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Deutschland übereifrig gegen Benachteiligungen

Samira Lazarovic8. März 2005

Während in Deutschland über das Antidiskriminierungsgesetz noch debattiert wird, wurde es in anderen Ländern umgesetzt - ohne die befürchteten Folgen für die Wirtschaft. Aber kein Land versuchte, die Vorgaben zu toppen.

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Weder Geschlecht noch Religion sollen Hindernisse seinBild: AP

Eigentlich geht es nur darum, die EU-Richtlinien zur Antidiskriminierungspolitik umzusetzen. Diese verbieten Benachteiligungen auf Grund des Geschlechts, der Rasse und der ethnischen Herkunft. Die Entscheidung der Bundesregierung, weitere Kriterien wie Religion, Weltanschauung, sexuelle Orientierung, Alter oder Behinderung aufzunehmen, löste jedoch heftige Diskussionen aus.

Belastende Verpflichtung

Deutschland habe gegenüber Minderheiten eine besondere Pflicht, begründen Regierungsvertreter die zusätzlichen Regelungen. Gegner der Richtlinie aus Politik und Wirtschaft kritisieren dagegen die unnötige Bürokratisierung, die die Wirtschaft in Deutschland erheblich belasten würde.

Die Antidiskriminierungsrichtlinie sei ein absoluter Job-Killer, meint etwa CDU-Vorsitzende Angela Merkel. Wirtschaftsvertreter warnen vor einer Klageflut. Der Gesetzesentwurf berge unkalkulierbare Risiken, sagte der Geschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Hanns-Eberhard Schleyer.

Keine Arbeitsplatzvernichtungsmaschine

Experten schütteln angesichts der massiven Widerstände gegen die Regelungen den Kopf. Die Erfahrung mit Ländern, die bereits umfassende Antidiskriminierungsgesetze haben, zeige, dass solche Regelungen keineswegs Arbeitsplätze vernichten, meint etwa Dilek Cinar vom Europäischen Zentrum für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung. Bestes Beispiel seien klassische Einwanderungsländer wie Australien oder Kanada.

Gegen das düstere Szenario, dass das Wirtschaftswachstum in Deutschland leiden könnte, weil die Regelungen Investitionen verhindern würden, sprechen die Wachstumsraten von Irland, Schweden oder Großbritannien. Obwohl in diesen Ländern die EU-Richtlinien bereits umgesetzt wurden, können sie ein weitaus größeres Wirtschaftswachstum vorweisen, als Deutschland.

Multikulturelle Gesellschaft in Großbritannien
In Großbritannien sind die Richtlinien längst umgesetzt.Bild: dpa

Zubrot für Anwälte?

Neben den Jobverlusten befürchten Kritiker der Antidiskriminierungsregelungen, dass ähnlich wie in Großbritannien eine wahre Klageflut über Deutschland einbrechen könnte. So soll sich in England seit der Einführung von Regelungen gegen Diskriminierungen auf Grund des Geschlechts die Zahl der dementsprechenden Klagen auf rund 14.000 verdoppelt haben.

Solche Effekte seien ihr zwar nicht bekannt, sagt die Europa-Expertin Cinar. "Aber man kann auch nicht solche Gesetze implementieren und dann darauf hoffen, dass niemand klagt."

Auf das Grundgesetz bauen

Dass die EU-Richtlinien umgesetzt werden sollen, ist die eine Sache. Dass in Deutschland die Regelungen noch verstärkt werden sollen, ist für Herbert Buscher vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle, IWH, jedoch völlig unverständlich. "Warum muss Deutschland wieder der Musterschüler sein?", fragt der Arbeitsmarktexperte. Die anderen EU-Länder würden die Richtlinien ja auch nicht toppen.

Deutsche Rentner in Spanien
Viele Länder haben bereits Gesetze gegen AlterdiskriminierungBild: dpa Zentralbild

Tatsächlich verlassen sich viele EU-Länder auf bereits bestehende Gesetze und Bestimmungen, so zum Beispiel beim Thema Altersdiskriminierung. In Finnland beispielsweise ist die Diskriminierung aus Altersgründen in Bezug auf Arbeitsverträge durch die Verfassung und das Gesetz verboten. In anderen Ländern, wie Italien, werden die Bestimmungen bezüglich der Gleichbehandlung so ausgelegt, dass sie auch das Alter betreffen.

Auch in Deutschland würde es nach Ansicht des IWH-Experten Buscher genügen, die EU-Richtlinien umzusetzen und sich ansonsten auf die vorhandenen Regelungen zu verlassen. Man müsse nur das Grundgesetz lesen, so Buscher. Dort sei schließlich schon verankert, dass niemand wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen oder seiner Behinderung benachteiligt oder bevorzugt werden dürfe.