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Deutsche Welle als Klangkunstwerk

Rick Fulker
30. November 2017

Sprachfetzen und ätherische Klänge: Was derzeit in einer Passage im Bonner Regierungsviertel an die Ohren der Passanten dringt, hat eine norwegische Künstlerin erschaffen - aus mehr als 60 Jahren DW-Sendebetrieb.

https://p.dw.com/p/2oVb3
Zeit ton passagen
Bild: Beethovenstiftung Bonn/Simon Vogel

Unterwegs von der U-Bahn Station Heussallee zum Marriott Hotel führt ein Fußgängerweg zwischen GOP Varieté Theater und World Conference Center Bonn entlang. Die "Welckerpassage" hat einen breiten und sanft gewölbten, leicht absteigenden Gehweg mit einer wellenförmigen, gitternetzartigen Überdachung. Neben Straßengeräuschen nimmt der Passant beim Durchgang nach und nach unterschwellige Klänge wahr: Dröhnen in tiefen Frequenzen, Knistern, ätherische Klänge oder Störgeräusche, die an die Sendersuche auf einem alten Radiogerät erinnern.

Dann vernimmt man – sind das Stimmen? Oder nur deren Klanggerüst: vom Inhalt befreite Sprachmelodie und Sprachrhythmus? Es wird konkreter: Menschliche Stimmen sind es doch, in 31 Sprachen - Kommunikation, das ästhetisierte Produkt eines Weltsenders.

In der Flut der Klänge

"2500 kreative Menschen arbeiten dort, aber die Leute hier vor Ort bekommen ihr Produkt kaum mit", sagt Carsten Seiffarth, künstlerischer Leiter des Projekts "bonn hoeren" der Beethovenstiftung für Kunst und Kultur Bonn. "Auf diese Weise können wir ihnen in Partnerschaft mit der DW die interessante Geschichte des Weltsenders seit ihrem Gründungsjahr 1953 näherbringen." Für diese 13. Klanginstallation des Projekts seit 2010 wurde die norwegische Klangkünstlerin Maia Urstad zur "Stadtklangkünstlerin Bonn 2017" ernannt. "Meines Wissens ist die Deutsche Welle zum ersten Mal Thema und Inspiration eines Kunstwerks", sagt Klaudia Prevezanos, stellvertretende Redaktionsleiterin Kultur Online. "Wir sind auch ein bisschen stolz darauf, dass Maia Urstads Wahl auf die DW gefallen ist."

Maia Urstad Stadtklangkünstlerin Bonn
Maia Urstad interessiert die Schnittstelle zwischen Visuellem und HörbaremBild: Beethovenstiftung Bonn/Judy Price

Um die "zeit-ton-passagen" zu kreieren, stöberte Urstad zunächst wochenlang durch die digitalisierten Bestände des DW-Schallarchivs und ging dabei "ganz willkürlich" vor, um nicht in der Flut der Klänge zu versinken. Sie sammelte, verfremdete, kombinierte und mischte das Material vor Ort in einer 40-Kanäle-Produktion. 

Sprachfetzen und Entspannungsmomente wechseln sich ab

Im Ergebnis mischen sich Sprache und Geräusche unaufdringlich mit dem natürlichen Sound des Straßenverkehrs. In der Rundum-Beschallung strömen dazu atmosphärische Klänge von der Überdachung. Von einer Wand aus hört man die Stimmen, gegenüber knistert es.

Mal wirbeln Sprachfetzen hektisch durcheinander, mal sind es stark verfremdete, sinnliche Entspannungsmomente. Die Verfremdung des Klangs geht mitunter sehr weit; aus dem Piepston einer Uhr kurz vor voller Stunde etwa wurden langsame, dröhnende Töne.

Maia Urstad «Meanwhile, in Shanghai…»
"Meanwhile, in Shanghai…", eine frühere Installation Maia Urstads, thematisierte RadiogeräteBild: MaiaUrstad/Singuhr

Auch wenn man regelmäßig durch die Passage läuft, wird man durch die Komplexität der Geräuschkombinationen in immer wieder neue Klängen eingehüllt: Das Klangerlebnis fällt je nach Uhrzeit, Standort und Aufnahmefähigkeit des Hörers unterschiedlich aus.

31 Lautsprecher, 31 Sprachen

Dennoch kann man die Installation auch systematisch rezipieren: Vertreten sind die 30 Sprachen, die heute zum Multimedia-Angebot der DW gehören, plus eine weitere: Norwegisch, die Muttersprache der Künstlerin. Zum Stundenbeginn erklingt aus dem ersten Lautsprecher die allererste DW-Hörfunksendung in deutscher Sprache aus dem Jahr 1953. Der Aufbau folgt der Erweiterung des Sprachangebots im Verlauf der Jahre: So ertönt die sechste DW-Sendesprache Arabisch aus der sechsten Box. Allmählich wird die Sprachenvielfalt zu einem verdichteten, energischeren Mix: So etwa mag es einst beim Turmbau zu Babel geklungen haben.

Bei der "Sichtung" des Hörfunkmaterials hörte Maia Urstad Unterschiede in der Studioaktustik heraus: Anfangs sei sie "ziemlich räumlich" gewesen, dann in den 70er-Jahren "ganz flach." Außerdem fiel ihr auf, dass es in den Anfangsjahren überwiegend männliche Stimmen waren, die die Botschaft der DW in die Welt hinaustrugen, und dass das Sprachtempo wesentlich langsamer war als heute.

Zeit ton passagen
Die Hörfunkwellen werden auch visualisiertBild: Beethovenstiftung Bonn/Simon Vogel

Klänge nach dem Zufallsprinzip

Fragen nach Fortschritt und Wandel gehören zur Ästhetik der bildenden Künstlerin, Musikerin und Performerin Maia Urstad. Im Zeitalter von On-Demand, Informationsblasen und durch Algorithmen gesteuerter Informationsversorgung, in der der Mensch hauptsächlich die Information erhält, die ihn interessiert, erinnern die "zeit-ton-passagen" daran, wie der Hörfunk der Deutschen Welle und anderer Weltsender im Zeitalter des Kurzwellenradios die Menschen mit Informationen versorgte. Zu hören ist es in Bonn noch bis Ende 2018: täglich im Stundentakt von 10:00 Uhr bis 20.00 Uhr. 

Buchstäblich am anderen Ende der Welt, im Goethe-Institut in Santiago de Chile, stellt gleichzeitig eine Ausstellung auf dem Tsonami Klangkunstfestival das Bonner Projekt vor. Die Ausstellung läuft dort noch bis zum 30. Dezember 2018.