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Deutschland: <br> NRW schaltet ab

Andreas Noll24. Juni 2003

Im Jahr 2000 startete Bundeskanzler Gerhard Schröder seine "Internet-für-alle"-Offensive. Rund die Hälfte der Bevölkerung ist inzwischen online. Doch nicht alle Deutschen dürfen alles im Internet lesen.

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Wer entscheidet über online oder offline?Bild: AP

Wenn Deutschland gegen Rechtsradikalismus im Internet kämpft, dann schlägt die Stunde des Föderalismus. Seit 1997 regelt das Wortungetüm "Mediendienstestaatsvertrag" die Zuständigkeit der Bundesländer für den Jugendschutz im Internet. In Nordrhein-Westfalen wacht der Präsident des Regierungsbezirkes Düsseldorf, Jürgen Büssow, über das Netz. Bundesweit gilt Büssow als besonders aktiv, seitdem er insgesamt 76 Sperrungsverfügungen gegen Zugangsprovider aus NRW erlassen hat. Die Sperren sollen deutschen Internetnutzern den Zugang auf zwei Neonazi-Webseiten aus den USA verwehren, wenn sie sich über die in NRW ansässigen Provider einwählen.

Zornige Aktivisten

Mit den Verfügungen hat Büssow nicht nur den Zorn der Unternehmen, sondern auch den vieler Aktivisten für die freie Meinungsäußerung im Internet auf sich gezogen. Der Staat dürfe auch bei radikalen Inhalten nicht zu Zensurmaßnahmen greifen, fordern sie und berufen sich dabei auf die in Artikel 5 des Grundgesetzes garantierte Informationsfreiheit. Die Informationsfreiheit sei die zentrale Voraussetzung für eine freie und informierte demokratische Öffentlichkeit.

Das Land Nordrhein-Westfalen dagegen verteidigt die Zwangsmaßnahmen. Auf den Webseiten werde klar eine nationalsozialistische Ideologie vertreten und zum Rassenhass aufgerufen. Davor müsse man die Jugendlichen schützen, heißt es in Düsseldorf.

Simpel und sinnlos?

Um den Zugang auf die verbotenen Inhalte zu verhindern, müssen die Zugangsanbieter lediglich das Domain Name Systems (DNS) manipulieren. Doch der Schutz gestaltet sich bisweilen schwierig. Kritiker halten die DNS-Sperren aufgrund ihrer Einfachheit für sinnlos, da sie selbst mit geringen Computerkenntnissen zu umgehen sind. Auch die Einwahl über einen Provider eines anderen Bundeslandes macht die Seiten wieder sichtbar.

Bislang ist Nordrhein-Westfalen das einzige Land, das Sperrungsverfügungen durchsetzt und damit auf symbolische Strafen setzt. Eine endgültige richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit solcher Zwangsmaßnahmen steht indes noch aus. Das Oberverwaltungsgericht in Münster hatte im März diesen Jahres die Sperrungsverfügung der Bezirksregierung lediglich vorläufig bestätigt.

Geheimdienste lesen mit

Aber nicht nur der Jugendschutz wird zur Rechtfertigungen von Einschränkungen herangezogen. Die deutschen Geheimdienste haben ihren Zugriff auf das Netz parallel zur Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes ausgedehnt. Die ersten Entwicklungen zeichneten sich schon vor dem 11. September 2001 ab. Doch nach den Attentaten in den USA wurden auch in Deutschland aus Gedankenspielen Gesetze und die Befugnisse der Sicherheitsbehörden deutlich erweitert. So verpflichtet das Antiterrorgesetz die Zugangsanbieter seit Januar 2002, den Geheimdiensten und der Polizei Zugang zu ihren Netzen zu gewähren und Informationen über die Nutzer an die Dienste zu liefern.

Im Hinblick auf die Überwachung des Email-Verkehrs könnte schon in diesem Jahr die technische Umsetzung erfolgen, obwohl in der zuständigen Verordnung eine Übergangsfrist bis 2005 vorgesehen ist. In jedem Fall sind die Zugangsprovider zukünftig verpflichtet, den Behörden Überwachungsschnittstellen auf eigene Kosten zur Verfügung zu stellen. Über diese Schnittstellen kann der Datenverkehr angezapft werden. Dann können deutsche Sicherheitsbehörden noch einfacher (fast) alles mitlesen.