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"Deutschland ist nur mittelmäßig"

9. Juni 2010

Die deutschen Fußballfans kennen Lakhder Belloumi spätestens seit seinem Siegtreffer gegen die deutsche Nationalmannschaft bei der WM 1982. Für Südafrika hofft er für seine Elf auf ein ähnliches Erfolgserlebnis.

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Der algerische Fußballnationalspieler Lakhdar Belloumi in einer undatierten Archivaufnahme.
Der ehemalige algerische Nationalspieler Lakhder BelloumiBild: picture-alliance/ dpa

DW-WORLD.DE: Zu wem halten Sie bei dieser Fussball-WM persönlich?

Lakhder Belloumi: Mit Sicherheit zu meinem geliebten Heimatland Algerien.

Welche Chancen, glauben Sie, hat Deutschland?

Die deutsche Mannschaft hat sicher große Chancen, sich für die letzten Runden zu qualifizieren: Es ist unbestritten, dass Deutschland international einen großartigen Ruf genießt und eine große Tradition in der Fußballwelt hat. Das deutsche Team ist eine Turniermannschaft. Dies habe ich selbst bei der WM 1982 in Spanien erlebt, als wir Deutschland in der Vorrunde 2:1 besiegten. Dennoch hat es Deutschland geschafft, bis ins Finale zu kommen. Allerdings hatte es dann gegen Italien nicht gereicht.

Warum ist Deutschland bei Turnieren oft so stark? Gibt es da aus Ihrer Sicht so etwas wie ein Geheimrezept der deutschen Fußballs?

Es hängt damit zusammen, dass die deutsche Mannschaft - wie auch alle anderen europäischen Mannschaften - über ein hohes Niveau an Professionalität und Disziplin verfügt. Allerdings glaube ich, dass die goldenen Zeiten des deutschen Fussballs doch vorbei sind. Das Niveau der jetzigen deutschen Elf ist im Vergleich zu anderen Mannschaften wie Brasilien oder Argentinien eher mittelmäßig.

Aber Sie sehen ja auch Stärken beim deutschen Team. Wo liegen die Ihrer Meinung nach: in der Offensive, in der Defensive, im Teamspiel als Ganzes?

Meiner Meinung nach war und ist die Stärke der deutschen Mannschaft als Ganzes zu sehen. Sie agieren als Mannschaft und dies ist eine gute Philosophie, um Schwächen hier und dort ausbalancieren zu können.

Welchen deutschen Spieler finden Sie denn persönlich überzeugend? Wer ist aus Ihrer Sicht der Stärkste?

Ich denke, Philipp Lahm macht seine Sache gut.

Und wo konkret sehen Sie die Schwächen des deutschen Teams?

Die Deutschen haben keine Individualisten, die Spiele entscheiden können. Sie haben auch keine großen Namen mehr zu bieten, so wie früher.

Wenn wir über die Weltmeisterschaft sprechen – wer sind denn da Ihre Favoriten?

Meine großen Favoriten sind Brasilien und Argentinien. Aber auch Spanien!

Was lässt sie denn auf die Spanier tippen? Das Tempo, die Schnelligkeit, die Technik, die Athletik?

Es ist eine Mischung aus all dem. Das ist eine große Mannschaft, die aus erfahrenen, aber zugleich auch jungen Spielern besteht. Sie können individuell, aber auch als Team agieren, und es ist wirklich ein Genuss, Spielern wie Xavi oder Fernando Torres zuzuschauen. Vor allem denke ich an die tollen Paraden des Torhüters Iker Casillas.

Wie schätzen Sie die deutschen Gegner in der WM-Gruppe ein? Beispielsweise Ausrtralien.

Das ist eine leichte Prüfung. Mit Sicherheit wird Deutschland das Spiel für sich entscheiden - und das sehr wichtig für die Psychologie der Spieler .

Und Serbien? Ist das ein starkes Team?

Für mich sind die Serben so etwas wie die Brasilianer Europas: Sie sind stark und haben keine Angst, vor keinem Gegner. Sie verfügen über ein homogenes Team in Offensive und Defensive. Es wird nicht einfach für Deutschland, Serbien zu besiegen.

Der dritte Gegner der Deutschen ist Ghana …

Ghana gehört zu stärksten Mannschaften Afrikas. Wir hatten zwar mehr von den sogenannten „ Black Stars“ beim letzten Afrika-Cup erwartet. Allerdings haben sie das Finale erreicht. Und das ist es, was im Fußball zählt.

Glauben Sie, dass es ein afrikanisches Team bis ins Halbfinale schaffen kann?

Das hoffe ich jedenfalls. Die Afrikaner spielen zum ersten Mal zu Hause auf ihrem Kontinent. Deswegen denke ich, dass die afrikanischen Teams alles geben werden, um die Semi-Finalhürde zu überschreiten. Ghana oder auch die Elfenbeinküste zum Beispiel haben alle Mittel dazu, und ich hoffe, dass es ihnen gelingt. Das gilt natürlich auch für Algerien.

Man sagt ja oft, die Afrikaner seien gut in der Offensive – aber nicht so gut in der Defensive. Auch ein Mangel an guten Torhütern wird afrikanischen Mannschaften oft bescheinigt.

Dass stimmt so nicht ganz. Marokko zum Beispiel hatte in den 80er Jahren einen tollen Torhüter namens Badou Zaki. Das Problem des afrikanischen Fussballs ist, dass es keine professionellen Sport-Institutionen gibt. Die Spieler können keine Erfahrungen sammeln, wenn es keinen professionellen nationalen oder internationalen Wettbewerbsstrukturen gibt.

Die meisten afrikanischen Nationalspieler kicken ja im Ausland …

Das stimmt. Aber im Fall Algeriens haben einige Spieler in dieser Saison nur wenig Spielpraxis in ihren Vereinen sammeln können, wie zum Beispiel Karim Ziani in Wolfsburg. Er hat in der ganzen Saison nur 9 oder 10 Spiele bestritten.

Warum sind Trainer aus Europa international so gefragt? Wegen ihrer Disziplin?

Europa ist der Kontinent, in dem der professionelle Fußball zu Hause ist. Man will einen Trainer haben, der aus der Champions League oder der Europa League kommt. Und die Disziplin spielt auch eine entscheidende Rolle, weil das große Problem der jungen afrikanischen Spieler zum Beispiel aus meiner Sicht die Disziplinlosigkeit ist.

Algeria's Lakhdar Belloumi, left, turns and celebrates after scoring the second goal for his team during the Football World Cup match between Algeria and West Germany in Gijon, Spain on June 16, 1982. West Germany's goalkeeper Harald Schumacher, right, and Paul Breitner, second left, look on in dismay. Algeria defeated West Germany 2-1. (AP Photo)
Lakhder Belloumi unmittelbar nach seinem Treffer gegen Deutschland bei der WM 1982Bild: AP

Kommen wir zu Ihnen persönlich. Wann ging bei Ihnen eigentlich die Fußballkarriere los?

Eigentlich schon als kleiner Junge. Ich habe meine Kindheit praktisch mit dem Ball am Fuß verbracht. Als Profi-Fußballer habe ich für „Mouloudiat Moaaskar“ gespielt - das ist der Verein in meiner Heimatstadt Maaskar. Danach spielte ich in anderen Vereine, immer in Algerien, und später natürlich auch für die Nationalmannschaft.

Hatte auch Ihr Vater etwas mit Fußball zu tun?

Nein, mein Vater hat sogar immer mit mir geschimpft. Für ihn war es sehr wichtig, dass ich zur Schule gehe. Er selbst hatte nie die Möglichkeit gehabt, Lesen und Schreiben zu lernen. Er betrachtete Fussball als Zeitverschwendung. Anders war das bei meiner Mutter. Sie hat mich immer dazu ermutigt, weiter zu machen.

Wollten Sie von Anfang an Profifußballer werden?

Ja, ich habe immer davon geträumt, in großen Stadien und vor Publikum Tore zu schießen. Zum Glück habe ich das geschafft und danke Gott sehr dafür.

Was würden Sie jungen Nachwuchsspielern empfehlen? Wie kommt man dorthin, wo Sie es hingeschafft haben? Was muss man tun?

An sich glauben und den Fußball wirklich lieben! Alles andere ergibt sich von selbst - vorausgesetzt man hat das nötige Talent und die nötige Ausdauer.

Was war persönlich Ihr größer Moment in Ihrer Fußballkarriere?

Das zweite Siegestor gegen Deutschland bei der WM 82. Das erste Tor hatte mein Kollege Madjer geschossen, dann machte Karl-Heinz Rummenigge den Ausgleich. Damals sind die Leute auf die Straße gegangen. Das war eine riesige Freude. Man hat diese Aufmärsche in meiner Heimat sogar mit der Unabhängigkeitserklärung Algeriens von 1962 verglichen. Zum ersten Mal hatte sich Algerien für eine WM qualifiziert. Danach waren wir der Grund, warum seither die letzten Vorrundenspiele zeitgleich ausgetragen werden mussten.

Sie meinen als Konsequenz des Spiels zwischen Deutschland und Österreich?

Ja, das letzte Gruppenspiel zwischen Deutschland und Österreich: Deutschland brauchte einen knappen Sieg, um in die Zwischenrunde zu kommen. Sie erzielten sehr früh ein Tor, danach stellten beide Mannschaften alle ernsthaften Angriffsbemühungen ein. Schließlich sind beide Mannschaften auf Kosten Algeriens weiter gekommen.

Haben Sie schon Deutschland eigentlich schon persönlich kennenlernen können?

Leider nicht, aber ich denke, dass es ein sehr schönes Land ist.

Und woran denken Sie, wenn das Stichwort Deutschland fällt? An bestimmte Fußball-Persönlichkeiten?

Ich denke immer gleich an Harald Schumacher – das ist ein toller Mensch. Er war in Algerien und hat erneut sein Bedauern zum Ausdruck gebracht, was damals bei der WM passiert ist. Ich denke bei Deutschland außerdem an Paul Breitner und Karl-Heinz Rummenigge. Das waren großartige Fussballer.

Die Fragen stellte Quifaq Benkiran
Redaktion: Wolfgang van Kann