giftige Absage versprach. Über den strahlenden Müll aus den Kernkraftwerken machte sich zunächst niemand Gedanken. Ende der Siebziger Jahre beschloss die Regierung dann, im bevölkerungsarmen Gorleben nahe der Elbe in Niedersachsen, an der Grenze zur damaligen DDR, ein Endlager im dortigen Salzstock zu errichten - und löste einen ungeahnten Proteststurm aus. Das kleine Dorf im Wendland wurde zum Symbol des Kampfes gegen die Kernenergie. Der Salzstock, so der Vorwurf, sei nicht geeignet als Endlager und von oben herab ausgewählt worden, ohne die Bevölkerung zu fragen.

Gorleben: Symbol der Atomkraftgegner

Der Fokus auf Gorleben bestimmte die Debatte für viele Jahrzehnte. Auf der einen Seite linke Gruppen und Umweltschützer, auf der anderen die meisten Regierungen, vor allem CDU-geführte, die dem Druck der Bürgerinitiativen nicht nachgeben wollten und an ihrer Entscheidung für Gorleben festhielten.

Polizeigewalt (Foto: Peter Steffen / dpa)
Symbolort Gorleben. Immer wieder kam es hier zu AusschreitungenBild: picture-alliance/dpa

Bewegung kam erst wieder in die Debatte, als Deutschland 2011 endgültig aus der Kernenergie ausstieg. Nach der japanischen Reaktorkatastrophe in Fukushima entschied Kanzlerin Angela Merkel - bis dahin eine Kernkraft-Freundin - das sofortige Aus für acht deutsche Reaktoren. Die neun übrigen Anlagen sollen bis 2022 folgen.

Peter Altmaier, heute Chef des Kanzleramtes, schaffte dann als Umweltminister vor einem Jahr den Durchbruch auch in der Endlagerfrage. Motto: Alles auf Anfang, wir suchen überall nach einem Endlager, in Tonformationen, in Salzstöcken, vielleicht sogar im Granitgestein, auch in Gorleben, aber nicht nur dort. Damit werde, verkündete er im Mai 2013 stolz im Bundestag, "eines der letzten Kapitel in der langen und zugleich wechselvollen Kernenergiepolitik unseres Landes aufgeschlagen." Ein "jahrzehntealter Konflikt" könne gelöst werden.

Endlagerung weltweit ungelöst

Trotzdem werden wohl noch Jahrzehnte ins Land gehen, bevor der strahlende Müll sicher unter der Erde ist. Dennoch: Deutschland ist weltweit noch eines der Länder, das die Endlagersuche am ehrgeizigsten betreibt. Rund 40 Länder haben Atomkraftwerke, in keinem einzigen ist bislang ein Endlager in Betrieb. In Finnland ist immerhin eines im Bau, in Frankreich hat die zuständige Behörde den Bau eines Endlagers in der Ortschaft Bure in Lothringen empfohlen. Die EU-Kommission hat die 14 Länder der Gemeinschaft, die Kernkraftwerke betreiben, aufgefordert, bis 2015 eine Lösung für die Lagerung von hoch radioaktiven Stoffen zu finden. In vielen anderen Ländern außerhalb Europas aber ist die Frage, wohin der Atommüll soll, dagegen noch völlig offen.

In Gorleben, wo der Salzstock jahrzehntelang erprobt und extra ein Erkundungsbergwerk gebaut wurde, sind bislang rund 1,6 Milliarden Euro investiert worden. Ob der Salzstock sich eignet als Endlager, ist immer noch unklar und unter Experten umstritten.