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Blick auf 2010

23. Dezember 2010

Vor nicht einmal zehn Jahren galt Deutschland als der kranke Mann Europas. Im Jahr 2010 hat sich das Bild ins Gegenteil verkehrt: Das Land ist Europas Konjunkturlokomotive. Wie haben die Deutschen das geschafft?

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Symbolbild Deutschland Optimismus (Foto: dpa)
Gut gemacht, Deutschland!Bild: dpa/PA

Die Deutschen sind nicht dafür bekannt, eine stolze und optimistische Nation zu sein. Im Gegenteil. Erreichtes betrachten sie in der Regel mit einer gewissen Skepsis und fragen sich stets, ob es wohl Bestand haben wird. Da machen Politiker keine Ausnahme.

Im Moment ist allerdings alles anders. Ob Bundeskanzlerin, Oppositionspolitiker oder Wirtschaftsminister – alle freuen sich. Für Rainer Brüderle ist Deutschland "zum wirtschaftlichen Vorbild geworden", und selbst Oppositionsführer Frank-Walter Steinmeier von der SPD freut sich darüber, "dass wir besser durch die Krise gekommen sind als andere".

"Welt beneidet Deutschland"

Bundeskanzlerin Merkel mit vollem Bierglas (Foto: AP)
Das Glas ist voll - oder was will uns die Kanzlerin hier sagen?Bild: AP

Doch die Deutschen wären nicht die Deutschen, wenn sie nicht jenseits der frohen Botschaft genau analysieren würden, wie es die Bundesrepublik schaffen konnte, so gut durch die Krise zu kommen.

"Was macht unser Land aus?" fragt die Kanzlerin und beantwortet die Frage gleich selbst. Man habe eine innovative Wirtschaft mit einem starken industriellen Kern - den dynamischen Mittelstand. Und besonders wichtig: Eine "verlässliche Sozialpartnerschaft." Das sei genau das, was man als gelebte soziale Marktwirtschaft bezeichnen könne. "Jetzt, nach der Krise, werden wir von vielen Ländern auf der Welt genau um diese gelebte soziale Marktwirtschaft beneidet."

Kurzarbeit kostet

Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln (Foto: IW Köln)
Kurzarbeit ist nicht nur eine Sache des Staates: Michael HütherBild: Institut der deutschen Wirtschaft Köln

Tatsächlich haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der Wirtschaftskrise bemerkenswert gut zusammengehalten. Ermöglicht wurde das, weil die Bundesregierung die Inanspruchnahme von Kurzarbeit auf maximal 24 Monate ausweitete. Dabei arbeitet der Angestellte vorübergehend nicht mehr, wird aber nicht entlassen. Das Gehalt wird zu einem Teil von der Bundesagentur für Arbeit gezahlt, zum anderen von den Unternehmen.

Kurzarbeit als Alternative zur Entlassung, so sagt Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft, werde von Unternehmen aber nur unter bestimmten Voraussetzungen gewählt. Sieben Euro pro Arbeitsstunde in der Metall- und Elektroindustrie hätten zu Gesamtkosten von drei Milliarden Euro geführt, die von der Branche zu tragen waren, rechnet Hüther vor: "Das macht ja nur Sinn, wenn man wirklich die berechtigte Erwartung hat, dass die gegenüberliegende Talseite auch zu sehen ist."

Exporte und Umbau

Der Vorsitzende des Sachverständigenrates, Wolfgang Franz vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung Mannheim, überreicht das Jahresgutachtens 2009/2010 zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und die Expertise des Sachverständigenrates an Bundeskanzlerin Angela Merkel (Foto: dpa)
Prognose angehoben: Wirtschaftsforscher Wolfgang FranzBild: picture-alliance/ dpa

Doch woher nahmen die Unternehmen diesen Optimismus? Es war wohl vor allem das Wissen darum, dass die deutsche Volkswirtschaft in den vergangenen Jahren wieder erheblich wettbewerbsfähiger geworden ist. Angefangen mit der Agenda 2010 gab es grundsätzliche Reformen aus dem Arbeitsmarkt und in den Sozialsystemen, die sich bereits vor der Krise bemerkbar machten. Hinzu kommt, dass deutsche Produkte nach wie vor weltweit gefragt sind.

Die Exportorientierung, so sagt Wolfgang Franz, Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, sei überhaupt der Dreh- und Angelpunkt sowohl vor als während und nun auch nach der Krise. "Diese Exportorientierung erklärt beides, den scharfen Rückgang und den steilen Anstieg der konjunkturellen Entwicklung in Deutschland." Und der hohe Anteil der Fachkräfte in den exportorientierten Branchen, der erkläre angesichts der prognostizierten Fachkräftemangels das Ausbleiben einer ausgeprägten Entlassungswelle.

Binnenkonsum springt an

Vier Männer mit Einkaufstüten (Foto: dpa)
Klarer Fall: Die Binnennachfrage springt anBild: picture-alliance / dpa

Kann die Exportorientierung das Konjunkturwachstum aber auch in Zukunft weiter tragen? Oder muss angesichts der Probleme, die gerade auch die europäischen Nachbarländer – also die besten Kunden deutscher Unternehmen – haben, nicht mit einem erneuten Einbruch gerechnet werden? Experten warnen vor genau diesem Szenario.

Doch auch hier scheint Deutschland auf dem richtigen Weg zu sein. In den vergangenen Monaten hat sich die private Binnennachfrage deutlich belebt. Die Deutschen sind in Kauflaune. Das können sie auch, denn immer mehr haben Arbeit und damit auch Geld. Im Oktober meldete die Bundesagentur für Arbeit einen Rückgang der Arbeitslosenzahlen auf unter drei Millionen und im November stellte BA-Chef Frank Weise fest: "Der Beschäftigungsaufbau wird nach unserer Einschätzung immer stabiler und breiter."

Höhere Löhne sind in den Branchen, in denen die Geschäfte gut laufen, ebenfalls in Aussicht. Selbst der liberale Bundeswirtschaftsminister, der sich bislang nicht als Sozialpolitiker profiliert hat, hält einen kräftigen Schluck aus der Lohn-Pulle für angemessen.

Autorin: Sabine Kinkartz
Redaktion: Henrik Böhme