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Deutscher PEN ehrt Liu Xiaobo

15. November 2010

Was in Oslo beim Friedensnobelpreis droht, ist in Darmstadt bereits eingetreten: Dort wurde Liu Xiaobo jetzt der Herrmann-Kesten-Preis verliehen – aber weder Liu noch seine Frau konnten dabei sein.

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Johanno Strasser, Präsident des deutschen PEN Zentrums überreicht Tianchi Martin-Liao in Vertretung den Herrmann-Kesten-Preis (Foto: Matthias von Hein / DW)
Johano Strasser überreicht Tianchi Martin-Liao in Vertretung den Herrmann-Kesten-PreisBild: DW

Nicht überall kann man seine Meinung frei äußern: Am Montag (15.11.2011), dem "Tag des verfolgten Schriftstellers", erinnerte das PEN-Komitee für inhaftierte Autoren daran, dass derzeit in fast 100 Ländern knapp 900 kritische Journalisten und Autoren inhaftiert sind. Zu ihnen gehört auch der chinesische Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo. Auf ihn warteten die Gäste, die am 11. November zur Verleihung des Hermann Kesten Preises ins Staatstheater Darmstadt gekommen waren, vergeblich: Weder der Preisträger noch seine Ehefrau hatten die Möglichkeit, die Auszeichnung in Darmstadt entgegenzunehmen, wie Johano Strasser, der Präsident des deutschen PEN Zentrums, beklagte.

Der Preisträger ist inhaftiert

Laudator Tilman Spengler (Foto: Matthias von Hein / DW)
Laudator Tilman SpenglerBild: DW

Denn Liu Xiaobo sitzt rund 450 Kilometer nordöstlich von Peking im Gefängnis. Am 25. Dezember 2009 war er zu elf Jahren Haft verurteilt worden, wegen eines angeblichen Aufrufs zum Umsturz der staatlichen Ordnung.

Liu ist einer der Initiatoren der "Charta 08", eines mittlerweile von über 10.000 Menschen unterschriebenen Manifestes der friedlichen Demokratisierung Chinas. Gewaltenteilung wird da gefordert sowie freie Meinungsäußerung, Versammlungsfreiheit und die Bildung unterschiedlicher Parteien. Laudator Tilman Spengler ließ es sich nicht nehmen, darauf hinzuweisen, dass diese Forderungen durchaus mit der chinesischen Verfassung in Einklang stünden. Denn die garantiere ja – zumindest in der Theorie – seit 2004 die Menschenrechte.

Verfassungstext und Verfassungswirklichkeit

Wer aber wie Liu diese Menschenrechte einfordert, wird gnadenlos verfolgt. Das gilt auch für Lius Unterstützer: Seitdem das Nobel-Komitee am 8. Oktober 2010 Liu als Preisträger bekanntgab, nahm der Druck auf Andersdenkende in China noch zu. Neben Lius Ehefrau Liu Xia stehen zahlreiche Dissidenten unter Hausarrest, wurden verhört oder vorsorglich inhaftiert.

Die chinesische Regierung übt unverhohlen Druck auf westliche Regierungen aus, der Verleihung des Friedensnobelpreises in Oslo am 10. Dezember 2010 fernzubleiben. Und am vergangenen Dienstag hinderten chinesische Behörden Liu Xiaobos Anwalt Mo Shaoping an der Ausreise – mit dem Verweis auf angebliche Gefährdung der staatlichen Sicherheit. Am vergangenen Mittwoch dann erklärte der Leiter des Osloer Nobel-Instituts, Geir Lundestad, es könne gut sein, dass weder das Diplom noch die Medaille überreicht werden könnten, da weder Liu noch seine Frau oder eine Person seines Vertrauens ausreisen dürften.

Liu Xiaobo: Staatsfeind und Nobelpreisträger 2010 (Foto: Picture Alliance / dpa)
Liu Xiaobo: Staatsfeind und Nobelpreisträger 2010Bild: Picture alliance/dpa

"Friedensnobelpreis für die Toten des 4. Juni 1989"

An Stelle von Liu Xiaobo nahm in Darmstadt Tianchi Martin-Liao den Herrmann-Kesten-Preis entgegen. Die Präsidentin des unabhängigen chinesischen PEN-Zentrums war nicht nur deshalb eine gute Wahl, weil beide befreundet sind. Sondern auch weil Liu selbst lange Jahre Präsident des unabhängigen chinesischen PEN war.

In ihrer emotionalen Dankesrede berichtete Martin-Liao über Lius Reaktion auf die Nachricht vom Friedensnobelpreis: Der erste Satz, den Liu unter Tränen über die Lippen brachte, lautete demnach: "Dieser Preis ist für die Toten des 4. Juni 1989." Für Liu Xiaobo war die chinesische Demokratiebewegung und ihr brutales Ende ein Wendepunkt. Immer wieder machte er deutlich, dass er als Überlebender gegenüber den Getöteten die Pflicht verspüre, um Gerechtigkeit zu kämpfen.

Den Opfern verpflichtet

Dieses Pflichtgefühl hat Liu ins Gefängnis gebracht. Doch so brutal die Staatsmacht auch gegen den Friedensnobelpreisträger 2010 vorgeht – ein Opfer ist er nicht. Weil Liu selbst sich nicht als Opfer sieht, sondern als Mensch, der in klarer Kenntnis der Risiken gehandelt hat. "Sobald du deine Entscheidung getroffen hast, solltest du dem Risiko und dem Druck mit Optimismus gegenüberstehen, mit Selbstvertrauen und in aller Ruhe", sagte Liu noch 2007.

Plakat mit einem Bild Lius und einer Medaille mit dem Konterfei von Alfred Nobel daneben (Foto: AP)
Immer wieder kommt es in Hongkong zu friedlichen Protesten: Die Demonstranten fordern die Freilassung LiusBild: AP

Insofern ist Liu ein würdiger Träger des Herman-Kesten-Preises. Der mit 10.000 Euro dotierte Preis des deutschen PEN trägt den Namen eines Autoren, der weniger für seine schriftstellerische Tätigkeit bekannt ist als für seine Unterstützung von Schriftstellern. Am bekanntesten ist Kestens leidenschaftlicher Einsatz für verfolgte Künstler während der Nazi-Herrschaft.

Der PEN vergibt die Auszeichnung seit 25 Jahren für besondere Verdienste um verfolgte Autoren. Nach Angaben des PEN-Komitees für inhaftierte Autoren (Writers in Prison Comitee) sind derzeit weltweit knapp 900 Autoren und Journalisten in fast 100 Ländern inhaftiert. Nach Angaben von "Reporter ohne Grenzen" wurden in diesem Jahr bereits 37 Journalisten getötet.

Autor: Matthias von Hein
Redaktion: Jochen Vock