Deutschland ist unattraktiv für ausländische Fachkräfte
10. März 2023Als die Rumänin Mara einen gut bezahlten Job in der Werbebranche in Berlin bekam, ging für sie ein Traum in Erfüllung. Nach einem Studium in Großbritannien und einigen Berufsjahren in Rumänien war die 30-Jährige dort, wo sie seit Jahren hingewollt hatte. "Als ich nach Deutschland gekommen bin, habe ich mir gesagt: 'Jetzt fängt ein neues Leben an'. Im Westen kann man richtig leben, dachte ich mir und, dass ich hier bis zur Rente bleiben würde."
Ein Jahr später ist die anfängliche Euphorie der Ernüchterung gewichen. Mara fühlt sich einsam, hat menschlich keinen Anschluss gefunden. Das liegt zum einen an der Sprachbarriere. In Bukarest hat sie einen Deutschkurs gemacht, doch im Arbeitsalltag wird nur Englisch gesprochen. "Ich verstehe, was gesagt wird, solange man langsam spricht. Ich kann mir einen Cappuccino bestellen, bin allerdings noch nicht in der Lage ein detailliertes Gespräch zu führen."
Kampf mit der Bürokratie
Ihre Firma hat nach der Corona-Pandemie das Home-Office beibehalten. Kolleginnen und Kollegen sieht sie nur am Bildschirm. "Das hat mich sehr belastet. Am Wochenende ist es noch schlimmer, ich weiß nicht, ob ich rausgehen soll und mit wem ich mich treffen könnte", erzählt sie gegenüber der DW.
Auf Berlins angespanntem Wohnungsmarkt etwas zu finden, war äußerst schwierig und bei den für Ausländer notwendigen Behördengängen wird Deutsch gesprochen. Die Beamten verlangten Dokumente, Mara verstand sie nicht. Eine unangenehme Situation. "Ich kann natürlich nicht von den Menschen in Deutschland verlangen, dass sie kein Deutsch sprechen. Das würde ich nie machen", sagt sie. "Aber auf meine Frage hin, ob man Englisch spricht, wird meistens sehr schnell und laut 'Nein' gesagt. Ein bisschen mehr Offenheit und Flexibilität würde helfen."
Ausländer haben es in Deutschland nicht leicht
Mara ist kein Einzelfall. In einer Studie des Tübinger Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit, das dafür fast 1900 ausländische Arbeitskräfte über Facebook befragte, waren die Klagen über eine fehlende soziale Integration groß. Von Fachkräften aus außereuropäischen Ländern erklärten zwei von drei, in Deutschland Diskriminierung aufgrund ihrer Herkunft erfahren zu haben.
Geklagt wurde auch darüber, dass die berufliche Qualifikation nicht entsprechend anerkannt wurde. Für Migranten aus Nicht-EU-Staaten ist das rigide deutsche Aufenthaltsrecht besonders problematisch.
Fachkräfte kommen - und gehen schnell wieder
Die Folgen sind für Deutschland gravierend. So sieht es auch die Berliner Migrationsforscherin Naika Fourutan, die als Professorin an der Humboldt-Universität lehrt. Es sei inzwischen "statistische Realität", dass von den ausländischen Fachkräften viele "schnell wieder weg" seien, sagte sie auf einer Konferenz der SPD-Bundestagsfraktion. Andere Top-Kräfte kommen erst gar nicht mehr. Laut einer aktuellen OECD-Studie hat Deutschland deutlich an Attraktivität eingebüßt.
Mit Blick auf die beruflichen Chancen, Einkommen und Steuern, Zukunftsaussichten, Möglichkeiten für Familienmitglieder, das Kompetenzumfeld, Diversität und Lebensqualität sowie Einreise- und Aufenthaltsrecht landet Deutschland nur noch auf Platz 15 der 38 OECD-Länder. 2019 war es noch Platz 12.
Schnellere Einbürgerung? Nein, danke!
Ein Befund, der die Politik alarmieren muss, denn es kommen ohnehin viel weniger Arbeitsmigranten nach Deutschland, als das Land brauchen würde. Laut Bundesarbeitsagentur müssten es jährlich 400.000 sein, um den Arbeitsmarkt stabil zu halten. 2021 waren es aber nur 40.000.
Die Bundesregierung arbeitet derzeit an einer umfassenden Reform des Zuwanderungsrechts. Auch die Einbürgerung soll erleichtert werden. Allerdings gibt es darüber nicht nur Streit in der Regierungskoalition, wo die FDP bremst. Laut einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur lehnen 59 Prozent der Bundesbürger eine schnellere Einbürgerung ab.
In den Köpfen muss sich etwas ändern
Die deutsche Gesellschaft tut sich schwer mit Veränderungen. Die Bürger müssten erkennen, dass Integration keine Einbahnstraße sei, sagt Migrationsforscherin Fourutan. "Nicht wir tun etwas für die Leute, sondern die tun eigentlich etwas für uns, wenn die hier hinkommen. Das ist das, was wir jetzt in die Köpfe kriegen müssen." Ein Umdenken werde aber nicht von allein einsetzen, dafür brauche es klare Anti-Diskriminierungsrichtlinien vom Gesetzgeber.
Doch die Zeit rennt, Deutschland läuft Gefahr, in allem viel zu spät zu kommen. Nicht mehr nur Großbritannien, USA, Kanada und Australien konkurrieren weltweit um Fach- und Arbeitskräfte. "Uns entgeht vollkommen, dass Saudi-Arabien, Katar, die Emirate eine massive Anwerbekampagne machen, dass die Philippinen ihre Leute nicht mehr weggeben und dass Afrika als Kontinent jetzt im Moment ganz stark versucht, seine Leute zu halten", warnt Fourutan.
Flüchtlinge qualifizieren und ausbilden
"Bei qualifizierter Einwanderung ist der Zug nicht komplett, aber weitgehend abgefahren", konstatiert Aladin El-Mafaalani, Professor für Erziehung und Bildung in der Migrationsgesellschaft an der Universität Osnabrück. "Wir sind ein sehr einsprachiges Land und das Wetter ist nicht gut und wir haben wenig Strand - also wir haben krasse Nachteile und wir tun zu wenig, um diese Nachteile auszugleichen."
Bei der SPD-Konferenz forderte El-Mafaalani, Deutschland müsse sich mehr auf die konzentrieren, die schon hier sind. Wozu vor allem Menschen gehören, die als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind. 2015 waren das mehr als eine Million. Darunter auch viele junge Menschen, die inzwischen eine Ausbildung gemacht haben und arbeiten. Doch selbst sie könnte Deutschland wieder verlieren, wenn ihr Aufenthaltsstatus unsicher ist.
In Eritrea gibt es keine Geburtsurkunden
Ein Beispiel dafür schildert Christa, eine ehemalige Berufsschullehrerin. Nach 2015 kümmerte sie sich um junge Flüchtlinge aus Eritrea. "Ich habe gesagt, wir schicken die alle in die duale Berufsausbildung und das hat wunderbar geklappt." Inzwischen seien aus den Flüchtlingen Handwerker, Mechatroniker, Pflegekräfte, Brücken- und Tiefbauer geworden. Teilweise schon Vorarbeiter. "In Aufstiegspositionen", wie sie sagt.
Nach achteinhalb Jahren in Deutschland würden sich die meisten gerne einbürgern lassen, doch das geht nicht, weil Eritreer keine Geburtsurkunde haben. "Jetzt wollen die uns streckenweise wieder verlassen und in andere Länder gehen", sagt Christa. "In England werden sie nach zwei Jahren eingebürgert und hier dürfen sie noch nicht einmal heiraten, die fühlen sich abgewimmelt", empört sie sich. "Das ist doch ein Witz."
Auf gepackten Koffern
Auch Mara kann sich nicht mehr vorstellen, länger in Deutschland zu bleiben. Bis zur Rente, das kommt für die Rumänin inzwischen nicht mehr in Frage. "Jetzt sehe ich das ganz anders. Vielleicht bleibe ich noch ein bis zwei Jahre, aber ich sehe mich nicht in den nächsten fünf oder zehn Jahren hier."
Wissenschaftlerin Naika Fourutan warnt davor, das Thema Abwanderung mit allen seinen Konsequenzen nicht ernst genug zu nehmen und fordert "Bleibeverhandlungen" in allen Bereichen. In Deutschland würden sich viele Menschen darauf vorbereiten, zurück in ihre Ursprungsländer zu gehen. "Was wäre, wenn eine Revolution im Iran Erfolg haben und ein großer Teil der Iraner zurückgehen würde? Ich mache jetzt ein bisschen einen Witz, aber dann säße Deutschland ohne Zahnärzte da."