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Wirtschaftlich klappt es, noch

Gerhard Gnauck
23. April 2017

Polen ist Partnerland der diesjährigen Hannover Messe. Und das zu einem für das Land wirtschaftlich guten Zeitpunkt. Selbst politische Turbulenzen haben den Aufschwung bisher nicht gebremst.

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VW-Werk in Poznan
Bild: picture-alliance/dpa

Fröhliche Männer in Anzügen durchschneiden ein Band, halten Reden und präsentieren Zahlen: In Prenzlau, 80 Kilometer nördlich von Berlin, wurde in dieser Woche eine Fabrik eröffnet. 350 Menschen werden hier arbeiten. Sie werden Plastikteile für die deutsche Automobilindustrie bearbeiten. Aber es ist kein deutscher Betrieb: Investor ist der polnische Konzern Boryszew, das Geld kam größtenteils von einer polnischen Bank.

In der Stadt herrscht große Freude. Umso mehr, da das Werk eine "Neuauflage" ist: Vor zwei Jahren war es restlos einem Großbrand zum Opfer gefallen, doch Boryszew blieb dem Standort treu und hat das Werk wieder aufgebaut und sogar erweitert. Das Fachwissen der Mitarbeiter und die Nähe zu den deutschen Pkw-Produzenten wolle man nicht missen, sagte Konzernchef Jaroslaw Michniuk. Insgesamt beschäftigt Boryszew in Deutschland heute an mehreren Standorten 2500 Mitarbeiter.

Eröffnung des neuen Boryszew Werks in Prenzlau
Feierstimmung bei der Eröffnung des Boryszew-Werks in PrenzlauBild: DW/W.Szymanski

Wirtschaft hat sich von der Politik abgekoppelt

Das Werk ist eines von zahllosen Beispielen für die wirtschaftliche Verflechtung zwischen Deutschland und Polen. Von ihr wird auch die Rede sein, wenn die Regierungschefinnen beider Länder, Angela Merkel und Beata Szydlo, am Sonntag in Hannover die Messe eröffnen. Die politischen Beziehungen Warschaus zu Berlin sind abgekühlt, zu Brüssel sehr angespannt. Doch große Bereiche der Wirtschaft haben sich im Transformationsland Polen schon vor Jahren weitgehend von der Politik abgekoppelt. Zugleich scheinen auch viele ausländische Investoren - nach einer Verunsicherung im Jahr 2016 - wieder gelassener auf die Lage in Polen zu blicken. Die Einschränkung der Gewaltenteilung im Land durch die nationalkonservative Regierung scheint die Geschäftsinteressen bisher wenig zu beeinträchtigen.

Polen ist auf dem besten Wege, seine Rolle als "verlängerte Werkbank" westlicher Firmen um neue Aufgaben zu erweitern. Seit Jahren betreibt der polnische Ölkonzern Orlen unter der Marke "Star" ein Netz von Tankstellen in Deutschland. Die Firma Ciech hat in Deutschland das Sodawerk Stassfurt übernommen. Aber was grenzüberschreitende Investitionen betrifft, ist die deutsche Wirtschaft weiterhin führend.

Mehrere Großinvestitionen geplant

Schon 1993 wurde das Volkswagen-Werk im westpolnischen Poznan eröffnet; im letzten Herbst hat VW in der Nähe ein zweites Werk eröffnet. Daimler plant in Niederschlesien den Bau eines Motorenwerks. Auch GM, Toyota, Fiat, LG Chem und XEOS (unter Beteiligung von Lufthansa Technik), also nicht nur deutsche Firmen, haben Investitionen angekündigt, jede von ihnen umfasst Hunderte Millionen Euro. Die meisten davon gehen in die Regionen Nieder- und Oberschlesien.

Dass zum Beispiel Lufthansa seine Boeing-Triebwerke künftig in Polen warten lässt, zeugt von zuverlässigen Arbeitskräften und stabilen Rahmenbedingungen - und natürlich von niedrigen Kosten. Bei deutschen Unternehmern heißt es: "In Deutschland zahle ich einem Ingenieur 4000 Euro, in Polen 4000 Zloty (knapp 1000 Euro)." Außerdem werben polnische Sonderwirtschaftszonen mit Steuererleichterungen. Immer mehr internationale Firmen verlagern auch personalintensive Dienstleistungen wie die Buchhaltung in ein Shared Service Center (SSC) nach Polen. Roland Fedorczyk von der Deutsch-Polnischen Industrie- und Handelskammer  (AHK) berichtet: "Viele Firmen hatten das früher nach Asien ausgelagert. Jetzt kehrt eine ganze Welle zurück und geht nach Ostmitteleuropa. Sie zahlen dann etwas mehr, aber die Fehleranfälligkeit ist geringer."

Kritik an sprunghafter Politik

Das Ansehen des Standorts Polen für Investoren wird auch durch eine neue Studie bestätigt. Darin haben die AHK und 13 Partnerverbände fast 400 ausländische Unternehmen befragt. In Ostmitteleuropa liegt demnach - wie bisher - Tschechien als attraktivstes Land mit knappem Vorsprung vor Polen; es folgen die Slowakei und Estland. Ungarn ist zurückgefallen. 45 Prozent der befragten Unternehmen planen 2017 in ihren Betrieben in Polen Neueinstellungen. Kritik gab es an der sprunghaften Wirtschaftspolitik, an politischer Instabilität und dem "zu hohen Tempo bei der Verabschiedung von Gesetzen". Auch beklagen manche einen Mangel an Arbeitskräften.

Insgesamt ist Polen wirtschaftlich in einer guten Lage. Seit das Land 2004 der EU beitrat, haben sich seine Importe verdreifacht, die Exporte sogar vervierfacht. Für 2017 rechnet die Weltbank mit 3,3 Prozent Wirtschaftswachstum. Deutschland ist der mit Abstand wichtigste Partner im Handel, wobei Polen, anders als früher, inzwischen hohe Überschüsse erzielt. Für 2016 wird der deutsch-polnische Handel auf etwa 100 Milliarden Euro geschätzt.

Polen Angela Merkel und Beata Szydlo
Angela Merkel und Beata Szydlo in WarschauBild: Getty Images/AFP/W. Radwanski

Minister Morawiecki setzt auf Reindustrialisierung und Innovation

Ministerpräsidentin Szydlo sagte dieser Tage, die Wettbewerbsfähigkeit Polens dürfe nicht nur auf billiger Arbeitskraft beruhen. Ihre Regierung setzt auf den Plan des Finanz- und Entwicklungsministers Mateusz Morawiecki. Der frühere Bankier will die "Reindustrialisierung Polens" vorantreiben (nach dem Zusammenbruch der Industrien aus sozialistischer Zeit) und setzt daneben auf Innovation und Expansion ins Ausland.

Viele der Entwicklungen, auch die langfristigen Entscheidungen von Investoren, sind der bis 2015 amtierenden liberalen Regierung zu verdanken. Die stabile Situation ermöglicht es der jetztigen Regierung, soziale Wohltaten zu verteilen, etwa ein hohes Kindergeld, die Senkung des Rentenalters, ein Wohnungsbauprogramm. Das hat zur Folge, dass der private Konsum wächst (Einzelhandel im März 2017 plus 7,9 Prozent gegenüber März 2016). Laut einer Umfrage sind heute 59 Prozent der Polen, mehr als je zuvor, mit ihrer materiellen Lage zufrieden. Allerdings könnte sich, wie die Weltbank warnt, die Neuverschuldung 2018 dem Maastricht-Kriterium von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts nähern.